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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

Object: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
HS01315419
Title:
Rilke, Rainer Maria: Notizbuch T43IV [Verschiedenes]
Document type:
Manuscript
Collection:
Manuscripts
Year of publication:
1924
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Language:
Französisch
Deutsch
Other titles:
Taschenbuch 43 IV
Avant premier départ pour Ragaz juin 1924

Full text

„Spannend geschrieben." 
Von Ginster. 
„Das ist ein langweiliger Mörder", sagt der zum Mordprozeß 
Ackermann entsandte Berichterstatter einer großen Berliner 
Zeitung in der ersten Sitzungspause zu Georg, der ihn in eine 
Unterhaltung zu verwickeln sucht, ohne daß es ihm gelänge, dem 
berühmten Journalisten irgendeine wichtige Auskunft zu ent 
locken. Er heißt Benario, und seine Artikel sind immer „Rio" ge 
zeichnet. In der Tat wirkt Ackermann so nichtssagend, daß man 
ihn sofort vergäße, wenn man ihn etwa auf der Straße um Feuer 
gebeten hätte, und auch sein Fall ist völlig geklärt. Ein kleiner 
Filialleiter in schlechten Verhältnissen, der eines Tages mit einem 
Beil und einem Hirschfänger, die beide unbeteiligt auf dem Ge 
richtstisch liegen, seine kranke Frau und seine Schwiegermutter 
umgebracht hat. Beschönigte er noch die Morde — aber, überwäl- 
Ligt von ihnen, räumt er sie mit einer leisen Stimme ein, die 
selber von dem Beil erschlagen worden zu sein scheint. Wird er 
vielleicht dem sicheren Todesurteil Schwierigkeiten bereiten? Im 
Gegenteil, er hat schon geäußert, daß er seine Hinrichtung wünsche. 
Herr Benario wiederholt: „Ein langweiliger Mörder" und geht 
in den Gerichtssaal mit der Miene eines gefeierten Tenors zu 
rück, dem man zumutet, in einem Bierkeller Zu singen. 
Je länger die Verhandlung dauert — sie findet am Tatort, 
einem Städtchen der Nachbarschaft, statt — desto weniger gelingt 
es Georg, die Gleichgültigkeit Benarios nachzuahmen, die er doch 
zur Schau tragen müßte, um ihm seine Ebenbürtigkeit zu be 
weisen. Er hätte begriffen, wenn nach dem Geständnis unver 
züglich das Urteil verkündet worden wäre — die Taten sind be 
kannt und die Strafe steht fest —, aber er kann nicht begreifen, 
warum auch noch die Gründe des Verbrechens erforscht werden 
sollen. Wozu bohren sich die Verhöre immer tiefer und tiefer? 
Der Gerichtssaal ist grün und mit Kringeln wie aus Asche be 
deckt. Allmählich verblassen die Kringel, und ein Nebel breitet 
sich aus, in dem die Wände und die Gesichter versinken. Von 
einer entsetzlichen Angst gepackt, harrt Georg allein in der unend 
lichen Leere. Namen, Wortgelall, Rufe umtosen ihn. Er wartet, 
ohne sich regen zu können. 
Es zeigt sich ihm die Liebe Ackermanns zu seiner Frau. Wie 
eine chemische Flüssigkeit, so färbt sie die Leere rot. 
Es zeigt sich die Krankheit der Frau und Ackermanns leerer 
Beutel. Die-Frau hat ihres Leidens wegen seit Jahren mit dem 
Mann keine richtige Ehe geführt, und Ackermann ist zu gering 
besoldet gewesen, um die teuren Medizinen zu bezahlen und alle 
die Kuren. Er hat Unterschlagungen begangen. Er hat im Ge 
danken gezittert, daß die Diebstähle bei der nächsten Revision 
Herauskommen könnten. 
Es zeigt sich die Todessehnsucht. Bor längerer Zeit haben die 
beiden aus Kummer über ihr Leben gemeinsam den Tod aufsuchen 
wollen, aber wie sie schon mitten im Fluß sind, erklingt vom 
andern Ufer ein Lied, und sie kehren in den Abend zurück. Später 
hat die Frau den Mann noch mehrmals gebeten, sie doch endlich 
von ihren Schmerzen zu befreien. Sie ist fromm und steht das 
Jenseits geöffnet .zu ihrem Empfang. 
Es zeigt sich der Haferbrei. Die Schwiegermutter hat einen 
Tag vor dem Mord den Haferbrei für die Frau anbrennen lassen. 
Die Frau hat die verdorbene Speise nicht anrühren können. 
Ackermann, d->r für einen Augenblick puppengleich auftaucht, brüllt 
den verbrannten Haferbrei in di.e Leere hinaus. 
Es zeigt sich . . . Es zeigt sich . . . Bett, Kasse, Arzt, Fluß, 
Brei, Welt — die Tor wächst aus ihnen hervor, eine rote Liebes 
blüte, und niemand darf sie bestrafen. 
Aber dann schieben sich die Wände wieder dazwischen, und es 
ist, als seien sie immer zusammengestoßen. Richter und Geschworene 
sitzen in einer Reihe, wie lauter Rechtecke nebeneinander, und 
starren auf Ackermann, der nicht mehr brüllt, sondern nur noch 
äußerlich ist. „Wie geht es Dr. Petri?" erkundigt sich Herr 
Benario. Auf dem Gerichtstisch liegen Hirschfänger und Beil. Sie 
sind von Holz und Eisen, leisten Widerstand und wühlen sich in 
menschliche Schädel. Die zwei Psychiater, die aus Kinn und 
Bärten bestehen, beginnen zu raffeln. Grün sind die Wände und 
mit Kringeln bedeckt. Weshalb sind die Gründe gezeigt worden, 
wenn sie doch nicht zählen, wenn der Mord sich wieder von ihnen 
ablösen muß, und die Rechtecke sitzen ihm fremd gegenüber. Sie 
werden die Todesstrafe verhängen, als hätten sie gar nichts ge 
sehen. Ach, wäre nur nicht gefragt worden, es ist doch unmöglich^ 
zu fragen und hinterher die Fragen zu köpfen... 
Mehrere Tage danach liest Georg zufällig in einer großen 
Berliner Zeitung ein Feuilleton, das die Überschrift: „Ein lang 
weiliger Mörder" trägt und so spannend geschrieben ist, daß er 
über seiner Lektüre vergißt, selber dabei gewesen zu sein. Es ist 
Rio gezeichnet. 
einem neuen Roman von (Ginster.
	        

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