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H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043381
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1924
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Langeweike. 
Von Dr. S. Kracauer. 
Menschen, die heute überhaupt noch Zeit z'.rr Langeweile 
haben uno sich doch nicht langweilen, sind gewiß genau so 
langweilig wie die andern, die zur Langeweile nicht kom 
rnen. Denn ihr Selbst ist verschollen, dessen Gegenwart sie 
gerade in dieser so betriebsamen Welt dazu nötigen müßte, 
ohne Ziel und nirgendwo lang zu verweilen. 
Den meisten freilich fehlt es an Muße. Sie gehen einem 
D o'erwrrb nach, bei dem sie sich ganz ausgeben, damit «r vas 
Notwendige ihnen einbringe. Um den leidigen Zwang sich 
erträglicher zu gestalten, haben sie eine Arbeitsethik erfunden, 
die ihre Beschäftigung moralisch verbrämt und ihnen immer 
hin eine gewisse moralische Genugtuung verschafft. Daß der 
Stolz, sich als sittliches Wesen zu fühlen, jede Art von Lange 
weile verscheuche, wäre zu viel behauptet; aber die vulgäre 
Langeweile, die der Tagesfron gilt, kommt nicht eigentlich in 
Betracht, da sie weder tödlich ist, noch zu neuem Leben er 
weckt, sondern nur eine Unbefriedigung ausdrückt, die sofort 
verginge, wenn eine angenehmere Tätigkeit als die moralisch 
sanktionierte sich böte. Trotzdem mögen Mecklchen, die ihre 
Pslicht mitunter gähnen macht, weniger langweilig sein als 
solche, die ihre Geschäfte aus Neigung verrichten. Immer 
tiefer werden diese Unglücklichen in das Getriebe hineingr- 
mengt, sie wissen zuletzt nicht mehr, wo der Kopf ihnen steht, 
und jene ausbündige, radikale Langeweile, die sie mit ihrem 
Kopf wieder vereinen könnte, bleibt ihnen ewig fern. 
Nun ermangelt niemand der Muße durchaus. Das Büro 
ist kein Dauerashl und der Sonntag eine Institution. Grund' 
sätzlich hätte also jeder die Gelegenheit, in schönen Feier 
stunden sich zur richtigen Langeweile aufzuraffen. Indessen: 
man will nichts tun, und man wird getan. Die Welt sorgt 
dafür, daß man nicht zu sich gelange, und nimmt man auch 
vielleicht kein Interesse an ihr — sie selber ist viel zu interes 
siert, als daß man die Ruhe fände, sich so ausführlich über 
sie Zu langweilen, wie sie es am Ende verdiente, 
Wie nun aber, wenn man sich nicht verjagen läßt? Dann 
i t Langeweile die einzige Beschäftigung, die sich ziemt, da sie 
eine gewiss« Gewähr dafür bietet, daß n«n sozusagen noch 
über lern Dasein verfügt. Langweilt« man sich nicht, so wäre 
man vermutlich überhaupt nicht vorhanden und also nur ein 
Gegenstand der Langeweile mehr, was zu Amang behauptet 
wurde — man leuchtete über den Dächern auf oder liefe als 
Filmstreifen ab. Ist man aber vorhanden, so muß man sich 
notgedrungen über das abstrakt« Getöse ringsum langweilen, 
das nicht duldet, daß man existiere, und über sich selber, daß 
man in ihm existiert. 
Am besten, man verbringt den sonnigen Nachmittag, wenn 
alles draußen ist, in der Bahnhofshalle oder besser noch: man 
zieht daheim die Vorhänge zu und liefert sich auf dem Sofa 
seiner Langeweile aus. Umwölkt von tmsteMr, tändelt man 
dann mit den Ideen, die so gar sehr aeotbar sind, und bedankt 
die mancherlei Projekte, die sich ohne Grund wichtig nehmen. 
Schließlich begnügt man sich damit, mchts weiter zu tun al« 
bei sich zu sein und nicht zu wissen, was man eigentlich tun 
solle — sympathisch berührt allein durch den gläsernen Heu 
schreck auf der Tischplatte, der nicht springen kann, weil er aus 
Glas besteht, und durch die Unsinnigkeit eines Kektus-Pflänz- 
chenS, das nichts dabei findet, daß «s so schrullig ist. Un 
seriös wie diese Zlerge'chSpfe, hegt man nur noch eine innere 
Unruhe ohne Ziel, «in Begehren, das zurückgestoßen wird, und 
den Ueberdruß an dem, was ist, ohne zu sein. 
Hat man freilich d!« Geduld, jene Geduld, die zur legi 
timen Langeweile gehört, so erfahrt man Beglückungen, die 
nahezu unirdisch sind. Eine Landschaft erscheint, in der bunte 
Pfauen stolzieren, Menschenbilder neigen sich, die voller Seele 
sind, und siehe, auch deine Seele schwillt, und du benennst ver 
zückt das stets Vermißte: die große Passion. Ginge sie 
nieder, die wie ein Komet dir schimmert, ging« sie ein i*: dich, 
in die andern, in di« Welt — ach, die Langeweile hätte ein 
Ende, und alles, was ist, es wäre ... 
Doch die Menschen bleiben ferne Bilder und am Horizont 
verzischt die große Passion. Und in der Langeweile, die nicht 
weichen will, brütet man Bagatellen aus, die so langweilig sind 
wie diese. . 
I F sd - 
^Londerschau de3 SraäMcheu Bauhauses. > - Zing- 
le? s Kabinett in Frankfurt stellt gegenwärtig Erzeugnisse dcs 
O-'ccr Staatlichen B-auban;es aus. Vorwiegend 
Keramik: große Schmuckvasen, Kannen aller Services, 
Luien und Becher. Tie strenge Sachlichkeit der Gebilde vereint sich 
oft Mit kchonbew-egtem Umriß, und der Verzicht auf Ornamentik 
wird ausgeglichen durch lebendigen Farbenfluß. Gewiß: der Wille 
gtt radikaler Stisi-'erung fnbrt bie und da FehlfoiMen herauf, die 
auch technisch nicht einwandfrei sind; und die ArLvitas der Gefäße 
vunrüge nicht selten Milderung — aber diese Mängel treten nur im 
Gef^ge eines künstlerischen Anstandes und einer Gradhe't auf, die 
man um keinen Preis missen mochte, zumal sie in vielen Fällen (wie 
Lei dem Tecgescmrr aus Messing, aparte und einleuchtende Löchri 
gen zu finden weiß. Die Mehrzahl der Dinge ist in typischen Formen 
2 len und recht daZu geeignet, die mancherlei Greuel zu ver 
drängen. die in den Hausbcht'mgen noch ibl- UnwesM traben 
NcL:n diesen Produkten der Dornburger Töpferei wird Kin 
der Spielzeug dargeboten, d^s bunt uns geometrisch ist und 
der kindlichen Phantasie den größten Spielraum gewährt. Reiz 
voller muten — von einigen Experimenten abgesehen ---die Weh 
stes? an. d^ren Bemustrrung so -fein abgewogen ist wi? die 
Skala der Farbentöne Xr. 
Man schlendert des Abends durch die Straßen, gesättigt 
von einer Unerfülltheit, aus der die Fülle zu keimen vermag. 
Da ziehen leuchtende Worte an den Dächern vorüber, und 
schon ist man aus der eigenen Leere in die fremde Re 
klame verbannt. Der Körper schlägt Wurzeln im Asphalt, 
und der Geist, der nicht mehr unser Geist ist, streift mit den 
aufllärenden Lichtbekundungen endlos aus der Nacht in die 
Nacht. Wäre ihm noch ein Verschwinden gegönnt! Aber ! 
wie der Pegasm, der ein Karussel bedient, muß er im Kreise 
sich drehen, darf es nicht müde werden, vom Himmel hoch 
den Ruhm eines Likörs und. das Locher bestenAünf-Pftn- 
rug-Zigc rette zu künden. Irgend ein Zauber treibt ihn mit, 
den tausend Glühbirnen um, aus denen er wieder und wieder ! 
zu gleißenden Sätzen sich formt. 
Kehrt er zufällig einmal zurück, so empfiehlt er sich als 
bald, um in einem Kino vielgestaltig sich abkurbeln zu lassen. 
Er hockt als künstlicher Chinese in einer künstlichen Opium 
kneipe, verwandelt sich in einen dressierten-Hund, der einer 
Filmdiva zuliebe lächerlich kluge Handlungen begeht, ballt sich 
zu einem Unwetter im Hochgebirge zusammen, wird zum Zic- 
kusartisten und zum Löwen zugleich. Wie könnte er sich der 
Metamorphosen erwehren? Die Plakate stürzen in den Hohl- 
raum, den er selber nicht ungern erfüllte, sie zerren ihn vor 
die Leinwand, die so kahl wie ein ausgeräumter Palazzo ist, 
und wenn nun Bilder um Bilder entsteigen, so besteht außer 
ihrer Unbeständigkeit nichts in der Welt. Man vergißt sich 
im Gaffen, und das große dunkle Loch belebt sich mit dem 
Schein eines Lebens, das niemandem gehört und alle verbraucht. 
Auch das Radio zerstäubt die Wesen, noch ehe sie 
einen Funken gefangen haben. Da viele senden zu müssen 
glauben, befindet man sich in einem Zustand dauernder Emp 
fängnis, trächtig stets mit London, dem Eiffel-Turm und Ber 
lin. Wer wollte dem Werben der zierlichen Kopfhörer wider 
stehen? Sie glänzen in den Salons, sie ranken sich selbsttätig 
um die Häupter — und statt eine gebildete Unterhaltung zu 
pflegen, die ja gewiß langweilen mag, wird man zum Turn-- 
meldfeld von Weltgeräuschen, die, ihrer etwaigen objektiven 
Langeweile ungeachtet, nicht einmal das bescheidene Recht auf 
die persönliche Langeweile zugestehen. Stumm und leblos 
sitzt man beisammen, als wanderten die Seelen weit umher; 
aber die Seelen wandern nicht nach ihrem Gefallen, sie werden 
von der Nachrichtenmeute gehetzt, und bald weiß niemand 
s mehr, ob er der Jäger ist oder das Wild Gar im Cas6, hier, 
wo man wie ein Igel zusammenschnurren und seiner Nichtig 
keit inne werden möchte, tilgt ein bedeutender Lautsprecher 
jede Spur der privaten Existenz. Seine Mitteilungen durch 
walten in den Konzertpausen den Raum, und die lauschenden 
Kellner wehren entrüstet das Ansinnen ab, dieses Mimikry 
eines Grammophons beiseite zu schaffen. 
Während man ein solches Antennenschicksal erleidet, rücken 
die fünf Kontinente immer näher heran. Nicht wir sind 
es in Wahrheit, die »u ihnen ausschweifen, ihre Kulturen viel 
mehr nehmen in grenzenlosem Imperialismus von uns Besitz. I 
Es ist, als träumte man einen jener Träume, die der leere ! 
Magen gebiert. Eine winzige Kugel rollt ganz aus der Ferne 
auf dich zu, sie wächst sich zur Großaufnahme aus und braust 
zuletzt über dich her; du kannst sie nicht hemmen, noch ihr ent 
rinnen, gefesselt liegst du da, ein ohnmächtiges Püppchen, das 
von dem Riesenkoloß mitgerissen wird und in seinem Umkreis k 
vergeht. Flucht ist unmöglich. Entwirren sich taktvoll die 
chinesischen Wirren, so bedrängt sicherlich -in amerikanischer! 
Boxermatsch^std das Abendland bleibt immerdar, ob mag 
es ancrkennt oder nicht. Alle welthistorischen Ereignisse dieses 
Erdballs — die gegenwärtigen nicht nur, sondern auch die 
vergangenen, die in ihrer Lebensgier schamlos sind — haben 
lediglich das eine Verlangen: sich ein Stelldichein dort zu 
geben, wo sie uns anwesend vermuten. Die Herrschaft jedoch 
ist in ihrer Wohnung nicht anzutreffen, sie ist verreist und 
unauffindbar, sie hat die leeren Gemächer längst der Kur- 
prisinK part^ überlassen, die sich in ihnen als Herrschaft 
gebärdet.
	        

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