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H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043384
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1928
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

f^c»' i 
S. Kracauer» 
im Frankfurter Luna-Palast») 
aes. 
Daß sie sich ein wenig anders gebärden als das Volk, dem sie 
gleichen, rückt sie nicht fern, sondern enthüllt nur die Tiefe der 
Gemeinsamkeit. Sie tanzen mit dem selbstvergessenen Ungestüm 
von Kindern, denen die toten Dinge Götzen sind, die angebetet und 
gestürzt werden können. Ihre Beine sprudeln über vor Freude, 
ihre Pupillen rollen unablässig in den kleinen weißen Binnenseen 
der Augen auf und ab, und ihre Umarmungen sind voller Unschuld. 
Die Fremden werden enttäuscht sein. 
steigen, sie sind es also auch hier in dem Sälchen. Wenn die Neger 
kaum von ihrer Umgebung abstechen, so heißt das mithin nicht, daß 
sie die Exotik einbüßten, auf die sie ein Recht haben; die Möglich 
keit einer solchen Anpassung ist vielmehr das Zeichen für die Exotik 
der Pariser Bevölkerung, für jene wirkliche Exotik, die sich aus der 
Geographie nicht ableiten läßt. Man muß dieses Volk bei seinen 
Jahrmärkten beobachtet haben, muß gesehen haben, wie es die 
Straßen belebt und Farben und Lichter um sich ausstreut, die 
seinem Dasein etwas von der Buntheit des Hafenvolks verleihen. 
Paris begreift auch Afrika in sich. Es kann darum für die Neger 
zum Hafen werden. 
macht; mit Ausnahme eines bebrillten jungen Gentlemans, dessen 
Smokinghemd einsam im Gedränge blinkt. Seine Züge verraten 
die düstere Entschlossenheit eines Pamphlets gegen die koloniale 
Unterdrückung. Vielleicht ist er ein Häuptlingssohn, der literarische 
Speers wirst. 
Wo aber bleiben die Sensationen? Sie ereignen sich nicht. 
Weder verrenken die Musiker ihre Körper noch erzeugen sie Nigger 
songs und jene Jazzmelodien, deren Exdtik parfümiert wie die 
Morands ist. Im Gegenteil: sie scheinen sich geradezu verabredet zu 
haben, auf die negerhafte Urtümlichkeit Zu verzichten, an der sich 
die Montmartre-Besucher erbauen. Je weniger rassig diese sind, 
desto mehr lieben sie die Schaustellung von Rassen aus sämtlichen 
Absatzgebieten. Das Orchester spielt eine richtige Schrammelmusik, 
, dis gleiche, die im bleu und bei den Lals Musettes der 
! Brauch ist, es spielt vor allem den langsamen Walzer, zu dem die 
Burschen mit erstarrten Schultern ihre Mädchen immerfort im 
Kreis drehen. Die melancholische Eintönigkeit der Klänge beschwört 
die Wüste und den Zug der Fremdenlegion herauf, ein anderes 
Afrika als das der gehobenen Dancings, das gar nicht Afrika ist. 
Sie tanzen auch nicht so, die Herrschaften, wie sie es ihrer Ab 
stammung schuldig wären. Das exzentrische Schlottern fehlt, und 
wird der Boden etwa zur Trommel, auf dem die Absätze Kriegs 
wirbel schlagen? Nichts davon. Jeder halbwegs gebildete Neger 
imitator setzt einen echteren Charleston hin als die hier geübten, 
die auch ohne Zeitlupe sichtbar sind. Die dunkle Haut schützt nicht 
vor Dilettantismus, und offenbar teilen die meisten das Los der 
zahlreichen Bleichgesichter, für die ein Tanzkurs unerschwinglich ist. 
Der Eindruck befestigt sich, daß diese vulgären Neger erst ins 
Amerikanische übersetzt werden müßten, um Neger zu sein. 
Das ist kein Negerball, das ist ein Pariser Vorstadtball, der Zu 
fällig von Schwarzen verunstaltet wird. In der Tat mischen sich 
auch die Eingeborenen des Quartiers Grenelle ungescheut unter sie. 
Aeußere Farbenkcntraste entstehen, die nur die innere Gleichheit der 
Seelen offenbaren. Höchstens das Benehmen der einen oder anderen 
fremden Dame, die eigens herb ei geeilt ist, um sich an einen! 
— l„Der Gentleman von Pari-.") AdolpheMenjou 
ist in diesem neuen Film mehr noch als in früheren womöglich 
die Verkörperung des vollkommenen Kavaliers. Des Kavaliers? 
Seiner platonischen Idee hinieden. Obwohl er das Platonische nicht 
eigentlich schätzt, sondern ungescheut von dem erotischen Wissen 
Gebrauch macht, das ihm die Liebeskünstler aller vorangegangenen 
Generationen vererbt zu haben scheinen» Auch andere Menschen 
waschen sich in der Frühe; durch s e i n e Morgentoilette erhält die 
Sauberkeit ihr Adelsprädikat, wird das Spülen des Mundes zum 
sakralen Vorgang. Ehe er sich zum Ueberfluß mit Parfüm be 
spritzen läßt, duftet er schon vornehmer als jedes Parfum. Die 
Art, in der er leicht den Zylinder schwingt, drückt wunderbar aus, 
daß nichts ausgedrückt werden soll. Wer ihn eine Dame förmlich 
begrüßen steht, von der die Welt nicht erfahren soll, daß sie seine 
Geliebte war, empfängt einen Gratisunterricht in höheren Um 
gangsformen, die sich freilich doch nicht erlernen lassen, weil sie 
unnachahmlich sind. Wenn er auch nur in einer Speisekammer 
lächelte, so verwandelte sich die Speisekammer sofort in ein Bou 
doir mit Louis Seize-Möbeln. Das ist kein gewöhnliches Ver 
führerlächeln, die ganze Melancholie des Don Juan liegt darin. 
Seine Augenlider senken sich oft mit der Diskretion von schweren 
Damastvorhängen herab, hinter denen eZ um der Ehre willen 
etwas zu verbergen gilt; in zweifelhaften Fällen stets eine ver 
heiratete Frau. Er sitzt am Spieltisch und greift in einem bedenk 
lichen Augenblick nach dem Zigarettenetui: die Geste mit dem 
Wort blasiert zu bezeichnen, hieße ste schänden. Er wird in einer 
Gesellschaft des Betrugs bezichtigt, aber blamiert ist nur die Ge 
sellschaft, denn er selbst geht aus der Affäre mit einer weißen 
Frackweste hervor, die ein Kunstwerk ist. 
Der Film ist ein routiniert gearbeitetes Boulevardstück mit 
einer Unzahl galanter Beziehungen, die sämtlich liquidiert werden, 
mit einem Kammerdiener, der als Kammerdiener beinahe so 
unerreichbar ist wie Menjou als Kavalier, mit einem reizend auf 
gebauten kleinen Skandal und einer witzigen Lösung. Die Regie, 
für die ein Mann mit dem sonderbaren Namen D'Abbadie D'Arrast 
verantwortlich Zeichnet, hat Kammerspieltöne angeschlagen. Die 
Blicke führen Dialoge, in denen kein Satz zu Ende gesprochen 
. wird, und auch die Gebärden sind nur skizzenhaft ausgefühct. Der 
> Gang auf den Zehenspitzen ist um so erfreulicher, als in den 
meisten Filmen heute gepoltert wird. (Zur Aufführung des Films 
stämmigen Neger zu schmiegen, macht auf Umwegen fühlbar, daß 
der Gegenstand ihrer Inbrunst ein Neger ist. Niemand merkte es 
sonst. Statt das Verlangen nach Negerplastik Zu befriedigen, wirken 
die Exoten wie einheimische Produkte. Sie sind der Art des Volks 
nicht entgegen, sie verschmelzen bildhaft mit ihm. 
Der Mangel an Sensationen, der von dieser Uebereinstimmung 
herrührt, ist aber eine größere Sensation als die erwarteten. Oder 
ist nicht die Bestätigung wunderbar, daß die Völker einander ver 
wandt sind wie ihre Märchen? Sie sind es unter der Voraussetzung, 
j daß sie noch in den Grund reichen, aus dem die Märchen auf- 
WegeröaL in Hans. 
Die Neger treffen sich mehrmals wöchentlich im Quartier! 
Grenelle, weitab von den Hauptzonen des Vergnügungsbetriebes. 
Arbeiter und Kleinbürger bewohnen das Viertel. Es ist nachts so 
dunkel wie die Hautfarbe der Neger, die sich aber weniger aus 
koloristischen Gründen als aus dem Bedürfnis, ungestört zu bleiben, 
dorthin zurückgezogen haben. Schon öfters haben sie den Ort 
wechseln müssen, um der weißen Neugierde zu entrinnen. Ein ver 
gebliches Verfteckspiel, denn die Fremden folgen stets wieder aus 
dem Fuß. Sie versprechen sich ungemeine Sensationen von einem 
Negerball und sind mit dem Instinkt von Spürhunden begabt. 
Der Versammlungsraum unterscheidet sich nicht im geringsten 
von den üblichen Vorstadtlokalen. An der Fassade prangt als be 
scheidene Festillumination eine Leuchtlinie, die sich, unmodern ge 
nug, aus einigen bunten Glühbirnen zusammensetzt. Sie lockt in der 
leeren Straße nicht eigentlich Passanten an, sondern beschränkt sich 
darauf, eine stillvergnügte Horizontale zu sein. Durch den Vorhof 
eines Cafes gelangt man ins Solchen, das von nicht zu unter 
bietender Einfachheit ist. Solche Interieurs dienen in amerika 
nischen Wildwestfilmen gewöhnlich als Hintergrund für Schlägereien. 
Die Kapelle sitzt gedrängt auf einer Estrade, an den Seiten stehen 
wahllos Tische herum. Mager gestrichene Wände; eine Art von 
Hühnerleiter führt zur hölzernen Galerie. 
Von ihr aus blickt man aus ein Urwaldgewimmel herab. Aus 
der undurchdringlichen Finsternis der Frisuren glänzen die roten, 
grünen und gelben Gewänder wie tropische Blüten nach oben. Um 
die schwärzlichen Hälse geschlungen, erfüllen sie die Luft als seien 
sie starke Gerüche — eine aufregende Vegetation, die an die Drei 
farbdrucke in Pflanzenwerken erinnert. Manchmal schwindet die 
dunkle Grundsubstanz in die Fingernägel, und Gestalten tauchen 
auf, die hell wie eine Lichtung sind. Die Damenwelt hat ihre Gipfel 
und Niederungen; eine der Negerinnen ist von der gekräuselten 
Pracht einer Kongomajestät, die eben aus dem Busch kommt, andere 
scheinen in dem großen Paris bereits vernutzt worden zu sein. 
Nicht jede bringt es zu einer Josefine Baker, und es gibt viele 
kümmerliche Berufe, bis herab zu dem, dessen Ausübung zwingt, 
allnächtlich zwischen der Place Manche und der Place Pigalle 
spazieren zu gehen. Unter Umständen ist er ganz lohnend; denn das 
männliche Publikum auf dieser kurzen Strecke besteht ja nicht nur 
aus College-Boys und amerikanischen Legionären, die freilich Blon 
dinen bevorzugen. Bon den Herren, die fast durchweg das Aussehen 
längst gezähmter Raubtiere haben, mögen einige Portiers sein, 
Barkellner und Chauffeure. Besondere Toilette haben sie nicht ge-
	        

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