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H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043386
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1930
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

jeden ein Trost. 
S. Kr a c aue r. 
Kirche ist, wird zum Hort des Vergossenen und Vergessenen und 
strahlt so schön, als sei es das Merheiligste selber. Heimliche 
Tränen finden so ihren Gedächtnisort. Nicht im verborgenen 
Innern — mitten auf der Straße wird das Unbeachtete, Unschein 
bare gesammelt und verwandelt, bis es zu scheinen beginnt, für 
Ein Tonfilm vom Krieg, nach Johannsens: „Vier von der 
Anfanteri e" gedreht. Ich kann mich nicht erinnern, daß der 
Krieg, und zwar der Stellungskrieg in seiner letzten schrecklichsten 
Phase, im Film je so realistisch dargestellt worden wäre. Sollte 
auf der Leinwand nachgeholt werden, was in der Literatur bereits 
geschehen ist? 
Zwar, der Blickpunkt, von dem aus die Ereignisse ausgenommen 
sind, ist nicht durchaus einwandfrei. Oder vielmehr, es ist über 
haupt kein einheitlicher Blickpunkt vorhanden. Manchmal scheint 
es, als solle wirklich die Monotonie dsir Hölle, die stete Nachbar 
schaft des Todes gebannt werden. Dann wieder drängt sich Genre 
haftes dazwischen, das sich vorlaut benimmt. Die Affäre des Stu 
denten mit der Französin hat einen zu parken Akzent, und die 
EHekalamität des Urlaubers, der einen Gchlächtergesellen im 
Schlafzimmer seiner Frau antrifst, hätte nicht bis zum Rande 
ausgeschlachtet werden dürfen. Auch ein paar Figuren sind über 
belichtet; die persönliche Ekstatik, des Leutnants durchbricht das 
Einerlei der Westfront, und Fritz Kampers ist mit einer dicken 
Privatatmosphäre umgeben. Umgekehrt fehlen typische Züge des 
Sampfjahres 1918. Werden auch einmal abgehärmte Frauen ge 
zeigt, die vor dem Fleischerladen anstshen, so bleibt doch insgesamt 
die Front in der Heimat unsichtbar. Ebensowenig tritt die Mate 
rialnot in den Schützengräben deutlich hervor. Das Auftauchen der 
Tanks, die ein Zeichen des Endes waren, wirkt nicht unheilver 
kündend genug. 
Dennoch ist unter der Regie von G. W. Pabst ein Stück 
Kriegswrrklichkeit erstanden, wie es bisher noch niemand zu rekon 
struieren gewagt hat. Ich möchte nicht allen Motiven nachspüren, 
aus denen das Entsetzen neu heraufbeschworen worden ist, sondern 
einfach feststellen, daß es aus lauge Strecken hin echt aänmtet. Ein 
Eindruck, der wohl auch daher rührt, daß die Stacheldrähtland- 
schaft den Bild- und Lebensmum beherrscht, statt wie m.früheren 
Ariegsfilmen nur eine eingestreute Episode zu sein. Ihr ordnet sich 
das ganze menschliche Dasein unter, und aus ihr stammt noch die 
vertrackte Lustigkeit bes Frontkabaretts, dessen Arrangement von 
besonderer Überzeugungskraft ist. Dem Drang zur wahrheits 
getreuen Wiedergabe des Grauens, der hier obwaltet, entwachsen 
zwei Szenen, die schon beinahe die Grenze des Aussagbaren über 
schreiten. Die eine: ein Einzelkampf endet damit, daß ein Infan 
terist vor aller Augen im Sumpf erstickt wird. (Daß man spater 
noch eine Totenhand aus dem brodelnden Schlamm herausragen 
sieht, ist überflüssige Effekthascherei.) Die andere: das FrontlazaretL 
in der Kirche mit Verstümmelten, Schwestern und Aerzten, die vor 
Erschöpfung kaum noch ihr Handwerk weiter betreiben Annen. Es' 
M, als seien mittelalterliche Marterbilder lebendig geworden. 
Das Elend wird durch die Vertonung, für die Guido Bagrer 
und Joseph Ma solle verantwortlich zeichnen, in eine so grau 
same Nähe Zerückt, daß der Abstand, den sonst künstlerische Werke 
zwischen dem Publikum und dem ungeformten Geschehen fetzen, 
stellenweise aufgehoben ist. So schlecht meistens die menschliche Rede 
herauskommt, die Reproduktion des Geschützspektakels ist gelungen. 
Geglückt sind auch mehrere Versuche der Tonmontage: etwa die 
mit Hilfe lautlicher Entwicklung bewerkstelligten Usbergänge zwi 
schen zwei Bildeinheiten. Bor allem aber wird der Ton mit Er 
folg als Mittel der Versmnlichung ausgenutzt. Wenn man einen 
Verwundeten, der nicht gerettet werden kann, stöhnen hört, ohne 
ihn je zu sehen, so geht das unter die Haut, und der Betrachter 
bleibt nicht länger mehr Betrachter. Und nicht minder sprengen' 
die Seufzer und Schreie aus dem Lazarett den Brldrahmen und 
dringen unmittelbar in die Wirklichkeit. 
Zweifellos geht der Film in ästhetischer Hinsicht ein bedenk 
liches Risiko ein. Er zerstört an den genannten Orten'die Schran 
ken, die dem Abbild gezogen sind und erzeugt wie irgendeine 
Panoptikumsfigur den widernatürlichen Schein der außerkünstleri- 
schen Natur. Die Frage ist, ob er zu Recht inS Dreidimensionale 
überspringt. Ich neige dazu, sie in diesem einen Falle zu bejahen, 
in dem es gilt, die Erinnerung an den Krieg um jeden Preis fest 
zuhalten. Schon ist eine Generation ins Alter der Reife gerückt, die 
jene Jähre nicht mehr auS eigener Erfahrung kennt. Sie muß 
scheu, immer wieder scheu, was sie nicht selber gesehen hat. Daß 
ihr das Angeschaute zur Abschreckung d-ient, ist unwahrscheinlich, 
aber wissen soll sie, wie es gewesen ist! Es kommt hier aufs Wissen 
au, nicht auf den mit ihm verbundenen Zweck. 
Während der Vorstellung —- der Film lauft im Capitol — ver 
ließen viele Zuschauer fluchtartig das Lokal. „Das ist ja nicht zum 
Aushaltens ertönte es hinter mir; und: darf man uns js 
Ansichtspostkarte. 
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Lei Nacht. 
Berlin, im Mai. 
Die KaLser-Wlhelm-GedächLniskirche am Abend: wer sie, vom 
Bahnhof Zoo herkommend, erblickt — und der Großstädter erblickt 
sie überhaupt nur abends, da sie ihm tagsüber nichts weiter als 
ein riesenhaftes Verkehrshindernis ist —, dem wird ein merk-! 
würdiges, ein beinahe überirdisches Schauspiel zuteil. Von der 
religiösen Baumasse strahlt ein sanftes Leuchten aus, das so be 
ruhigend wie unerklärlich ist, eine Helle, die mit dem profanen 
rötlichen Schimmer der Bogenlampen nichts gemein hat, sondern 
sich fremd von der Umwelt abhebt und ihren Ursprung in den 
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniswänden selber zu haben scheint. 
Dringt der fahle Glanz aus dem Kircheninnern hervor? Aber 
dieser Kuppelbau, der Schwert und Altar miteinander verkuppelt, 
hat ersichtlich nur den einen Ehrgeiz: nach außen hin zu repräsen 
tieren. Das trägt eine romanische Uniform und ist inwendig gar 
nicht zu benutzen. Das könnte mit Steinen ausgefüllt sein. Das 
beschwört die Erinnerung an Bezirkskommandos, Hofprediger und 
Kaiserparaden herauf. 
Der geheimnisvolle Glanz ist in Wirklichkeit ein Reflex. Reflex 
der Lichtfaffaden, die vom Ufapalast an bis über das Capitol hinaus 
die Nacht Zum Tage machen, um aus dem Arbeitstag ihrer Be 
sucher das Grauen der Nacht zu verscheuchen. Die haushohen 
gläsernen Lichtsäulen, die bunten überhellen Flächen der Kino 
plakate und hinter den Spiegelscheiben der Wirrwarr gleißender 
Röhren unternehmen gemeinsam einen Angriff gegen die Müdig 
keit, die zusammenbrechen will, gegen die Leere, die sich um jeden 
Preis entrinnen möchte. Sie brüllen, sie trommeln, sie hämmern 
mit der Brutalität von Irrsinnigen auf die Menge los. Ein hem 
mungsloses Funkeln, das keineswegs nur der Reklame dient, son 
dern darüber hinaus sich Selbstzweck ist. Aber es schwingt und kreist 
nicht selig wie die Lichtreklame in Paris, die ihr Genüge darin 
findet, aus Rot, Gelb und Lila ihre verschlungenen Muster zu 
bilden. Es ist viel eher ein flammender Protest gegen die Dunkel 
heit unseres Daseins, ein Protest der Sebensgier, der wie von 
selber in das verzweifelte Bekenntnis zum Vergnügungsbetrieb 
einmündet. 
Der milde Glanz, der die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche um 
fließt, ist der unbeabsichtigte Widerschein dieser finsteren Glut. Was 
vom Lichtspektakel abfällt und vom Betrieb ausgestoßen wird —! 
vde Mauern bewahren es auf. Pas Aeußere der Kirche, die keine j 
etwas bieten!" Möchten sie auch im schlimmen Ernstfälle erklären,! 
daß es nicht zum Aushalten sei und daß, sie sich so etwas nicht! 
länger bieten lassen. Doch wie sie den Anblick des Krieges scheuen,! 
so fliehen sie in der Regel auch die- Erkenntnis, deren Verwirk-j 
lichMg ihn verhindern könnte. S. KrücmreL» .
	        

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