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H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
HS01314744
Title:
Rilke, Rainer Maria: Notizbuch T22 [Verschiedenes]
Document type:
Manuscript
Collection:
Manuscripts
Year of publication:
[1917-04 TO 1917-06]
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Language:
Deutsch
Other titles:
Taschenbuch 22

Full text

DuLderlum und Keroismus. 
Zu Zwei Filmen. 
Besprochen von S. Krakauer. 
Berlin, Anfang Februar. 
Wichtiges Experiment. 
Der Regisseur Paul Fejos, dessen Film: „Zwei junge 
Herzen^ einer der schönsten stummen Filme ist, die je gedreht 
worden sind, hat jetzt ein neues Werk inszeniert, das aus der Reihe 
der Wichen Tonfilme völlig herausfällt. Es heißt „Marie" und 
nennt sich selber eine Filmlegende. Diese Schöpfung ist unter 
allen Umständen ein kühnes und für die Entwicklung der Gattung 
wichtiges Experiment. Denn sie versucht nicht nur, den 
Tonfilm Zum Kunstwerk Zu verdichten, sondern möchte ihm auch 
die Jnternationalität des stummen Films zurückerobern. 
Zu Grunde gelegt ist die ungarische Legende vorn Dienst 
mädchen Alane, in der sich das Schicksal der geschundenen Kreatur 
verkörpert. Marie wird geplagt wie Aschenputtel, verführt und 
verlassen wie Gretchen und nach Eintritt der Schwangerschaft von 
der ganzen Dorfgesellschaft verfemt. Nur die Insassen eines Freu 
denhauses haben Erbarmen mit ihr. Hier kommt sie nieder, hier 
verhätscheln alle Mädchen ihr Kind. Aber auf eine Denunziation 
hin greift die Staatsgewalt ein und entreißt der armen Marie 
das Töchterchen, ohne das sie nicht sein kann. Sie verfällt dem 
Wahnsinn, irrt verspottet umher und stirbt. Nach ihrem Tod 
nimmt die sozialkritische Legende vollends märchenhafte Züge an. 
Erlöst von der Erdenpein, fährt Marie himmelwärts, putzt in der 
ewigen Seligkeit eine schimmernde Küche und bewahrt als Schutz 
engel ihre Tochter vor dem eigenen bitteren Los, 
Diese ergreifende Fabel gibt Fejos zwei wesentliche Chancen. 
Die eine: daß der Stoff einer freien filmischen Durchgestaltung 
auf halbem Wege entgegenkommt. Zum Unterschied von den meisten 
anderen Vorwürfen gestattet nämlich die Legende, alle Dinge von 
einer einzigen, inhaltlich erfüllten Perspektive aus Zu betrachten. 
Die Welt muß so erscheinen, wie Marie sie sieht, und der Blick, 
den sie, die Gequälte, auf ihre Umgebung richtet, ist kein belie 
biger Blick, sondern einer, der die Menschen und Zustände ent 
larvt. Indem nun Fejos diesem Blick bewußt folgt, verfährt er 
mit der Realität wie ein Dichter. Er nimmt alle Gestalten und 
Gegenstände gleichsam durch die Äugen Maries wahr und hebt so 
die konfuse Empirie in eine entschiedene Wirklichkeit. Seine ver 
wandelnde Kraft ist oft groß. Der Glockenturm, zu dem Marie 
aufsteht, wird mit Bedeutung imprägniert, das Standbild der 
Muttergottes scheint bewegt, und die Gesichter der Dienstherrschaft 
erhalten jene unpersönliche Härte, die ihrer sozialen Stellung 
entspricht. Der Verlassenheit Maries antwortet die Oede der Ob 
jekte. Die vorsintflutliche Eisenbahn führt aus der Welt heraus, 
die Häuser wirken wie Feinde. Nur im Bordell eigentlich, einer 
mtsehlichm Kleinstadt-Oase, tauen die Sachen und Figuren ein 
wenig auf. Das mechanische Klavier spielt sebsttätig muntere 
Disharmonien, der kalte. Lichterglanz erwärmt, und hinter der 
erstarrten Physiognomie der Inhaberin regt sich ein Mitgefühl, das 
sie spürbar verschönt. 
Auch von der Zweiten Chance macht Fejos einen guten Ge- 
Lmuch. Sie besteht darin, daß durch die Einfachheit und Sinn- 
Migkeil der Fabel die Sprache auf ein Minimum beschränkt 
werden kann. Wahrend Rens Clair den Dialog nach Möglichkeit 
als Element des musikalischen Tongefüges verwendet, läßt ihm 
Fejos, hierin realistischer, den Charakter des Sprechdialogs, 
drängt ihn aber fast ganz in den Hintergrund. Er bemüht sich, 
praktisch durchzüführen, was ich an dieser Stelle wieder und wieder 
aus ästhetischen Gründen fordern zu müssen glaubte. Tatsächlich 
sind alle W so entwickelt, daß das W o r t n a hez u 
e n t b e h r l ich wird. Und in jenen Fallen, in denen es doch ein 
tritt, erwachst sein Sinn ohne Schwierigkeit aus dem der Situation. 
(Umso unbegreiflicher, daß d^e paar Sätze, die herauskristalli 
sieren, in deutscher Sprache unterlegt worden sind.) Das hier 
gegebene Beispiel verdient die Nachfolge um so mehr, als Fejos 
aäch auf jede übertriebene oder sachlich unbegründete musikalische 
Illustration verzichtet. Er nutzt Geräusche und Tierstimmen aus 
und schaltet die Musik vorwiegend nur dort ein, wo sie von der 
Fabel bedingt ist. Man hört die Klänge eines Tanzfestes herüber 
wehen, das sich später vor aller Augen entfaltet. Ueberhaupt ist 
kaum je eine akustische Untermalung angesetzt, die ein bloßes 
Füllsel wäre und außerhalb des Films gelegene Quellen hätte. 
Dank dieser sinnvollen Oekonomie aber wird der Film erst richtig 
Zum^Fihn. Das heißt nichts anderes, als daß sein Hauptgewicht 
auf- den stummen Partien ruht. Gesten übernehmen tragende 
Funktionen, mimische Veränderungen, deren Verständnis an keine 
Sprachgrenze gebunden ist, bestimmen die der Handlung. In 
AnnabZlla hat Wos eine Darstellerin gefunden, die seine 
Absichten Zu realisieren vermag. Sie besitzt eine erstaunliche Fähig 
keit zu nuancieren, und wie sie das eine Mal ein Bild ausweg 
loser Trauer ist, so erstrahlt sie das andere Mal in der Glorie 
des Mütteralücks. 
Trotz solcher schwer zu überschätzender Qualitäten bleibt aber 
der Film weit hinter dem Ziel zurück, das Fejos ersichtlich vsrge- 
schwebt hat. Und zwar darum, weil das Werk schon von Geburt 
an mit einem Gebrechen behaftet ist. Erstrebt wird in ihm die Ver 
filmung einer Legende von so rein epischer Beschaffenheit, daß 
ihre Transportierung in die Filmsprache gar nicht gelingen kanm 
In der Legende spielt der chronologische Zeitablauf nur eine un 
wesentliche Rolle im Vergleich mit der legendären Zeit, die sich 
windschief zur chronologischen verhält. Diese episch wohl Zu ges 
stallende Zeit nun, die über Daten und Räume nach freiem Er^ 
messen verfügt, wird im Film oft bis zur Unerträglichkeit verzerrL. 
Um sie annähernd widerzuspiegeln, ist Fejos genötigt, fortwäh 
rend, zwischen langgezogenen Szenen und höchst summarisch verfah 
renden Auftritten zu wechseln. Manchmal steht der Uhrzeiger still, 
manchmal sind Monate oder Jahre ein Nichts. Was in der Legende 
Zur Einheit verwoben sein mag, erscheint eben im Film als ab 
ruptes Nacheinander. Diese Sprunghaftigkeit der Tempi, die ein 
starkes Unbehagen erzeugt, weist aber deutlich darauf hin, daß sich 
die Legende der Verfilmung widersetzt. Ihre Wahl wird dadurch 
noch problematischer, daß die legendäre Phantasie häufig der Vev- 
Lildlichung spottet. Sie ist im Himmel genau so wie auf der Erde 
zu Hause und kann sich in Reichen ergehen, die nie ein Auge erblickt. 
Daher muß der Filmregisseur notwendig scheitern, sobald er gewisse 
Sprachbilder optisch belegen will. Seine Feerien schmecken auch 
wirklich nach dem Atelier, seine Sterne sind künstlich, und die Erd 
kugel, auf die Marie niederschaut, ist ein Modell. Solche Illustra 
tionen sind Verfehlungen prinzipieller Art. Sie vernichten die 
Kraft des erzählten Märchens und kommen der Phantasie nicht zu 
Hilfe, sondern töten sie nur. Schließlich hat Fejos, vielleicht um 
einen abendfüllend Film herzustellen, die Maße im ganzen zu 
völlig genommen. Der Film erreicht eine Ausdehnung, der seine 
JHMe nicht gewachsen sind, In der knappen Legende beheimatet, 
werden sie sofort obdachlos, wenn man sie über die ihnen Zube 
stimmte absolute Länge hinaus streckt. 
Diese Einwande besagen selbstverständlich nichts gegen den 
außerordentlichen Wert, den der Film als Experiment hat. Die 
Filmschaffenden könnten viel von ihm lernen. 
Unterseeboot-Krieg. 
Krieg als Ereignis heroischer Pflichterfüllung: 
das ist das Thema des Ufa-Großfilm : „M orgenro t". Er ver 
anschaulicht auf Grund eines von Gerhard Menzel gestalteten 
Manuskripts eine Episode aus dem Unterseeboot-Krieg, deren 
wichtigste Szene die folgende ist Die Äerlebends Mannschaft des 
nach mehreren geglückten Unternehmungen vernichteten U-Boots 
sitzt im MALN Schiffsraum Zusammen und weiß, daß sie nur noch em 
paar Gründen Zu leben haben wird. Acht RetLungZappamte sind 
vorhanden, aber die Besatzung Zählt einschsießlich des Kapitän 
leutnants und des Oberleutnants Zehn Mann. Der Kommandant 
fordert die Mannschaft auf, sich Zu retten Sie erklärt, daß sie mit 
ihren Führe n zusammen sterben wolle. Erst der freiwillige Opfer 
tod des Oberleutnants und eines Matrosen — dieser ist ein Ein- 
U(ganger, jener hat eine (nur peripher angedeutete) unglückliche 
Webe — verpflichtet die übrigen Acht, fürs Vaterland weiterzulebem 
Die hier bewährte heroische Gesinnung wird im Verlauf der 
Handlung mit dem Verhalten der Heiniat konfrontiert. Der Film 
entwirft von ihr Schilderungen offizieller Art. Schuljugend stellt- 
sich Zum Empfang der Helden am Bahnhof alss, und der Bürger 
meister schwingt begeisterte Redem Entscheidend isi sich 
die Gesinnung der Front von der des Kleinstädtchens deutlich 
abhebt. Die Unterseeboot-Leute verwerfen den Heldenrummel ebenso 
bestimmt wie die Verzagtheit, die sich später der Gemüter zu Hause 
bemächtigt Ergänzt wird diese an der Bevölkerung des Hinter 
landes geübte Kritik durch die Mutter des KapM die 
dem Heroismus auf dre rechte Weise antwortet. Sie erklärt un 
gefähr: daß nach Siegen kein Grund zum ungebrochenen Jubilie 
ren vorliege, daß man auch immer der Opfer des Gegners 
km solle usw. (Ihre Worte wurden bei der Uraufführung am leb 
haftesten beklatscht.) Zu diesen an sich wohltuenden UbreKnnngsn 
wäre nur Zu bemerken, daß sie in eine reichlich - stilisierte Wieder 
gabe der wirklichen Verhältnisse eingefügt sind. Front und Heimat, 
haben in jenen Jahren faktisch anders ausgefthe^ es die Mal- 
Lypischsn Bilder des Films wahrhaLen möchten. 
Während nirgends ein Wort fällt, das dem Phänomen M 
Kriegs selber gilt, werden verschiedene SM 
den Geist heroischer Pflichterfüllung als einen GrundZug unseres 
Wesens ansprecheu. Der Kapitänleutnant sagt einmal, daß wir Zwar 
vielleicht nicht richtig Zu leben, aber dafür „fabelhaft" zu sterben 
verstünden. Und ein andermal bekennt er sich beinahe dankbar ZU 
einem Geschick, das der heldischen Haltung gemäß sei. Damit stimmt 
überein, daß in dem Film jede Frage nach dem Sinn des furcht 
baren Geschehens fehlt, das er Zeigt. Stumm wird es hingenom 
men, stumm abgewehrt oder herbeigeführt. Indem der Film so 
die heroische Weltanschauung verabsolutiert, entkräfte sie aber 
Zugleich. Denn echter Heroismus ist sich nicht Selbstzweck, sondern 
steht im Dienst des von der Erkenntnis gesetzten Ziels. Daher 
wäre es im nationalpädagogischen Interesse Zweifellos ratsamer, 
auf die Notwendigkeit einer Regelung unserer Angelegenheiten 
durch die Vernunft hinzuweisen, statt dem Heroischen ohne wei 
teres den Primat ZUZuerteilen. Vorausgesetzt, daß es darum geht, 
richtig zu leben , . . 
Der Film, der Zum Teil an Bord eines finnischen Unterseeboots
	        

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