Dieselbe geistige Einstellung, der man die Weckung jenes Ge-, spenstes und den ganzen an ferne Erscheinung anknüpfenden Geschichtstratsch dankt, Zeugt auch die aufgeregten Schwärme reien der unentwegt Erneuerungssüchtigen; denn- wer sich in strikten Gegensatz Zu einer Position setzt, erhebt sich nicht über! die durch sie bestimmte Sphäre. Es ist recht eigentlich diese Sphäre welthistorischer Pro- phetie und bindungslosen Neuschöpfertums, die verlassen werden muß, wenn es sich je mit uns bessern soll. Die Hal tung, die wir in ihr einnehmen, ist scheinhaft, und unwirk lich alles, was wir in ihr erfahren oder begehren. Das gilt zunächst für die Zeichendeuter der Weltgeschichte. Indem sie sich vermessen, das historische Universum unbeschränkt zu überblicken und objektiv zu erkennen, gedenken sie nicht mehr ihrer Gebundenheit an eine ganz bestimmte konkrete Situation; der Schauplatz der Weltgeschichte öffnet sich ihnen genau in dem Augenblicke, in dem sie von dem Schauplatz ihres wirk lichen Lebens abtreten. Da man aber nur solche Dinge kern ! haft erfaßt, zm denen man in einer wirklichen gesamtmensch- ! lichen Beziehung steht, sind ihre welthistorischen Konstruktionen und Synthesen, die dieser Beziehung gerade nicht entstam men, in Wahrheit wesenlos. Es ist schon so unendlich schwer, innerhalb des Lebenskreises, den man voll erfüllt, das Rich tige zu treffen. Wie sollte es da gelingen, Völker, Kulturen, Religionen, die man lediglich von ferne und außen gewahr wird, bei ihrem Namen zu nennend Derartige Einsichten rühren nur an die Oberfläche des Geschehens, weil man, sie zu gewinnen, sein wirklich es Selbst im Stich lassen muß und sie täuschen überdies ein Wissen vor, dessen Gott allein fähig wäre. Kierkegaard hat das Blendwerk der weltgeschichtlichen Spekulationen tief durchschaut. Er bemerkt in seiner Polemik gegen Hegel: „...Dagegen ist die Weltgeschichte der könig liche Schauplatz für Gott, wo er nicht zufällig, sondern wesent- j lich der einzige Zuschauer ist, weil er der einzige ist, der es sein kann. Zu diesem Theater steht der Zugang für einen ! existierenden Geist nicht offen. Bildet er sich da ein, Zuschauer zu sein, dann vergißt er bloß, daß er ja selbst auf dem kleinen Theater" — auf dem „Theater" seiner eigenen ethischen Entwick lung nämlich — „Schauspieler sein soll, indem er es jenem königlichen Zuschauer und Dichter überläßt, wie dieser ihn in dem königlichen Drama, dem ärLiuu. ärnrnntiini verwendet." Scheinhaft wie das welthistorische Getue sind die mit ihm verbündeten Unterg angsphantasteen. Nicht als ob es ganz von der Hand zu weisen wäre, daß eines Tages etwa Deutschland oder gar das Abendland ins Dunkel versinke — jedoch die Frage Mch^ ihrem UntWLML AWwr sie M WMM WhWL- diges Geschehen meint, ist falsch gestellt und muß darum ohne Antwort bleiben. Sie ist eine echte Zuschauer-Frage im Sinne Kierkegaards, die ganz außer Acht läßt, daß wir in das wirk liche Leben eingestellt sind, nicht um uns von ihm abzutrennen und es dann „objektiv" auf seinen Untergang oder Aufgang hin auszuforschen, sondern um als wirkliche Menschen uns in ihm zu bewähren und die Aufgaben Zu bewältigen, die von Fall zu Fall an uns herantreten., Eine solche Frage entwirk- licht uns und die Welt, sie zeigt an, daß wir uns aus der Ver bundenheit mit dem Geschehen gelöst haben, und ist gegenstands los, weil eine sinnvolle Erkenntnis nur in dieser Verbunden heit überhaupt gewonnen werden kann. Befinden wir uns in ihr, wie vermöchten wir uns unbeteiligt zu übersehen, wie zu erklügeln, wohin der Weg uns führt? Das hieße sich an die Stelle des „königlichen Zuschauers und Dichters" setzen und sollte uns zuletzt auch nicht kümmern. Alle Gedanken, die sich mit dem Untergang befassen, sind darum müßig; mehr noch: sie sind verderblich und selber Untergangsshmptom, denn sie lenken von dem Hier und' Jetzt ab, das allein uns angeht. , Scheinhaft schließlich ist das Trachten der Erneuerungssüch tigen aus Ueberschwang. Nicht anders als die theoretischen Un- heilsverkünder entziehen auch sie sich der Situation, die ihnen als Ort ihres Seins und Wirkens angewiesen ist. Während jene sich aber gleichsam selbst ausstreichen, um sich ganz der Betrachtung welthistorischer UnLergangsphänE Zu widmen, lassen diese nur ihren eigenen urwedingten Willen gelten und verkennen das Schwergewicht der Wirklichkeit, in die sie ein geflochten sind. So gut es ist, daß sie überhaupt fordern, so wenig es etwas gegen ihre Forderung besagt, daß sie auf Unerreichbare abzielt, die Abstraktheit und Leerheit ihres Rufes nach Erneuerung bezeugt allzu deutlich, daß er, genau so wie das Wchgeschrei über den Untergang, außerhalb des Be reichs unseres konkreten Lebens hallt und wiederhallt. Heißt es aber nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, wenn man wider eine angeblich altersmatte Menschheit eine angeblich funkelnagelneue plakatiert? Twrt ein Herabstnben aus der Wirklichkeit, hier ihr Ueberfliegen. Wo doch viel eher not wäre, daß man, Unauswachbares beiseite schiebend, die Bedingtheit unseres Wesens und unserer Einrichtungen Augestände und in eins wirkliche Beziehung zu den Dingen träte, die uns als An griffspunkte gegeben sind. Gehorsam gegen die „Forderung des Tages": das ist, um es mit einem Worte zu sagen, die alleinige Rettung vor der geräuschvollen Scheinhastigkeit der Zeit. Leistet man ihn, so stürzen die welthistorischen Kulissen von selber ein, und statt dem Untergang oder der Erneuerung nachzufmgen, wird . WN liebU WM km K MMen UmMuden ^2 7^,^) e^P SLLtvvi Von Dr. G. Kraeaner» "s^WMr^ Das Gerede vom Untergang, zu dem Spengler, jener ge waltige Oberbefehlshaber der Geschichte, in seinem umschrch- tigen Werk den Grund gelegt hat, schwirrt verheerend durchs Land. Und freilich: was Deutschland betrifft, scheint es von Tag zu Tag sich mehr zu rechtfertigen. Das Hineinträumen in die Zukunft ist uns längst verwehrt, gewiß ist nachgerade nur die Ungewißheit, und wenn leben heißt: ausgerichtet fern auf ein kommendes Heil, so leben wir schon seit unvordenklichen Zeiten nicht mehr. Da kein Band uns mit helleren Stunden verknüpft, sind wir erschlafft herabgeglitten, Beute der H ofs-^ nun gslosig kett, die ihr Werk der Zerstörung M- oefchästig an dem Volk vollbringt- Wie gelähmt starren wrr auf diesen Vorgang der Vernichtung, er verzaubert uns, reißt, uns bedrohlich mit sich fort. Begreiflich genug, daß in solcher Lage Nntergangsgeruchte Lppig ins Kraut schießen. Sie festigen sich aber um so mehr, als sie sich auf die Erkenntnis des gesamten Geschichtsablaufs zu stützen behaupten. Ja, es ist keine Frage: wir sind zu historischen Alleswissern geworden und betrachten die Ge schichte nur noch aus der Vogelschau. Nicht zufrieden damit, die Entwicklung, in der wir stehen, mit sorgenden Gedanken zu begleiten, lösen wir uns gleichsam aus ihr heraus, ver gegenständlichen sie und erforschen — ganz unpersönlich, ver steht sich —ihre Bahn und ihren Sinn. Und einmal in dieser Richtung unterwegs, dehnen wir die räumlichen und zeitlichen Blickfelder gleich ins Unabsehbare aus und tummeln uns munter in lauter welthistorischen Perspektiven. Kein Gebiet ist zu abgelegen, kein Glaubensbekenntnis zu fremd: wir er schauen es, nisten uns in ihm ein und versehen es mit einer eigenen Kennmarke. Wir mischen Brlddhismus, Konfuzianis- mms und MoharmnedanismuA, wie man Karten mischt, spielen Fangball mit Indien, China, Japan, verfügen über Kon tinente und Kulturen, daß es nur so eine Art hat, und durch messen die Jahrtausende mit Lichtgeschwindigkeit. Welt geschichte, immer nur Weltgeschichte, lautet die Losung. In ihren dröhnenden Gang werden die Religionen, die politischen Strömungen, die Richtungen des Kunst- und Geisteslebens ein getan, bis sie ebenfalls dröhnen, und alles Hier und Jetzt wird solange aufgeblasen und leergeblasen, bis es sich der historischen Betrachtung als würdig erweist. So setzen wir als Lhsaterdirektoren die Marionetten in Bewegung und verfolgen -SÄ Zuschauer MMierig-gM KW Ist das glücklich vollbracht, haben wir das uns Zugefügte und von uns Gewirkte in die Oede der allseitig geöffneten Horizonte hinausgestoßen, dann nimmt das Orakeln aus dem Kaffeesatz der Geschichte seinen Lauf. Eingeweideschauer und Astrologen ablösend, nahen sich mit wichtigen Mienen unsere modernen Magier und weissagen auf Grukd ihres Einblicks in die welthistorischen Konstellationen die Schicksale der Volker. Mit ausgezogenen Fernrohren stehen sie umher, er rechnen den Aug des Geschehens und treffen geographische, politische und kulturelle Dispositionen auf lange Sicht. Dem Abendland e geben sie im allgemeinen wenig Hoffnung mehr — wie könnten sie auch? Dafür verweisen sie tröstend etwa auf Rußland, das jetzt nach geheimnisollem Gesetz seine Bahn antvete, oder lassen wohl gar, wenn sie gnädig gestinunt sind, aus Amerika ein wenig Sonne scheinen. Die ehrfürchtig harrende Menge aber, die vielleicht irrtümlich meint, sie habe bei ihrem eigenen Untergang auch ein Wort mitzureden, wird durch jene prophetischen Bulletins in wahre Abgründe der Verzweiflung gestürzt. Und, von welthistorischem Schauer gepackt, fragt sie verängstigten Gemütes, ob denn das ange kündigte Verhängnis sich wirklich vollziehen müsse. Auch dort, wo diese Frage radikal verneint wird, befindet man sich noch in ihrem Bann. Viele möchten heute die Dreh orgelballade vom Untergang durch den Sirenengesang von der Erneuerung übertönen. Von jenen zur Erneuerung wahr haft Berufenen, die nicht zum wenigsten deshalb berufen sind, weil sie das historisch Gewordene und Seiende stets mit in ^Rechnung setzen, unterscheiden sie sich darin, daß sie eine Eigen macht des Gegebenen überhaupt nicht anerkennen, sondern ihrem subjektiven Willen allein geschichisblldende Kraft beimessen. Und sie spannen diesen Willen nach dem noch nie Dagewesenen hin, wähnen, daß die Welt, frei von Hast und Klammer, mit ihnen ganz von vorne beginne. In allen Tonarten fordem sie den neuen Menschen, die neue Gemein schaft, die neue Kunst, die neue Religion — das Vorhandene schert sie einen Pfifferling, es ist nur vorhanden, um aus gelöscht und erneuert zu werden. Halten die Andern Leichen- schmäuse zum Gedächtnis des Abendlandes, so begehen sie Freudenfeste in der Erwartung seiner Neugeburt. Aber diese Auferstehungsorgien, diese hemmungslosen Predigten von der Neuwerdung um jeden Preis erinnern verdächtig an gewisse tumultöse Veranstaltungen primitiver Völkerstämme, die der Verscheuchung böser Geister dienen. Der inbrünstige Schrei nach der neuen Menschheit ist am Ende doch zumeist ein ver- gebüchsr Fluchtversuch aus MschichÄicher Bedingtheit heraus, und mit all dem Klappern beweist man lediglich das ' eure, daß Wyr das UnterLanMespenst noch umschleichen sieht.!