Langeweike. Von Dr. S. Kracauer. Menschen, die heute überhaupt noch Zeit z'.rr Langeweile haben uno sich doch nicht langweilen, sind gewiß genau so langweilig wie die andern, die zur Langeweile nicht kom rnen. Denn ihr Selbst ist verschollen, dessen Gegenwart sie gerade in dieser so betriebsamen Welt dazu nötigen müßte, ohne Ziel und nirgendwo lang zu verweilen. Den meisten freilich fehlt es an Muße. Sie gehen einem D o'erwrrb nach, bei dem sie sich ganz ausgeben, damit «r vas Notwendige ihnen einbringe. Um den leidigen Zwang sich erträglicher zu gestalten, haben sie eine Arbeitsethik erfunden, die ihre Beschäftigung moralisch verbrämt und ihnen immer hin eine gewisse moralische Genugtuung verschafft. Daß der Stolz, sich als sittliches Wesen zu fühlen, jede Art von Lange weile verscheuche, wäre zu viel behauptet; aber die vulgäre Langeweile, die der Tagesfron gilt, kommt nicht eigentlich in Betracht, da sie weder tödlich ist, noch zu neuem Leben er weckt, sondern nur eine Unbefriedigung ausdrückt, die sofort verginge, wenn eine angenehmere Tätigkeit als die moralisch sanktionierte sich böte. Trotzdem mögen Mecklchen, die ihre Pslicht mitunter gähnen macht, weniger langweilig sein als solche, die ihre Geschäfte aus Neigung verrichten. Immer tiefer werden diese Unglücklichen in das Getriebe hineingr- mengt, sie wissen zuletzt nicht mehr, wo der Kopf ihnen steht, und jene ausbündige, radikale Langeweile, die sie mit ihrem Kopf wieder vereinen könnte, bleibt ihnen ewig fern. Nun ermangelt niemand der Muße durchaus. Das Büro ist kein Dauerashl und der Sonntag eine Institution. Grund' sätzlich hätte also jeder die Gelegenheit, in schönen Feier stunden sich zur richtigen Langeweile aufzuraffen. Indessen: man will nichts tun, und man wird getan. Die Welt sorgt dafür, daß man nicht zu sich gelange, und nimmt man auch vielleicht kein Interesse an ihr — sie selber ist viel zu interes siert, als daß man die Ruhe fände, sich so ausführlich über sie Zu langweilen, wie sie es am Ende verdiente, Wie nun aber, wenn man sich nicht verjagen läßt? Dann i t Langeweile die einzige Beschäftigung, die sich ziemt, da sie eine gewiss« Gewähr dafür bietet, daß n«n sozusagen noch über lern Dasein verfügt. Langweilt« man sich nicht, so wäre man vermutlich überhaupt nicht vorhanden und also nur ein Gegenstand der Langeweile mehr, was zu Amang behauptet wurde — man leuchtete über den Dächern auf oder liefe als Filmstreifen ab. Ist man aber vorhanden, so muß man sich notgedrungen über das abstrakt« Getöse ringsum langweilen, das nicht duldet, daß man existiere, und über sich selber, daß man in ihm existiert. Am besten, man verbringt den sonnigen Nachmittag, wenn alles draußen ist, in der Bahnhofshalle oder besser noch: man zieht daheim die Vorhänge zu und liefert sich auf dem Sofa seiner Langeweile aus. Umwölkt von tmsteMr, tändelt man dann mit den Ideen, die so gar sehr aeotbar sind, und bedankt die mancherlei Projekte, die sich ohne Grund wichtig nehmen. Schließlich begnügt man sich damit, mchts weiter zu tun al« bei sich zu sein und nicht zu wissen, was man eigentlich tun solle — sympathisch berührt allein durch den gläsernen Heu schreck auf der Tischplatte, der nicht springen kann, weil er aus Glas besteht, und durch die Unsinnigkeit eines Kektus-Pflänz- chenS, das nichts dabei findet, daß «s so schrullig ist. Un seriös wie diese Zlerge'chSpfe, hegt man nur noch eine innere Unruhe ohne Ziel, «in Begehren, das zurückgestoßen wird, und den Ueberdruß an dem, was ist, ohne zu sein. Hat man freilich d!« Geduld, jene Geduld, die zur legi timen Langeweile gehört, so erfahrt man Beglückungen, die nahezu unirdisch sind. Eine Landschaft erscheint, in der bunte Pfauen stolzieren, Menschenbilder neigen sich, die voller Seele sind, und siehe, auch deine Seele schwillt, und du benennst ver zückt das stets Vermißte: die große Passion. Ginge sie nieder, die wie ein Komet dir schimmert, ging« sie ein i*: dich, in die andern, in di« Welt — ach, die Langeweile hätte ein Ende, und alles, was ist, es wäre ... Doch die Menschen bleiben ferne Bilder und am Horizont verzischt die große Passion. Und in der Langeweile, die nicht weichen will, brütet man Bagatellen aus, die so langweilig sind wie diese. . I F sd - ^Londerschau de3 SraäMcheu Bauhauses. > - Zing- le? s Kabinett in Frankfurt stellt gegenwärtig Erzeugnisse dcs O-'ccr Staatlichen B-auban;es aus. Vorwiegend Keramik: große Schmuckvasen, Kannen aller Services, Luien und Becher. Tie strenge Sachlichkeit der Gebilde vereint sich oft Mit kchonbew-egtem Umriß, und der Verzicht auf Ornamentik wird ausgeglichen durch lebendigen Farbenfluß. Gewiß: der Wille gtt radikaler Stisi-'erung fnbrt bie und da FehlfoiMen herauf, die auch technisch nicht einwandfrei sind; und die ArLvitas der Gefäße vunrüge nicht selten Milderung — aber diese Mängel treten nur im Gef^ge eines künstlerischen Anstandes und einer Gradhe't auf, die man um keinen Preis missen mochte, zumal sie in vielen Fällen (wie Lei dem Tecgescmrr aus Messing, aparte und einleuchtende Löchri gen zu finden weiß. Die Mehrzahl der Dinge ist in typischen Formen 2 len und recht daZu geeignet, die mancherlei Greuel zu ver drängen. die in den Hausbcht'mgen noch ibl- UnwesM traben NcL:n diesen Produkten der Dornburger Töpferei wird Kin der Spielzeug dargeboten, d^s bunt uns geometrisch ist und der kindlichen Phantasie den größten Spielraum gewährt. Reiz voller muten — von einigen Experimenten abgesehen ---die Weh stes? an. d^ren Bemustrrung so -fein abgewogen ist wi? die Skala der Farbentöne Xr. Man schlendert des Abends durch die Straßen, gesättigt von einer Unerfülltheit, aus der die Fülle zu keimen vermag. Da ziehen leuchtende Worte an den Dächern vorüber, und schon ist man aus der eigenen Leere in die fremde Re klame verbannt. Der Körper schlägt Wurzeln im Asphalt, und der Geist, der nicht mehr unser Geist ist, streift mit den aufllärenden Lichtbekundungen endlos aus der Nacht in die Nacht. Wäre ihm noch ein Verschwinden gegönnt! Aber ! wie der Pegasm, der ein Karussel bedient, muß er im Kreise sich drehen, darf es nicht müde werden, vom Himmel hoch den Ruhm eines Likörs und. das Locher bestenAünf-Pftn- rug-Zigc rette zu künden. Irgend ein Zauber treibt ihn mit, den tausend Glühbirnen um, aus denen er wieder und wieder ! zu gleißenden Sätzen sich formt. Kehrt er zufällig einmal zurück, so empfiehlt er sich als bald, um in einem Kino vielgestaltig sich abkurbeln zu lassen. Er hockt als künstlicher Chinese in einer künstlichen Opium kneipe, verwandelt sich in einen dressierten-Hund, der einer Filmdiva zuliebe lächerlich kluge Handlungen begeht, ballt sich zu einem Unwetter im Hochgebirge zusammen, wird zum Zic- kusartisten und zum Löwen zugleich. Wie könnte er sich der Metamorphosen erwehren? Die Plakate stürzen in den Hohl- raum, den er selber nicht ungern erfüllte, sie zerren ihn vor die Leinwand, die so kahl wie ein ausgeräumter Palazzo ist, und wenn nun Bilder um Bilder entsteigen, so besteht außer ihrer Unbeständigkeit nichts in der Welt. Man vergißt sich im Gaffen, und das große dunkle Loch belebt sich mit dem Schein eines Lebens, das niemandem gehört und alle verbraucht. Auch das Radio zerstäubt die Wesen, noch ehe sie einen Funken gefangen haben. Da viele senden zu müssen glauben, befindet man sich in einem Zustand dauernder Emp fängnis, trächtig stets mit London, dem Eiffel-Turm und Ber lin. Wer wollte dem Werben der zierlichen Kopfhörer wider stehen? Sie glänzen in den Salons, sie ranken sich selbsttätig um die Häupter — und statt eine gebildete Unterhaltung zu pflegen, die ja gewiß langweilen mag, wird man zum Turn-- meldfeld von Weltgeräuschen, die, ihrer etwaigen objektiven Langeweile ungeachtet, nicht einmal das bescheidene Recht auf die persönliche Langeweile zugestehen. Stumm und leblos sitzt man beisammen, als wanderten die Seelen weit umher; aber die Seelen wandern nicht nach ihrem Gefallen, sie werden von der Nachrichtenmeute gehetzt, und bald weiß niemand s mehr, ob er der Jäger ist oder das Wild Gar im Cas6, hier, wo man wie ein Igel zusammenschnurren und seiner Nichtig keit inne werden möchte, tilgt ein bedeutender Lautsprecher jede Spur der privaten Existenz. Seine Mitteilungen durch walten in den Konzertpausen den Raum, und die lauschenden Kellner wehren entrüstet das Ansinnen ab, dieses Mimikry eines Grammophons beiseite zu schaffen. Während man ein solches Antennenschicksal erleidet, rücken die fünf Kontinente immer näher heran. Nicht wir sind es in Wahrheit, die »u ihnen ausschweifen, ihre Kulturen viel mehr nehmen in grenzenlosem Imperialismus von uns Besitz. I Es ist, als träumte man einen jener Träume, die der leere ! Magen gebiert. Eine winzige Kugel rollt ganz aus der Ferne auf dich zu, sie wächst sich zur Großaufnahme aus und braust zuletzt über dich her; du kannst sie nicht hemmen, noch ihr ent rinnen, gefesselt liegst du da, ein ohnmächtiges Püppchen, das von dem Riesenkoloß mitgerissen wird und in seinem Umkreis k vergeht. Flucht ist unmöglich. Entwirren sich taktvoll die chinesischen Wirren, so bedrängt sicherlich -in amerikanischer! Boxermatsch^std das Abendland bleibt immerdar, ob mag es ancrkennt oder nicht. Alle welthistorischen Ereignisse dieses Erdballs — die gegenwärtigen nicht nur, sondern auch die vergangenen, die in ihrer Lebensgier schamlos sind — haben lediglich das eine Verlangen: sich ein Stelldichein dort zu geben, wo sie uns anwesend vermuten. Die Herrschaft jedoch ist in ihrer Wohnung nicht anzutreffen, sie ist verreist und unauffindbar, sie hat die leeren Gemächer längst der Kur- prisinK part^ überlassen, die sich in ihnen als Herrschaft gebärdet.