Fabeln, sie dienen der Abfindung, und wer weiß, ob es nicht Berechnung gewesen, daß man ihm gerade Zeitschriften solchen Inhalts, noch dazu illustrierte, als Bildungsstosf reichte. Jedenfalls empfindet das Klavier stets Bitterkeit, wenn es an das Dasein von Flügeln denkt. Dabei ist sein Ehrgeiz nicht einmal so verwegen, daß es sich gleich in einen Konzert- § flüge; versetzte. Nein, es wollte nur ein Zimmerflügel sein, ein Flügel von mittelgroßer Statur, der nicht in der Ecke stünde, sondern allgemein geachtet inmitten des Raums. Die Einrichtungsgegenstände wären ihm gegenüber zur Höflichkeit ungehalten, und in seiner Nähe dürften nur Personen ver weilen, die seinem Gefühlsleben mit Achtung begegneten. An dem Verständnis dieses keinen Kreises wäre ihm sogar in viel höherem Maße als an lärmendem Beifall gelegen, denn den reichsten Lohn für seine Darbietungen findet der Künstler zu ! letzt in sich selber. ? Hat das Klavier sich erst von der Wirklichkeit entfernt, so kennt es, wie nicht geleugnet werden soll, keine Grenzen mehr, sondern erwägt in seinem Innern, daß es auch ein Konzertflügel sein könnte, ja, behauptet mit volley Morden, daß es nur als Konzertflügel den Platz einnähme, der ihm v-on rechtswegen gebührte. Es sieht sich feierlich auf dem - Podium stehen, erhobenen Deckels, wie es dem Ernst der Stunde entspricht. Auserwählte aller Nationen sind beauftragt, seine Eingebungen der lauschenden Menge zu künden; nicht selten haben ste sich beschwerlichen Reisen unterzogen, um noch rechtzeitig zur Stelle zu sein. Das Klavier erinnert sich daran, daß, einer Ueberlieferung zufolge, ein Konzertflügel bei solcher^ Gelegenheit einmal wirklich geflogen sei, und malt sich die Beseligung aus, die jener Flügel damals empfunden haben müsse. Befände es sich selber in dieser Lage, es zöge in ' weiten Spiralen über der Menge dahin, immer höher, zur Decke empor, durch die es am Endg. entschwebte. Kein Tönen mehr wäre geboten, durch das Kreisen im Saale allein erfüllte es sich... Die Folge derartiger seelischer Ausschweifungen sind ge wöhnlich lang andauernde Erschöpfungszustände, in denen das Klavier nicht das Geringste zu arbeiten vermag. Teilnahms- los erduldet es die Vorwürse der Leute, die es des Undanks Zeihen; es könnte ihnen entgegnen, daß ste an seiner Ver wahrlosung mitschuldig seien, aber Mangel an Selbstvertrauen verschlägt ihm die Töne. Dieser Mangel wird noch durch das merkwürdige Verhalten der Möbelstücke verstärkt. Sie überlassen es mehr und mehr seinem Schicksal, statt es wie früher zum Gegenstand ihres Spottes zu machen, der doch, so wohlfeil immer er war, eine Art von Gemeinsamkeit zwischen ihnen, i schuf — eine Wendung, die vermutlich auf höheren Orts er-f tMk BMWW MÄHpWM U AMD M DW -Mt Langeweile sich erklärt. Für jenen Umstand zeugte der ver bissene Eifer, mit dem sie neuerdings ihre täglichen Pflichten erledigen, für diesen das rege Interesse, das sie dem kürzlich eingetroffenen Radioapparat entgegenbringen. Aus ihren Ge sprächen ist zu erraten, daß sie sich zwar über die Unruhe ärgern, die das Drahtgestell stiftet, aber dafür nicht genug seinen Fleiß und seine Willigkeit zu rühmen wissen, durch die es von der schwarzen Holzkiste vorteilhaft absteche. Der Eß tisch fängt begierig die Nachrichten aus Uebersee aus, weil er die an ihm geführten Unterhaltungen genau verfolgen möchte, und der Stuhl dreht sich aus eigenem Antrieb so hoch er nur kann, um in steter Verbindung mit den Antennen zu bleiben. In seiner Verzweiflung Nagt das Klavier sich an, daß es vielleicht nur aus übertriebenem Zartsinn den an es gestellten Ansprüchen nicht genüge und überhaupt im ganzen zu einseitige nach innen gerichtet sei. Auf Grund dieser Ueberlegung ge langt es zu der Erkenntnis, es müsse sich in Zukunft etwas veräußerlichen und nach einer Berührung mit dem wirklichen Leben trachten. Sein Pflichtbewußtsein als Klavier läßt den Entschluß in ihm reifen, mehr als bisher Zerstreuungen auf- zusuchen, die ihm noch am ehesten eine solche Berührung ver mitteln dürften. Eine Abends rollt es aus dem Zimmer, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, daß man seine Ab wesenheit nicht bemerkt. So sehr es auch die Straßen seit jenen Tagen verändert findet, in denen noch Wanderklaviere, mit farbigen Bändern geziert, ste fröhlich durchzogen, zu der oft gehörten pessimistischen Ansicht, daß ihr Wandel notwendig eine Verschlimmerung bedeute, kann es sich schlechterdings nicht bekennen. Im Gegenteil, es erbaut sich an dem Gedanken, daß der scheinbar planlose Autoverkehr sich in Wahrheit nach ganz bestimmten Regeln wie von selber vollzieht, und empfindet einen gewissen Stolz dabei, gleich den anderen Passanten ein Glied in der Kette zu sein. Ueber der Betrachtung dieser höheren Ordnung vergißt es seine eigenen Sorgen und klimpert leise so vor sich hin. Da sich, wie das Klavier wohl weiß, in manchen Ver gnügungsstätten heruntergekommene Kameraden aufzuhalten pflegen, die hier ein« nicht unbedenkliche Tätigkeit ausüben sollen, schreitet «Z nach einem begreiflichen Zögern zum Besuch eines Nachtlokals. Von der Bardame seines zugeklappten Deckels wegen mit freundlichem Nicken begrüßt, stellt es sich gewohnheitsmäßig in einer der Ecken auf, die jedoch in diesem Raum eine größere Wertschätzung zu genießen scheinen als die Ecken zuhause. Statt der erwarteten Kameraden trifft es freilich nur etliche ihm unbekannte Instrumente an, ameri kanische Gäste offenbar, di« durch auffallende Bewegungen sein Befremden erregen. Nicht daß es ihnen den Sinn für Rhythmus absprechen möchte — aber ihre Gefühle sind von tGWY durchaus MUMM, KAU !einM Sorjatz, da» Heben kennen W lernen, bemüht «s sich indessen, mit ihnen in f Verbindung zu treten und auch seinerseits sich zu eröffnen. Die Ausführung dieser Absicht wird unverhofft durch das Entgegenkommen einer jungen Tarne begünstigt, die schon seit geraumem ihr Bein an das seine schmiegt. Das Unterlassen eines Widerstandes ermutigt sie zuletzt dazu, auf eine höchst leichtfertige Weiss seinen Deckel hochzuheben und «s zärtlich zu betasten. Etwas anderes hat das Klavier garnicht bezweckt. Entzückt wendet es sich jenen ausländischen Instrumenten zu;. gewisse Themen, der Auseinandersetzung wert, schweben ihm vor. Schlimmes begibt sich: es versagt. Tonleitern und, Gemeinplätze nur, dieselben, mit deren Wiedergabe es sich da heim Jahre hindurch hatte begnügen müssen, dringen aus seinem allzulange der ÄeuHerung entwöhnten Innern hervor.«' Am Ende verwirrt es sich in Gestammel, weil es spürt, wie falsch gerade hier alles klingt. Enttäuscht, auf schlaffe Saiten gestoßen zu sein, zieht sich die junge Dame zurück. Peinlicher ist das Verhalten der Ueber- seekschen; sie sind über die Dreistigkeit des Klaviers chokiert Mb weigern sich, in ihrer Beschäftigung fortzufahren, ehe ihnen nicht Genugtuung wird. Die Bardame, verdrossen darüber, daß ihr abgewogenes Nicken vorhin auf falscher Voraus setzung beruhte, besiehlt die schleunige Entfernung des Kla viers. Sofort wird sein Deckel zugeschlagen. Es fliegt auf die Straße. Immer höher fliegt es empor, in weiten Spiralen kreist es Wer der Menge. Während es, verstörten Gemütes, durch die Lüste zu entschweben wähnt, transportieren mitleidige Spazier- gäikger, die au? einem zerkratzten Schild seine Privatadresse .erkundet haben, das verlassene irdische Gehäuse wieder nach Hm Zimmer, dessen Einrichtung nicht zu ihm paßt.