sellschaftliche Wirklichkeit sich gewandelt hat, der es zuge ordnet war. * zu dem das körperhafte szenische Spiel sich gesellt: Pantomime, Ballett. Bis zuletzt die weiße Fläche herabsinkt und die Ereig nisse der Raumbühne unmerklich in die zweidimensionalen j Illusionen übergehen. ! Vorführungen wie diese sind heute in Berlin neben den echtbürtigen Revuen die entscheidende Attraktion. Die Zer streuung gelangt in ihnen zu ihrer Kultur. Sie gelten der Masse. Die großen Lichtspielhäuser in Berlin sind Paläste der Zer streuung; sie als „Kinos" zu bezeichnen, wäre despektierlich. Diese reihen sich nur in Alt-Berlin und den Außenstädten noch, wo sie das kleine Publikum versorgen; ihre Zahl nimmt ab. Mehr als durch sie oder die Sprechtheater gar wird das Gesicht Berlins durch jene optischen Feenlokale bestimmt. Die Ufa Paläste — vor allem der am Zoo — das von Poelzig er richtete Capitol, das Marmorhaus, und wie sie heißen mögen, erzielen Tag für Tag Ausverkäufe. Daß die Entwick lung in der von ihnen eingeschlagcnen Richtung weitergeht, beweist der Neubau des G l o r i a - P a l asts. Gepflegter Prunk der Oberfläche ist das Kenn zeichen dieser Massen-Theater. Sie sind wie die Hotelhallen Kultstätten des Vergnügens, ihr Glanz bezweckt die Erbauung. Eröffnet aber auch die Architektur SLimmungs - Kanonaden auf die Besucher, so fällt sie doch keineswegs in das barbarische Prangen wilhelminischer Profankirchen zurück; des Rhein goldes etwa, das glauben machen will, es berge den Wagner- schen Nibelungenhort. Sie ist vielmehr zur Form gediehen, die stilistische Ausschreitungen meidet. Geschmack hat über den Dimensionen gewaltet und im Bunde mit einer hochgezüchteten kunstgewerblichen Phantasie die kostbare Ausstattung ge schaffen. Der Gloria-Palast gibt sich als Barock-Theater. Die Gemeinde, die nach Tausenden zählt, kann zufrieden sein, ihre Versammlungsorte sind ein würdiger Aufenthalt. Auch die Darbietungen sind von wohlgeratener Großartig keit. Vorbei ist die Zeit, in der man einen Film nach dem anderen mit entsprechender Musikbegleitung laufen ließ. Die Haupttheater zum mindesten haben das amerikanische Prinzip der geschlossenen Vorstellungen übernommen, in die sich der Film als Terl eines größeren Ganzen einfügt. Wie die Pro grammzettel zu Magazinen sich weiten, so die Aufführungen zur gegliederten Fülle der Produktionen. Aus dem Kino ist ein glänzendes, revueartiges Gebilde herausgekrochen: das Gesamtkunstwerkder Effekte. Es entlädt sich vor sämtlichen Sinnen mit sämtlichen Mitteln. Scheinwerfer schütten ihre Lichter in den Raum, die festliche Behänge übersäen oder durch bunte Glasgewächse rieseln. Das Orchester behauptet sich als selbständige Macht, seine Leistungen werden von den Responsorien der Beleuchtung unterstützt. Jede Empfindung erhält ihren klanglichen Ausdruck, ihren Farb wert i^Stzettrum^-Mn^MM Kaleidoskop, Sie verfehlen zumeist diese Wirkung; die Vorstellungen der großen Lichtspielhäuser beweisen es exemplarisch. Denn, rufen sie auch Zur Zerstreuung auf, so rauben sie ihr doch sogleich wieder dadurch den Sinn, daß sie die Mannigfaltigkeit der Effekte, die ihrem Wesen nach von einander isoliert zu werden verlangen, zur „künstlerischen" Einheit zusammenschweißen, die bunte Reihe der Aeußerlichkeiten in ein gestalLhaftes Ganzes pressen möchten. Der architektonische Rahmen schon neigt zur Betonung der Wurde, die den oberen Kunstinstituten eignete. Er beliebt das Gehobene und Sakrale, als umfinge er Ge bilde von ewiger Dauer; noch ein Schritt weiter, und die Weihkerzen leuchten. Die Vorführung selber erstrebt das gleiche hochgelegene Niveau, sie soll ein wohlabgestimmter Organis mus sein, eine ästhetische Totalität wie nur das Kunstwerk. Der Film allein wäre des Gebotenen zu wenig; nicht so sehr deshalb, weil man noch mehr Zerstreuungen häufen wollte, als vielmehr der künstlerischen Abrundung wegen. Das Kino hat ! sich eine vom Theater unabhängige Geltung erworben; die i führenden Lichtspielhäuser sehnen sich wieder nach oew ! Theater Zurück. Ihrer Zielsetzung, die als Symptom auch des Berliner ge sellschaftlichen Lebens angesprochen werden darf, wohnen reaktionäre Tendenzen inne. Die Gesetze und Formen - jener idealistischen Kultur, die nur als Spuk heute noch ! West, haben in ihnen Avar ihr Recht eingebüßt, aber aus den Elementen der Aeußerlichkeit, zu denen sie glücklich vorgedrungen Kult der Zerstreuung. Ueber die Berliner Lichtspielhäuser. Von Dr. S. Kraeauer. Man schilt die Berliner Zerstreuungssüchtig; der Vorwurf ist kleinbürgerlich. Gewiß ist die Zerstreuungssucht hier größer als in der Provinz, aber größer und fühlbarer ist auch die Anspannung der arbeitenden Massen — eine wesent lich formale Anspannung, die den Tag ausfüllt, ohne ihn zu füllen. Das Versäumte soll nachgeholt werden; es kann nur in der gleichen Oberflächensphäre erfragt werden, in der man aus Zwang sich versäumt hat. Der Form des Betriebs ent spricht mit Notwendigkeit die des „Betriebs". Ein richtiger Instinkt sorgt dafür, daß das Bedürfnis nach ihm befriedigt werde. Jene Zurüstungen der Lichtspielhäuser be zwecken das eine nur: das Publikum an die Peripherie Zu fesseln, damit es nicht ins Bodenlose versinke. Die Erregungen der Sinne folgen sich in ihnen so dicht, daß nicht das schmalste Nachdenken sich Zwischen sie einzwängen kann. Schwimm- !korken gleich halten die Ausstreuungen der Scheinwerfer und die musikalischen Akkompagnements über Wasser. Der Hang zur Zerstreuung fordert und findet als Antwort die Entfaltung der puren Äußerlichkeit. Daher gerade in Berlin das unabweisbare Trachten, alle Darbietungen zu Revuen auszugestalten, daher als Parallelerscheinung die Häufung des Jllustrationsmaterials in der Tagespresse und den perio dischen Publikationen. Diese Veräußerlichung hat die Aufrichtigkeit für sich. Nicht durch sie wird die Wahrheit gefährdet. Sie ist es nur durch die naive Behauptung irreal gewordener Kultur werte, durch den unbedenklichen Mißbrauch von Begriffen wie Persönlichkeit, Innerlichkeit, Tragik usw., die an sich gewiß hohe Sachgehälte bezeichnen, infolge der sozialen Wandlungen aber zu einem guten Teile ihres Umfangs des tragenden Untergrundes verlustig gegangen sind und, in den meisten Fällen, heute einen schlechten Beigeschmack angenommen haben, weil ste das Augenmerk von den äußeren Schäden der Gesell schuft mehr als billig ablenken auf die Privatperson. In den Bereichen der Literatur, des Theaters, der Musik sind solche Vecdrängungserscheinungen häufig genug. Sie geben sich das Ansehen der hohen Kunst und sind tatsächlich überlebte Ge bilde, die vorbeischielen un den aktuellen Nöten der Zeit — ein Faktum, das mittelbar dadurch bestätigt wird, daß die ge meinte Produktion auch innerkünstlerisch epigonenhaft ist. Das Berliner Publikum handelt in einem tiefen Sinne wahrheits gemäß, wenn es diese Kunstereignisse mehr und mehr meidet, die zudem aus guten Gründen im bloßen Anspruch stecken bleiben, und dem Oberflächen^ der Stars, der Filme, der Revuen, der Ausstattungsstücke den Vorzug erteilt. Hier, im reinen Außen, trifft es sich selber an, die Zerstückelte Folge der splendiden Sinneseindrücke bringt seine eigene Wirklich keit an den Tag. Wäre sie ihm verborgen, es könnte sie nicht angreisen und wandeln; ihr Offenbarwerden in der Zer streuung hat eine moralische Bedeutung. Freilich dann nur, wenn die Zerstreuung sich nicht Selbst zweck ist. Gerade dies: daß die ihrer Sphäre zugehörigen Vor führungen ein so äußerliches Gemenge sind wie die Welt der Großstadtmasse, daß ste jedes echten sachlichen Zusammen hangs entraten, es sei denn des Kittes der Sentimentalität, der den Mangel nur verdeckt, um ihn sichtbar Zu machen, daß sie genau und unverhohlen die Unordnung der Gesell schaft den Tausenden von Augen und Ohren vermitteln — dies gerade befähigte sie dazu, jene Spannung hervorzurufen und wachzuhalten, die dem notwendigen Umschlag vorangehen muß. In den Straßen Berlins überfällt nicht selten für Augenblicke die Erkenntnis, das alles Platze unversehens eines Tages entzwei. Die Vergnügungen auch, zu denen das Publikum drängt, sollten so wirken. Auch in der Provinz sammeln sich Massen; aber sie werden hier unter einem Druck gehalten, der ihnen nicht er laubt, sich geistig in dem Maße zu erfüllen, wie es ihrer Quan tität und realen sozialen Bedeutung entspräche. In den In dustriezentren, wo ste geschlossen auftreten, sind sie als Arbeiter Zu stark beansprucht, um die eigene Lebensform zu verwirk lichen. Man spendet ihnen den Abfall und die veralteten Unter haltungen der OberkLasse, die selber, so interessiert sie auch an der Betonung ihrer sozialen Hochwertigkeit ist, nur geringe Bildungsansprüche hat. In den nicht vorwiegend von der Indu strie beherrschten größeren Provinzstädten wiederum sind die überkommenen Verhältnisse zu mächtig, als daß die Massen von sich aus die geistige Struktur zu prägen vermöchten. Die bürgerlichen Mittelschichten verharren abgesondert von ihnen, als ob die Ausfüllung des Menschenreservoirs nichts besage, und können, immer noch, wähnen, daß sie die Hüter höherer Bildung seien. Ihr Hochmut, der sich Scheinoasen schasst, drückt die Massen herab und macht ihre Vergnügungen schlecht. Die vier Millionen Berlins sind nicht zu über sehen. Die Notwendigkeit ihrer Zirkulation allein verwandelt das Leben der Straße in die unentrinnbare Straße des Lebens, ruft Staffagen hervor, die bis in die vier Wände dringen. Je mehr sich aber die Menschen als Masse spüren, umso eher erlangt die Masse auch auf geistigem Gebiet formende Kräfte, deren Finanzierung sich lohnt. Sie bleibt nicht mehr sich selbst überlassen, sondern setzt sich in ihrer Verlassenheit durch: sie duldet nicht, daß ihr Reste hingeworfen werden, son dern fordert, daß man ihr an gedeckten Tischen serviere. Für die sogenannten Bildungsschichten ist daneben wenig Raum. Sie müssen mitspeisen oder snobistisch abseits sich halten: ihre provinzielle Abschneidung jedenfalls hat ein Ende. Durch ihr Aufgehen in der Masse entsteht das homogene Well st a d t - P u b l i k u m, das vom Bankdirektor bis zum Hand lungsgehilfen, von der Diva bis zur Stenotypistin eines Sinnes ist. Larmoyante Klagen über diese Wendung zum Massengeschmack hin sind verspätet. Denn das VildungsPit, dessen Aufnahme die Massen verweigern, ist Zum Teil ein nur mehr historischer Besitz geworden, weil die ökonomische und ge-