Die Mißet auf Deutsch. Zur Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Von Dr. Siegfried Kraeauer» Erschienen ist: „Das Buch im Anfang", der erste Teil einer auf zwanzig Bände berechneten Übersetzung des Alten Testaments*); Martin Buber und Franz Rosen- Zweig sind die Verdeutschen Das Unternehmen bezeichnet eine Stufe ihrer Entwicklung, die nicht allein die ihre ist. Rosenzweig, dessen Erkenntnisleistung tiefer als die Bu'öers führt — sie ist schwerer zugänglich darum —, hat in seinem philosophischen Hauptwerk: „Der Stern der Erlösung", einer an gültigen Interpretationen reichen systematischen Konzeption, die Abkehr von der verfallenden idealistischen Philosophie grundsätzlich zu vollziehen gedacht; als exemplarischer Ausdruck einer ihrem Abschluß zudrängenden Zeit ist das Buch ein ge schichtliches Dokument hohen Ranges. Er hat im Sinne jener Abkehr durchaus folgerichtig dann die Haft in der Wirklichkeit des religiös gebundenen jüdischen Lebens gesunden. Die Gründung des Freien jüdischen Lehrhauses zu Frankfurt und etwa die Jehuda Halevi-Uebertragung belegen nach außen hin seine Wendung von der Theorie Zur Praxis. Buber, der Führer eines Teils der jüdischen, zumal der zionistischen Jugend, begegnet sich in dieser Wendung mit ihm. Der deutschen OessentlichkeiL ist er weniger durch seine Übersetzungen aus der östlichen Literatur, als durch seine jahrzehntelangen Be mühungen um die Erschließung des Chassidismus bekannt.! Ihr Ertrag ist die Reihe der von ihm herausgegebenen chassi- dischen Legendensammlungen, die zu einem ansehnlichen Zu wachs des westeuropäischen Bildungsguts geworden sind. Die von ihm und Rosenzweig heute dargestellte Lebens und Erkenntnishaltung darf nur mit Vorbehalt eine „religiöse" genannt werden. Der Begriff duldet Anwendung, wenn er nicht wie üblich der Abgrenzung eines eigenen Sonderbereichs, eben des religiösen, dient, sondern auf eine Form des Existierens hinzielt, die, ihrer Intention nach, den ganzen Menschen in die Wirklichkeit setzt. Eine Lebens Praxis ist mit ihm ge meint, die auf dem Grunde der realen Beziehung Zu den wesentlichen, hier durch die Schriftzeugnisse des Judentums vermittelten Wahrheitsgehalten gedeiht; nicht eine theoretische *) «Die Schrift". Au verdeutschen unternommen von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenz we i g. Verlag LaMert Schneider, Berlin. - ' Bewußtseinseinstellung oder ein rein innerreligiöses Unter fangen nach Art der liturgischen Bewegung. Aus dem Willen zur Bekräftigung eines solchen Lebens mag die neue Verdeutschung entstanden sein.. Man wird sie nicht als ein abgelöstes literarisches Produkt zu verstehen haben, vielmehr als Zeugnis und Wirkung eines religiösen Kreises — sei. er faktisch vorhanden oder erfragt. Die Erwartung der Antwort bestimmt ihre Form. Nur die Absicht, unmittelbar den ganzen Menschen oder die Gemeinschaft gar anzusprechen, kann Zu ihrer komm entar losen Darbietung bewogen haben. Das Weglassen des textkritischen Apparats setzt nicht minder die Ueberzeugung voraus, daß das Schriftwort seine bleibende Macht bewähre. Die Verfasser streben die wörtliche Uebersetzung und rhythmische Treue an; den Grundsätzen ge mäß, die Rosenzweig in seinem Jehuda Halevi entwickelt hat. Die hebräische Sprache soll nicht verdeutscht werden, sondern das Deutsch in jene sich hineindehnen, um mit der Gewalt des Ebenbilds die ihm Zugewandten zu ergreifen. So wesentlich die philologische Ausgabe ist, vor die der erste Band stellt: die Begleichung des Textes mit dem Original, die Erörterung der Rhythmik, die Diskussion der Abweichungen von der masoretischen (d. h. von der in der jüdischen Ueberliefe rung maßgebenden) Fassung — sie ist die nächste nicht. Dringlicher meldet die Verpflichtung sich an, die in sich ge schlossene deutsche Sprachform der Uebersetzung selber Zu prüfen; eine Beschränkung des Aspekts, die unbedenklich ist, weil die Autoren tatsächlich sachkundig und gewissenhaft ver fahren sind. Durch die Sprachanalyse wird die Haltung mit bezeichnet, der das Werk zugehört, ihr sprachlicher Ausdruck macht mittelbar ihren eigenen Sinn transparent. Sie ist die des religiösen Kreises, den die Verdeutschung zunächst erreichen mag. Im Zeichen der „religiösen Erneuerung" haben sich auch innerhalb der katholischen und protestantischen Einfluß sphäre Gruppen gebildet, die mit der um Buber und Rosen- zweig gescharten formal darin übereinstimmen, daß sie den Menschen auf die in der Religion eröffneten Wahrheiten wie der zu beziehen trachten. Für sie auch wird Zutreffen müssen, was von dem idealen Lesezirkel des Bibelwerks etwa sich aus sagen läßt. Die Sprache gleicht dem Fleck zwischen Siegfrieds Schulterblättern, auf den das Lindenblatt gefallen ist; an dem Leib der mächtigen Realitäten ist sie die einzige Stelle, die der Zauber des Drachenbluts nicht schützt. * Nicht wie für die Uebersetzung anderer Texte sind für die des Bibelwerks ästhetische Kriterien vorwiegend die Norm. Zum Unterschied von jenen, die in der Zeit stehen und mit ihrem Ablauf sich wandeln, fordert, dieses zu Mn Zeiten Geltung als Wahrheit. Das durch seinen Wahrheitsanspruch legitimierte Verlangen, unmittelbar in die Gegenwart zu wirken, stellt das rein ästhetisch Gebotene hinter die Er len ntnispflichten des Uebersetzers zurück, da es vorab den Punkt ihn finden heißt, an dem die von dem Wort gefaßte Wahrheit in die Zeit eindringen könne, auf die sie als Wahr heit Bezug haben muß. Der Inhalt dieser Erkenntnis ent scheidet über die Möglichkeit der Uebersetzung und ihre Form; er kann eine Haltung dem Original gegenüber verwehren, die bei anderen Texten innerästhetisch angemessen wäre. Vorchardts Uebertragung der Göttlichen Komödie in das Deutsch jener Epoche, eine im Bereich des Bloß-Aesthetischen rechtmäßige Leistung, entspringt einem Prinzip, das auf den Bibeltext dämm schon unanwendbar ist, weil es ihn in einen ästhetischen Abstand rückte, der seine Wahrheit ihres Sinnes beraubte. Ihr zur Gegenwart zu verhelfen freilich ist nicht gleichbedeutend mit der schlechten Anpassung an sie. In einer dem Bibelwort entfremdeten Zeit ist seinem Gehalt auch mit einer Uebersetzung nicht gedient, die den Eingang in den vulgären Sprachgebrauch nur durch die Preisgabe des ur sprünglich Gemeinten erkauft. Die geheißene richtige Aktua lisierung der Schrift widersetzt sich dem Kompromiß, der das Wort zerstört, das er zu vermitteln wähnt. Sie wird ihrem Wesen nach von revolutionärem Geist eingegeben sein müssen, denn die Wahrheit geht in dem Bestehenden nicht auf. Der Urtext kehrt in seine nicht zu übertragende Abgeschiedenheit zurück, wenn die revolutionäre Sprache einer Geschichts- periode, die Sprache, die, wie verwandelt und unvollständig immer, nun allein das Wahre trifft, von seinen Formu lierungen sich losgesagt hat. Die Lutherbibel ist in jenem Sinne aktuell. Dank der geschichtlichen Konstellation findet zur Zeit ihrer Abfassung der revolutionäre Protest gegen die kirchlichen Mißstände, die zugleich gesellschaftlich-ökonomische sind, seinen genauen Aus druck in dem Rückgang auf das Wort der Schrift. Ihre Ueber- setzung ist ein Kampfmittel gewesen, das dem „Papistischen" Gebrauch der Vulgata hat Abbruch tun sollen. Durch ihre' Aktualisierung bewährt sich hier die Wahrheit der Bibel, das Religiöse greift (wie später bei der Pentateuch-Uebersetzung Moses Mendelssohns) auf das Politisch e über, dem es sich nicht verweigern kann, wenn anders die Unwahrheit in der Welt vor ihm vergehen soll. Die Eignung zum revolutionären In strument aber schuldet der Luthertext nicht zuletzt dem Um stand, daß in der Stunde seiner Entstehung das weltliche Denken die Emanzipation vom theologischen noch kaum be gonnen hat. Ihre innige Beziehung nur erMöglicht die Aus weitung der „gemeinen" deutschen Sprache zur biblischen, den Einfall dieser in jene: eine Enteignung des sorgsam gehüteten Besitzes der konservativen kirchlichen Mächte, der im Dienst der Neubereitung einer währen Ordnung unter das niedere Volk ausgestreut wird. Vorbildhaft genug, wenn auch nicht nachzuahmen mehr, holt Luther so die Schrift aus den un nahbaren Sphären in das Volksleben herein, reißt sie nach unten, an den geringsten Ort, zu dem es die Wahrheit hinzieht, weil die Konstruktion des menschlichen GefÜges ihre Fehler stelle hier hat. „Nur keine Schloß- und Hofwörter", schreibt er an Spalatin. „Dies Buch will nur auf einfältige und ge meine Art erklärt sein." - -K Da^ Profane ist den theologischen Kategorien langst entwachsen, die es zur Reforwationszeit noch annähernd decken konnten, oder zum wenigsten sein gemäßer Ueberbau waren. Aus ihrer Hülle haben Interessen sich herausgeschält, die nur mehr weltlichen Charakters sind; den Gemeinschaften der posiiti- ven Religionen steht die Gesellschaft als zu sich selber gekommene Größe mit eigenen Begriffen und Zielsetzungen gegenüber. Bei ihr, nicht, bei jenen, ist in der Gegenwart die Aktualität. Sie ist genau dort stets, wo das Zusammenleben der Menschen in der Wahrheit entscheidend gefährdet wird. Als faktisches Hindernis des rechten Miteinanders aber sind die wirtschaft lichen und sozialen Machtverhältniffe erkannt, die bis in die letzten Verzweigungen hinein die geistige Struktur der heutigen Gesellschaft bedingen. Im Laufe des Geschichisprozesses sind sie immer unverhohlener an den Tag gedrungen; die selbst gewissesten Kulturen haben verfallen müssen, weil sie auf ihrem schlimmen Grund herangereift waren. Es geschieht um der Wahrheit willen, die als logischer Zwang im Geschichtsprozeß sich kundtut, daß der weltliche Bereich der ökonomischen Tat sachen, die bestimmende Aktualität gewonnen hat. Denn sind an der Eigenmacht der materiellen Faktoren die mit ihnen ver koppelten kulturellen Gebilde zuschanden geworden, so kann nicht anders eine Ordnung erzielt werden, als durch die Ver änderung dieser Faktoren, die wiederum ihr nacktes Hervor treten aus allen sie bergenden und verbergenden Hüllen zur Voraussetzung hat. Der Ort der Wahrheit selber ist darum gegenwärtig inmitten des „gemeinen" öffentlichen Lebens; nicht weil das Wirtschaftliche und Soziale für sich allein etwas wäre, sondern weil es das Bedingende ist. Gewiß ist von ihm aus die Region der religiösen und geistigen Erfahrungen nicht zu umfangen. Doch einmal ermangeln ihre Gehalte infolge der Zerrüttung der sozialen Verhältnisse des realen Fundaments, zum andern lenkt das Verweilen in ihr von der Umstellung des gesellschaftlichen Seins ab. Die meisten Produkte des heutigen Schrifttums, die nach in rein geistigen Sphären sich aufhalten, denen eine nicht mehr existente private Einzelperson Wgeordnet