Heute noch M Lre'UerspMven der Bibel verweisen, die keineswegs rosig seien. Der Apostel ist zufrieden gewesen, etliche zu gewinnen, Luther hat erklärt, der alte Adam sterbe nicht. Können wir mehr erhoffen als jene? Zu fragen ist auch, fuhr der Redner fort, ob die Umgestaltung Lcr kapitalistischen Wirtschaftsordnung überhaupt in den Bereich der christlichen Aufgaben falle. Die Bibel enthält nichts über Kapitalismus und Arbeit; nichts auch über den Socialismus. Darum ist es Fälschung gewesen, wenn man, wie es Lei uns ge schehen ist, von der Kanzel herunter in den Kampf um die Wirt- schaftsanfchauungen ew hat. Gegenüber vielen Pfarrern ist die Mahnung auszusprechen: das Entscheidende, die Seel- sorge, darf nicht vergessen werden. Freilich, nicht nur die ein zelnen sind zu gewinnen, das Evangelium ist auch Zusammen schluß in Liebe. Hieraus ergeben sich nach Geh. Rat Titm-s (dsr sich übrigens als AnLi-Sozialdemokrat bekannte) g" 2 soziale Ausgaben: die Beregung der Individuen, ihre Vereinigung zum Ganzen. Das Evangelium wühlt die Menschen auf, macht «e un zufrieden; es hat einen gewaltigen Kritizismus in die Welt gebracht. Kritische Haltung gegenüber den Weltzuständen verbindet sich im Evangelium mit dem unbedingten Gehorsam ggen Go.t, der die Geschicke der Völker in Händen hat. Als drittes hat uns das Evangelium mit der Gabe der inneren Fröh lichkeit bedacht. Ohne diese DreilM der Kritik, des Gehor sams, der Fröhlichkeit aber kann es keine soziale Gemeinschaft geben. Für sie und für die soziale Wohlfahrt tritt natürlich auch der Christ ein. Zum Schluß Zog der Redner einige praktische Folgerungen aus den allgemeinen Grundsätzen. Er gedachte der Fortschritte des Sozialwissenschaftlichen Instituts in Stockholm und befürwortete die gemeinsame Regelung wirtschaftlicher Fra gen durch die Volker: so der Arbeitszeit, der Tarifpolitik, der Kartellierung. Hindernisse sind die Konkurrenz der Wirtschafts- grupprn und die Feindschaft der Völker. Sie lassen sich nur durch den guten Willen übrrwinden, der seinerseits wiederum nur auf dem Boden gemeinsamer religiöser Ueber zeugung entstehen Amn. Bei Gott ist es nicht unmöglich, schloß Geh. Rat Titius, die großen Unternehmer- und ArbeiterverMnds und die Völker mit solchem guten Willen M beseelen. Wird nicht aus ihm heraus gewirkt, so ist der Niedergang Europas unver meidlich. Als Korreferent führte Pfarrer O. Keller (Zürich) das Folgende aus: Die christliche Verkündigung schließt eine soziale Botschaft ein auch wenn ihr Programm im einzelnen nicht aus dem Evangelium unmittelbar geschöpft.werden kann. Heute ver langt das Problem der sozialen Erneuerung aus dem Geiste des Christentums eine neue Bearbeitung, well es einer neuen Aeit- lage gegenübergestellt ist. Diese wird u. a. dadurch charakterisiert, daß der neue Lebens- und Gestaltungswille der auf steigen den Arbeiterschaft heute weithin viel allgemeiner aner kannt ist. Dazu hat vor allem die Auflösung der Gesellschaft bei getragen. In ihr hat die Kirche ihre Freiheit vom Staate gewon nen und damit auch größere soziale Handlungsfähigkeit und die Möglichkeit, neues Vertrauen zu gewinnen. Bedeutsam sind vor allem zwei Dinge: Einmal das soziale Erwachen der Kirchen selbst, die d^e Aufgabe der sozialen Erneuerung nicht mehr einzelnen Pionieren oder Gruppen überlassen; sodann die Tat sache, daß diese Ausgaben heut? von allen Kirchen als gemein schaftliche Arbeit ausgenommen werden in den großen inter nationalen Zusammenschlüssen. Diese neue Zeitlage stellt auch praktische Aufgaben. Die wichtigste bleibt die religiöse: die soziale Botschaft oes Evangeliums in allen Völkern lebendig zu wachen. Damit sind andere Aufgaben gegeben: die Durchar beitung der Probleme, die erzieherische Beeinflussung des Volks ganzen, die organisatorischen Aufgaben in Einzelgemeinde, VoR und internationaler Zusammenarbeit, für die heute in den Fort setzungsausschüssen der Stockholmer Konferenz das nötige Organ vorhanden ist. Die Arbeit für soziale Erneuerung hat einen Aus gleich und ein Zusammenwirken Zu suchen zwischen der bisherigen Liebestätigkeit und der eigentlichen Sozialreform/ die sozialpoli tische Arbeit erfordert. . Seruelle Aufklärung. Epilog zur ReichZ gesund Heits-Woche. Knaben und Mädchen von 13 Jahren an — oder noch jüngere? sind während der „Reichsgesundheits-Woche" mit dem eisernen Besen aufgeklärt worden. Man hat sie in Brieux' braven Schmöker: „Die Schiffbrüchigen" geschickt und die Fährnisse des Liebeslebens durch Vorträge- ihnen nahegebracht. Die Ursachen des Trippers sind ihnen jetzt offenbar, die amtliche Zahl der Lucs fälle ist ihnen nicht verborgen geblieben. Knaben und Mädchen werden fürder kaum noch bezweifeln, daß es ihre Aufgabe sei, die< Statistik der Geschlechtskrankheiten prozentual zu verbessernd Im Dienste der Reichsgesundheit. Drastische Belehrung hat zumal der Film: „Falsch^ Scham" erteilt, der ganz Deutschland durchläuft. Seine optischen Darlegungen sind umso stichhaltiger, als er mit Unterstützung der „Gesellschaft Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" herge stellt worden ist. Knaben und Mädchen haben.in ihm die Hunnen überfälle der GonokoKen verfolgt, Vorsicht beim Gebrauch von Ammen sich eingeprägt und die Trophäen der Syphilis zu ver abscheuen gelernt. Der Glaube an die Segnungen der Prostitution ist in ihnen Zerstört, ein für alle mal wissen sie nun, daß die stärksten Gefühle des Primäreffekts verdächtig sind. Die Warnung ist gründlich. Knaben und Mädchen werden gewiß nicht Zögern, die künftigen Ausbrüche ihrer Triebe hygienisch Zu regeln und den guten Onkel Hautarzt zu Rate zu ziehen. Im Dienste der Reichsgesundheit. Aufklärung soll sein. Sie zerstört, wa§ an -er Scheu der früheren Generationen, von sexuellen Dingen zu reden, schlecht mythologischen Ursprungs war. Das echte Geheimnis .geht durch das Wissen nicht unter. Die AuMrungsmethoden indessen, die bei der ReichSgesund- hcits Woche zum Teil befolgt wurden, sind b arbarrsch. Hat man vordem ängstlich verschwiegen, so bespricht man jetzt plan. Man ist ins Gegenteil umgeschlagen, der Radikalismus deS VechMens und der des Hagens sind einander Keulenhiebe werden versetzt, die ganze Anatomie wlrd sauber^ch ausgebreiLet- Mit dem Ergebnis, daß die so LraktierLe äugend Wirkungen kennen lernt, deren Ursachen noch nicht m rhrem Erfahrungsbereich liegen. Sie erhält von Vorgängen Kunde, me unter Umständen den Körper verheeren, ohne eine der Empfin dungen wirklich erlebt Zu haben, die den Körper beherrschen und > ihm Glück und Unglück bedeuten. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Darbietungen dieser Art junge Menschen im Puber tätsalter mit Ekelvorstellungen , und Hemmungen belasten können, die auf lange hinaus schädigen. Vor allem die Film vorführungen, die das Körperliche in seiner AusschlreßM zeigen; denn der an die Leinwand gemalte Teufel ist unwider- leglich- Hinzu konMt noch ein anderes: die Widerstandskraft des- Körpers verringert sich leicht, wenn die Phantasie mit den in ihm sich abspielenden Ereignissen so zum Bersten angefüllt wird, daß sie nichts weiteres mehr hinzudenken mag. Der Körper bleibt dann sich allein überlassen, ausgeschaltet ist die umstürzende Gewalt des Geistes, sind die heilenden Regungen der Seele. Das Hygienische, bis zu seinem nackten Ende vorgetrieben, kehrt sich gegen sich selber. ! ! In dem Drang, die Jugend mit Aufklärung zu verprovian- Lieren, hat man eben die Hälfte vergessen. Forsch zerrt man die Eingeweide nach außen; aber der Hinweis auf das nicht minder verborgene Erotische, von dem die leiblichen Funktionen sich nicht kahl trennen lassen, wird in der Regel unterdrückt. Diese Aufklärung ist unvollständig und daher nicht geeignet, jenen Hin- tcrtreppengerüchten den Garaus zu machen, die sich die Schulbuben einander zuraunen. Indem sie das Gebiet der Erotik zu uw- reißen vermeidet, führt sie seine Gehalte auf eine Summe phy siologischer Geschehnisse zurück, statt umgekehrt Zunächst die faktische Abhängigkeit des Physiologischen von den erotischen Kräften dar- zutun. Das Erotische durchsetzt als Liebe, Leidenschaft, Neigung und Begehren die Seele und ihre Sprache und verbündet sich Zwei deutig mitchem Geist; es wird von der Sexualität nicht getragen, es schließt sie" ein. Die Einwände: man rede Zu Unreifen, und man könne über diese Dinge in der Öffentlichkeit überhaupt nicht reden, verschlagen hier nicht. Wenn schon nicht Anstand genommen wird, die unmündige Zuhörerschaft in naturwissenschaftlichen Referaten aufzuklären, zu deren Verständnis ihr die Voraussetzungen feh len, so ist es erst recht gestattet, ihr Ausblicke auf das Erotische Zu eröffnen, dessen Macht sie vorausahnen mag. Nicht gestattet nur sind diese Ausblicke dann, sondern geboten. Denn ihr Unter bleiben beschwört einen Obskurantismus herauf, der schlimmer ist als der alte. Oder ist eine Jugend nicht mit Blind heit geschlagen, die um die schädigenden Folgen von Beziehungen weiß, deren Ansehen und Bedeutung ihr verhohlen wird? Muß sie nicht doppelt dereinst der Wollust ausgeliefert sein, wenn sie das Geschlechtliche lediglich aus der Perspektive des Hautarztes kennt? Wenn sie nur über die grob prophylaktischen Mittel unter richtet ist und nicht auch über den Sinn des Triebes selber: wie -er den ganzen Menschen umfängt, wie er zum Guten und Bösen gereicht? Sexuelle Aufklärung nach Art der heute verübten ist verderblich, solange sie durch die alleinige Betonung der Hygiene ein verfälschtes Bild der Wirklichkeit gibt. Um die Jugend an die Wirklichkeit heranzuführen, dazu ge hört freilich Scham. Man hat die „falsche Scham" erfolgreich aüsgsrottet; die richtige scheint mit abhanden gekommen zu sein Ein Aufklärungsfeldzug jedenfalls, der sich darauf beschränkt, in Vorträgen und Filmen denen, die es begreifen und nicht begrei fen, Material über Geschlechtskrankheiten und ihre Verhütung auf- zutischen, hat mit Scham zuletzt üb?rhaupt nichts Zu schaffen. Scham -- richtige oder falsche —- bildet sich dort nur, wo ein Ver hältnis zwischen Menschen besteht. Die hygienische Propaganda unserer Tage aber meint im Grunde garnicht die einzelnen Men schen sondern die Statistik. Ihre Objektivität wäre rechtmäßig durchaus, wenn sie Objekte beträfe, Gegenstände, die an der ratio nellen Bewältigung ihre Schranke haben. Da sie jedoch auf „Auf klärung" abzielt. ist ihr der Vorwurf der „UnmenschlichkeiL" nichts