>2, > w 6 Der Regisseur heißt Eisenstein. Herr Eisenstein hat mit den Mitteln des Films zum ersten Male vielleicht eine Wirklichkeit dargestellt. Er bleibt an der Oberfläche, die dem Kurbelapparat zugekehrt ist; er illustriert keine Texte, er beschränkt sich vielmehr darauf, die optischen Eindrücke aneinander zu reihen. Aber wer assoziiert hier? Die von Empörung, Schrecken und Hoffnung erfüllte Phantasie, die um ein Ziel kreist und inhaltliche Gewiß heiten hat. Sie erblickt die automatischen Bewegungen der Kosakenbeine und fliegt über die Gesichter der Menge, um an einem Kinderwagen hasten zu bleiben. Ihr verschmilzt das Volk von Odessa und die grohs Hasentreppe zur unlöslichen Einheit, - endlos dünkt ihr der Menschenzug auf der Mole. Diese von de Sache ergriffene Phantasie wälzt die Matrofenleiber durcheinander, sieht Menschenschatten durch eiserne Gitterroste, spannt die glänzen den Geschützrohre über das Meer. Mit rebellischer Hast fährt sie von dem Lorgnon, der Verkörperung gehaßter Macht, zu dem riesigen Panzerturm, die Teile der Dinge gelten ihr so viel wie die Meuterer, denn Meuterei steckt auch in ihnen. Nur in der Natur, vielleicht, gibt es ein kurzes Verweilen. In sanften Zwischentönen entschleiern sich Ausschnitte der Ufer, weiche Segel ziehen vorbei. Der Regisseur heißt Eisenstein. Die Darsteller vom Moskauer Künstlertheater bleiben ungenannt; man muß sie nicht kennen. Sie haben Gesichter, st? sind Menschen. Sie spielen nicht nur, sie glauben, was sie spielen. Aber außerdem spielen sie auch. Die Jupiterlampen örennen weiter. ZurKrankfurter Aufführung des Potemkin-FilmZ. Von Raca. Dieser Film unterscheidet sich von den Schwärmen der ameri kanischen und europäischen Filme nicht durch die größere Kunst der Regieführung — gewiß auch durch sie —, nicht durch die pein lichere Ausnutzung der filmtechnischen Möglichkeiten und das gewaltigere Aufgebot der Massen. Etwas anderes trennt ihn von der WeltprodukLion, etwas grundsätzlich anderes. Er hat die Wand durchstoßen, hinter die jene Filme nicht dringen. Er trifft eine Sache, die wirklich ist, er meint die Wahrheit, um die es zu gehen hat. Die übrigen Films, entzückend oft und im einzelnen hie und da human: an einem Punkt stocken sie ängstlich und ziehen sich in die Leere zurück Der Instinkt jener Gesellschaftsklasse, der die Fridericus Rex-Gloriolen gebiert, untersagt in Europa sowohl wie in Amerika eine allzugrelle Belichtung der bedenk lichen Tatsachen, die unser sogenanntes soziales Leben vorerst noch bedingen. Von der Leinwand könnten Erregungen sich fortpflanzen, die unbequem find. Die Jupiterlampen, in deren Glanz sich einige der gehobenen Zilleschen .Gesunkenen' immerhin sonnen dürfen, werden rechtzeitig abgeblendet. Man bleibt vor der Wand, man verdrängt in historischen Ausstattungs stücken, Privaten seelischen und mondänen Belanglosigkeiten und zuletzt doch harmlosen formalen Grotesken den einzige» Inhalt, an dem etwas gelegen wäre. Dieser Film verdrängt nichts. Er läßt — ein Wunder — die Jupiterlampen fortleuchten über dem Kampf der Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Er zeigt einen Augenblick der Revo lution. Die Wand ist durchlöchert, ein wahrer Gehalt tritt hervor. Die Oberfilmprüfstelle hat dem Film den Passierschein gegeben. Sie durfte es, weil der Film unmittelbare politische Ziele nicht verfolgt. O Mit einew unerhörten Sinn für Zeichen und Wirkungen ist Ler Augenblick gewählt, in dem sich die Revolution von ihrem realen Beginn bis Zu ihrem traumhaften Ende zusammenballt. Ein Augenblick vor dem Sieg der Revolution, aus der Zeit des unterirdischen Wühlens und verzweifelten Aufbegehrens, in der die Wahrheit noch einschlagen kann wie ein Blitz. Matrosen- Wttiderei im Jahre IM auf dem Panzerkreuzer «KotenEn" ZM. Apachen, Frauen, Polizei. Ein Detektiv-Film: „Die Zwei und bis Dame, den die Neue LichtMhne Zeigt, ent wickelt sich nach Sven-Elvestadt-Motiven Zu einer maßvoll spannen den Handlung. Es geht mn die Aengste dieser verheirateten Frau, die ihre geheimnisvollen Gründe haben. Vor der Ehe nämlich bestand eine Beziehung zwischen ihr und einem Verbrecher, der nun Er pressungen an ihr verübt. Türen gehen nachts auf, Lichter blitzen, der Ehemann droht einzugreifen, Perlen verschwinden — eine einzige Verwirrung, Sie wird von einem Polizeirat geschlichtet, der nach dem Willen des Regisseurs ohne allzu große Fixigkeit die mysteriöse Angelegenheit nach fünf Akten zum glücklichen Ende führt. — Schön und rührend ist der andere Film: „Die rote Lili e". Ein junger Mann und ein Mädchen aus der französischen Provinz konrmsn nach Paris. Durch ein ungünstiges Geschick werden die beiden armen unwissenden Geschöpfe voneinander ge- Madame Sans Mne. Ein historisches Ausstattungsstück, wie man dergleichen schon sah. Man bewegt sich diesesmal am Hose Napoleons und erlebt die Sardousche Jntrige mit, die sich zu all- s-Mgem Wohlgefallen auflösü Durch die Leere der auf die Wort pointe angewiesenen Handlung schimmert ab und zu Versailles. Im übrigen: Prunk der Empirehintergründe, stilgerechte Trachten, man ergänzt sein kunstgeschichtlichW Wissen. Napoleon ist un neu äröle, mit den großen Gebärden bei den kleinen Kabalen und dem an gestrengt geistreichen Lächeln. Wenn er Arbeit markiert, studiert er die Karte von Europa wegen Zukünftiger Schlachten — ein Regie einfall, auf den man sich etwas zu gute getan haben mag. Getragen wird das Stück von der Sans Wm-Gloria Swansons, die mit ihren eher derben Zügen sehr reizvoll einzugehm weiß. Wie sie die Wäscherin aus der Herzoginnerd-Schleppe wickelt und den opern- hasten Napoleon zu ihren Gunsten stimmt— das hat schon Scharme, einen ganz individuellen, nicht den vorschriftsmäßigen, den die Mädchen heute aus illustrierten Zeitschriften und Magazinen lernen. Ob das Augenliderspiel vor hundert Jahren bereits so modisch gewesen ist wie in der Zeit der Großaufnahmen, wäre freilich zu bezweifeln; doch auch unter Diademen blinzelt's sich hübsch. — Das Photographische des in den Ufa-Lichtspielen laufenden Films ist einwandfrei, und im einzelnen finden sich manche gute > Bildausschmttel rück. Odessa. Der Grund ist ein kleiner und ein ganz großer: ver dorbenes Fleisch. Das Volk zu Odessa fraternisier! mit dem MaLrosenvolk auf dem Kreuzer — wirklich, es ist das Volk, das aufgerührt ist, das sich rührt. Auf der Gegenseite die blinde Gewalt der Kosaken, das Admiralsgeschwader. Die Lage ist so einfach, jedes Kind erfaßt, daß Recht gegen Unrecht steht, daß Geknechtete sich gegen ihre Bedränger wehren. Wie aber endet der Kampf, der nur im Märchen glücklich endet? Der Film hat den richtigen Abschluß, der die Ahnung des richtigen Endes erweckt. Die Matrosen, bereit, dem anrückenden Geschwader einen letzten, hoffnungslosen Widerstand zu leisten, hissen das Signal:,, Haltet zu uns!" Es wird beantwortet, das Wort: „Brüder" stellt sich wunderbar dar. Hier bricht der Film ab, er muß hier abbrechen. Genug schon, daß der Vorhang einmal sich lüftete. Der hoch gezogene enthüllt nie das Gesuchte. Dieser Film spannt nicht wie die westlichen durch Sensationen, hinter denen die Langeweile sich dehnt. Die Sache spannt in ihm, denn sie ist wahr. ! LL.) I?- ' ssenden Geschöpfe voneinander ge trennt. Wie sie sich suchen, aufeinander warten und immer tiefer sinken, dies ist sehr schlicht und unaufdringlich erzählt. Er, ein von der Polizei verfolgter Apache, wird zuletzt von ihr, die zur Dirne geworden ist, gerettet und gepflegt. Wer er will ste nicht mehr, er hat noch irgend ein Jungensideal von Reinheit. Nun kommt es ganz schlimm, mit dem entsprechenden Wandel der Physiog nomien, das Apachenhaste und das Dirnenhaste prägt den Gesichtern sich ein. Wer seltsam, das alles ist glaubhaft, von einer Naivität, die trotz des Kolportage-Stoffes niemals verletzt. Man weint, die Beiden könnten sich nicht mehr srheb-en, so sehr verstricken ste sich. Bis dann am Ende die märchenhafte Wendung erfolgt und der Junge und das Mädchen mit verMnten Gesichtern ^wieder m ihr Dorf Aurückkehrw, wo sie am Anfang sich liebten, inen. --Höfisches. In dem Nationaltheater — Skala- und! H oh enz ollern-Lichtspiele — laufen Zwei Filme mit Hof leben. Der eine, ein amerikanischer Film: „Der Prinz gemahls führt einen smarten unmittelbar an die Seite einer nbniglicyen Hoheit, die Zu irgendwelchen Zwecken in Amerika weilt. Der Jüngling macht Karriere durch seine Borfertigkeit, die ihm erlaubt, die Prinzessin wiederholt zu retten. Diese läßt sich von ihm in ihre exotische Residenz begleiten, wo es märchen haft wilo hergeht und der Boxer schließlich zu undemokratischen Würden gelangt. Ein herab gekommener Lord, ein treuherziger Riesennigger und ein aufgeregter amerikanischer Konsul, der falsch Saxophon blast, stellen ein ansehnliches Ope^ Etliche komische Szenen: ein Borwatch und etwa eine Fahrt blinder Passagiere geben Zu lachen. Auch die Selbstironie, mit der das Amerikanische sich stellenweise bespöttelt, ist nett. —- Das andere Lustspiel: „Der 7. Junge" scheint unmittelbar den „Fliegen den Blättern" entnommen. Ein zeugungskräftiger Gymnasial- professor mit langem Bart man hört ihn „Lja, tja" sagen — hat von dem amerikanischen Verwandten 2000 Dollars zugesagt bekommen- wenn das siebente Produkt seiner schöpferischen Tätig keit einen Jungen ergibt. Die Pointe ist, daß ein Mädchen ent steht, das als Junge ausgegeben wird — bis der Papa das Fehlen des Merkmals entdeckt. Da der Film aus Bayern stammt, ist ein Fürst mit Tochter beigegeben, bei dem der Professor ehr fürchtig in Audienz erscheint. "Wie vor 50 Jahren. Liebesleben am Hof und in den Bürgerstuben steigern die provinzielle Pikan- terie. Immerhin sind etliche wirklich drollig-derbe Szenen ge glückt, die zur Heiterkeit zu stimmen vermögen. raea.