Einmütig werden Miecklowicz' Bedenken zerstreut. Man be schwört ihn, sein Genie zu entfalten, versichert ihn des unein geschränkten Vertrauens Die stille Zuversicht des Anzugs stimmt Miecklowicz um. Bewegt erkennt er seine Berufung und gelobt, sich dem Auftrag zu weihen. Seine Stecknadeln sprühen Funken, aus dunklen Hosengründen treibt es ihn lichtwärts. Jetzt oder nie. Die Hausschlange klettert eilfertig an dem jungen Herrn empor, der sich nach allen Seiten dreht und entrollt. Geschäft. Fürsorglich unterrichtet sich Miecklowicz über seine Lebensgewohnheiten — unter welchem Winkel er gehe, ob er beim Schlafen nach rechts sich krümme oder nach links. Auch nimmt er etliche seiner Bekleidungen an sich, deren Alter auf ihre Erfahrung Zu schließen erlaubt. Mittlerweile ist der Anzug nervös geworden, die Damen reden fort gesetzt über ihn hinweg. Miecklowicz beruhigt ihn und verläßt mit vorzüglicher Hochachtung die Beletage. Schöpferisches, stets verkannt, drängt in ihm der Sonne ent gegen. Er entschwindet ab und zu in der Wandfläche, durchstreift die Schnittmuster-Alleen und berät sich mit den Herrenkostümen vor Monaco. Seine Frau sucht ihn zu solchen Zeiten vergeblich. Dann wieder umlauert er die Geheimarchive, da ihm mitgeteilt worden, daß die Portalhüter im Besitz von Gerüchten seien. Bei seinen Gängen trägt er die Kleider des jungen Herrn; einerseits um unerkannt zu bleiben, andrerseits um ihre klimatischen Verhältnisse zu studieren. Hulda schleppt aus den Bibliotheken OrnamentLücher und Atlanten herbei, deren sinnloses Liniengekräusel ihn in musika lische Stimmung versetzt. Der Anzug verlangt vor allem, gewendet zu werden. Das Innere soll nach außen kommen; zu moralischen Zwecken. Miecklowicz scheut vor den einschneidendsten Maßnahmen nicht zurück: verjüngt die Hosenbeine nach oben wie dorische Säulen, bringt Geheimfächer an, deren Ort niemand erfährt. Der adligen Herkunft des Anzugs wegen umzäunt er ihn rings mit Schnüren und Tressen. Wundersam gerät das Blumenknopf loch in der Höhe, ein mit Dünndraht umwobener Schlitz, dessen Konstruktion die großen Schneider ängstlich verschweigen Miecklowicz hat das Verfahren selbsttätig ergründet. Das Loch ist für gewöhnlich verschlossen und öffnet sich nur auf ein bestimmtes Losungswort. Ein eigener Kurierdienst, den Hulda versieht, über mittelt der Beletage stündlich Meldungen aus dem Operations gebiet. Bei entscheidenden Siegen wird festlich geflaggt. An einem wolkenlosen Sommerabend — die Reseden blühen gerade — schlüpft die Zentimeterschlange zur Beletage herein und kündigt den Tanzanzug an. Er erscheint, von Miecklowicz in weißen Glaceehandschuhen geleitet. Die beiden Damen behaupten, ihn nicht zu kennen; mit wem sie die Ehre hätten? Der Tanzanzug empfindet Genugtuung über seine blouveaute. Nachdem die jüngsten gesellschaftlichen Ereignisse besprochen sind, wird im Scherz die Frage aufgeworfen, ob der Gast und der Etageherr wohl zuein nmäe. Der Tanzanzug bemerkt ihn nicht, er hat sich mit einem Kostüm eingelassen, Jugendfeuer durchströmt ihn. Recht so, nickt Miecklowicz und stößt entzückt seine Nachbarn an, die durch ge waltige Operngläser starren. Seine Berührungen werden als peinlich empfunden, man droht ihm mit Räumung. Ernüchtert ruft Miecklowicz seinen Tanzanzug zu sich, um zur Dauertrennung zu schreiten. Der aber tut, als höre er nicht, und kehrt der Barriere den gutsitzenden Rücken. Kleine Leute, nicht von heute ... Miecklowicz, von Schöpferbitterkeit erfüllt, gibt der Schlange das verabredete Zeichen. Schon fchwingt sie sich zum letzten Liebes dienst kuppelan. Doch es kommt nicht zum Schlimmsten. Zufällig weilt in Miecklowicz' Nähe ein großer Schneider, der in dunkel Sakko sich auf einer Inspektionsreise befindet. Die großen Schneider, muß man wissen, kontrollieren persönlich die Bewegungen sämtlicher Tanzanzüge der Welt. Der Inspekteur ist nicyt wenig überrascht, im Orion-Palast einen ungebuchten Tänzer zu treffen. „Man wird ihn melden müssen", sagt er vor sich hin und notiert die Zeit der Begegnung. Im übrigen kann er, ihm die Achtung nicht versagen; sind auch leichte Regelwidrig keiten festzustellen, die Gesamterscheinung hat erste Rasse. Aus ge wissen Anzeichen folgert er, daß der Tanzanzug zu Miecklowicz in Beziehung stehe. Er fällt zur rechten Zeit der Schlange in die Windungen und verhindert so den frühen Stecknadeltod. Hinter den Vorhängen einer Wandnische zieht der Inspekteur den Geretteten ins Gespräch. Gütig erkundigt er sich nach seinen lokalen Umständen, nicht ohne Marengos tänzerische Eigenkultur zu ander paßten. Ein unverbindlicher Versuch ergibt, daß dieser dem Tänzer wie angegossen sitzt. Man beglückwünscht sich gegenseitig, Bitten um dauernde Vereinigung werden geäußert. Leutselig läßt der Tanzanzug durchblicken, daß er einem solchen Aufgebot von Liebenswürdigkeit nicht zu widerstehen vermöge. Erneuter Austausch von Höflichkeiten, die Freude ist groß. Miecklowicz richtet eigen händig eine Schrankwohnung ein, die er, schnellerer Ein gewöhnung halber, mit Lackstiefeln und Parkettgetäfel auszustatten empfiehlt. Da dem Tänzer Rührszenen zuwider, zieht er sich sofort in seine Gemächer zurück. Der Abschied verwirrt Miecklowicz' Geist. Er erklärt den Be wohnern der Wendeltreppe, daß er zu den großen Schneidern gehöre, und verlangt den ihnen zukommenden Gruß. Bügelkundschaft wirft er hinaus. Seine Frau nagt am Hungertuch, während die Reseden drunten verblühen. Sie bemüht sich, ihn zu den Hosenböden zurück- zulocken, die er früher mit Stickereien fchmüche. Wütend schreibt er mit Kreide auf einen: „Kann sich selbst". Nur noch Marengo erkennt er an, die Sonne ist ihm die von Austerlitz. Hulda, deren Vor namen er vergessen hat, muß ein Türschild malen: „Miecklowicz, Schöpfer von Kreationen". Da infolge des staListischen Geburten rückgangs immer weniger Anzüge sich zeugen lassen, läuft er stunden lang allein und unbeschätigt zwischen den Schnittmuster-Alleen um her. Die Seeluft von Monaco schlägt bei ihm an; seine Gesichtsfarbe bräunt sich, ein Bauch entsteht. Der Verkehr mit den mondänen Kostümen festigt in ihm die Ueberzeugung, daß er ihresgleichen sei. Er verwechselt sich mit dem Tanzanzug und lebt als dieser. Seine Schritte sind geziert, er speist im Schränk. Abends sagt er zu seiner Frau: „Hänge mich über den Bügel!" Sorgfältig läßt er sich von ihr in Seidenpapier einhüllen, dann schläft er auf dem Kopfe stehend, um sich zu schonen. In einem seltenen Anfall von Klarheit beschließt er zu sterben. Miecklowicz ist ein Hochgenie, Miecklowicz macht nicht mehr mit. Nur will er einmal noch vor dem Ende seinen Tanzanzug sehen. Hulda erfährt, daß der Tänzer sich allnächtlich in den Tanzpalast Orion verfüge. Furchtlos schleicht ihm Miecklowicz nach, einzig von seiner treuen Schlange gefolgt. Er hat sie über und über mit Stecknadeln bespickt, damit ihre Umarmung späterhin tödlich sei. Der Palast wird von einer Livree bewacht. Miecklowicz poliert ihr die Knöpfe, worauf sie zur Seite entweicht. Das Zentimeter band weigert sich, in der Garderobe zu bleiben, niemand wagt es zu halten. Man verweist es mit seinem Herrn auf die Zuschauer tribüne, unmittelbar hinter die Barriere. Verschiedene Anzüge er regen das Mißfallen Miecklowicz'. Graue Wollwaren tummeln sich in Menge, es fehlten noch Trikotagen. Seinen nahen Tod ver gessend, nimmt er sich vor, bei dem Direktor Beschwerde zu führen. Endlich gewahrt er den MarengoLänzer. Das Gesäß duftig, wie von einer leichten Brise gebläht, diskrete Manieren, jeder Zoll Der Hanzanzug. Von Raca. Ein Märchen. Der Reparaiurschneider Miecklowicz bewohnt mit Frau und Nähmaschine eine Dachkammerpoesie, die am oberen Ende einer Wendeltreppe aufgestockt ist. Während er Hosenröhren aus- fegt, blickt er auf die Frühjahrs- und Herbstkostüme, die an der Wand in den Schnittmuster Alleen sich , ergehen; im Hintergrund liegt Monaco. Das Töchterchen heißt Hulda, es ist jung genug, um noch einen Vornamen zu tragen. Eines Tages wird Miecklowicz in die Beletage bestellt. Von Stecknadeln besät, fliegt er die Wendeltreppe herunter. Das Zenti meterband umkringelt ihn mehrfach; eine Hausschlange, gezähmt. Eigentlich ist sie ein Luxus, die meisten Kunden sind verkommene Bügelfalten. In der Beletage empfängt ihn ein betagter Ausgeh- anzug in Schwarz, den zwei ältere Damen bedienen. Der Anzug, der sich noch bei Kräften fühlt, wünscht fortan von dem jungen Etageherrn betreut zu werden, dessen Vorfahren ihn bereits trugen. „Immer rüstig", sagt Miecklowicz ausmunternd und rühmt seinen Familiensinn. Der junge Herr kommt auf unsichtbaren Rollschuhen angesaust, aus dem Geschäft, in das Geschäft. Mitleidig streichelt Miecklowicz den Anzug. Die Damen erzählen aus seiner Ver gangenheit und entblößen Verletzungen, die er bei ehrenvollen Sitzgelegenheiten erlitt. Der Anzug schämt sich. Miecklowicz prüft seinen Stammbaum; Marengo uralt, geht auf die Schafe des englischen Hochadels zurück. Die Anwesenden sind feierlich ge stimmt, denken an König Jakob I. Nach kleiner Andachtspause wird von den Damen schlichte Ver jüngung vorgeschlagen, nur wenig auf Taille. Empört wendet sich der junge Herr gegen abgelebte Fassons. 'Die Zivilisation läßt sich nicht länger mehr aufhalten, neue Bars sprossen täglich aus den Ruinen. Im Namen der Jugend fordert er allgemein: Tanz anzug von neuester Modernität. Das zu Boden gefallene Zentimeters and kriecht mit ge sträubten Schuppen von bannen. Tanzanzüge dürfen, wie sein Herr ihm öfters berichtet, nur von den großen Schneidern angelegt werden. Ihre Errichtung vollzieht sich nach gewissen in den Geheimarchiven aufbewahrten Vorschriften, die den Reparatur schneidern unzugänglich sind; jedes Kleidungswer? wird standes amtlich gebucht. Miecklowicz ist um so verzagter, als es sich in diesem Falle nicht allein um eine Neugestaltung, sondern um die bei weitem schwierigere Umzeugung eines Ausgehers in einen Tänzer handelt. Traurig winkt er seinem Zentimeter, entschlossen, ZU gehen. Seine Spezialität sind bisher Gesäße gewesen; sollen Hoffnungen ihn verführen, die wie Nähte zerplatzen? Auch das kleinste Hinterteil dient dem Ganzen.