l,28- Zu Franz Kafkas Nachlaßroman. Von Dr. S* Krakauer. Der von Max Brod aus dem Nachlaß Franz Kafkas herausgegebene Roman: „D asSch k 0 ß" ( Kurt Wolfs, Mün chen), dessen erstes Kapitel seinerzeit in der „Frankfurter Zeitung" veröffentlicht wurde, ist wie das größere Wert Kafkas: „Der Prozeß" die Matrize eines Märchens, In dem! „Prozeß" wird der Bankbeamte K. einem Gerichtsverfahren unterworfen, das so geartet ist: man kennt den Gerichtsherrn nicht, der Grund der Anklage ist verhüllt, und als der allein faßbare Gegenstand bleibt das Verfahren selber, dessen Qual endlos dauert. In dem „Schloß" wird K. als Landvermesser nach einem Dorf berufen, das den Aufsichtsbehörden des ober halb der Siedlung gelegenen Schlosses untersteht. Es wäre also nur der Weg zwischen dem Dorf und dem Schloß Zurück- zulegen, damit der Neuankömmling K.. sich über seine Pflich ten und Rechte vergewisserte. Eben diesen kleinen Weg kann er nicht durchmefsen. Seine Versuche und ihr Scheitern sind der Inhalt des Romanfragments. Wie in dem „Prozeß" die Richter nicht erreichbar sind, so ist hier das Walten der Schloßbeamten dem dörflichen Ver ständnis entzogen. Gewiß, die Beamten regeln die Angelegen heiten der Ortsbewohner, unterhalten gar sexuelle Beziehungen mit den Dorfmädchen, aber nicht der schmalste Pfad führt aus der Niederung zu ihrer Höhe. Schwierigkeiten ohne Zahl, die so nur der einzige Kafka ausklügeln kann, setzen sich dem Drängen K.s nach einer Verbindung mit der Behörde Entgegen. Einmal steht er einen Beamten; der schläft. Seine Bestallung zum Landvermesser erweist sich als ein Irrtum, der aber doch vielleicht kein Irrtum war, sondern unergründliche Absicht. Dre Briefe, die ihm von dem Vorgesetzten Beamten zugehen, sind bei näherem Zusehen veraltet und stammen am Ende gar nicht von ihrem Unterzeichner. Der Ueberbringer hat einen ordnungs gemäßen Botenauftrag niemals empfangen.. Stets werden die --- Rudolf ValeMno. Der seit kurzem Verstorbene tritt tu dem I Film: .Der Adler" auf, den die Neue Lichtbühn« und die Kammer.Lichtspiele zeigen. Das einzig Positive des Films ist die Schönheit seines Helden. Er ist wirtlich schön, obgleich er nicht intelligenter aussieht, wenn er die Stirne kräuselt. Das gibt ihm einen angestrengten Zug, man merkt, daß sich Schönheit und Verstand schwer nur vereinen lasten. Auch die griechischen Statuen sind mehr klassisch als von der Vernunft be seelt. Kür ihren Ausfall entschädigt Valentins durch seine Rein heit und seinen Edelmut. Er flieht die ältliche Zarin, die ihn zu einer Liebesnacht mißbrauchen möchte, und verzichtet auf die Rache an seines Vaters Feind um der Liebe zu seiner Tochter willen. Auch als Rüuberhauptmann hilft er natürlich den Armen. Dies« Ereignisse spannen ebenso wenig, wie die russischen Dekorationen echt sind. Für das Schlepptempo und die Ohnmacht der Handlung ist jedenfalls die bloße Schönheit eines Darstellers, der sonst nichts darstellen kann, keine Entschuldigung. Kaco. TU , — mag nach der psychoanalytischen Lehre sich selbst oder sein Gegenteil bedeuten. So meint auch die von der Wahrheit ab geschnittene Welt das manifeste Wahre, die Matrize des Märchens das Märchen, Seine Züge trägt der Roman. Wie das Märchen die dem Anschein nach unverrückbare natürliche Ordnung zersprengt, um die Dinge an den richtigen Platz zu stellen, den ste von Natur aus gar nicht einnchmen, so hebt er die gewohnten Zusammen hänge auf und verschiebt die nunmehr vereinzelten Gegenstände, damit sie ihre Rückenansicht dem Beschauer Zuwenden; denn gerade die Unzugänglichkeit ihrer Vorderansicht, die erst die wahre wäre, soll dargetan werden. Der Roman kehrt die nor malen TagesLilder und Oberflächmbeziehungen um, vielmehr er verkehrt sie nicht eigentlich, sondern gleitet über sie hinweg, als seien ste nicht vorhanden, und setzt an ihre Stelle ein Mosaik von Tatsachen und Begründungen, das die vertrauten Gegebenheiten völlig verdrängt. Im Märchen reden die Tiere, wenn die Enthüllung der Wahrheit es fordert; im „Schloß" entfernt sich die um Aufklärung bemühte Menschenrede nur immer weiter von ihrem Ziel. Die einfachsten menschlichen Verhältnisse, Haltungen und Leistungen, so die Liebe Friedas zu K., die Weigerung Amaliens, sich dem Herrn vom Schloß hinzugeben, die Erledigung eines Botendienstes, die Ver nehmung zu Protokoll — diese eindeutigen Bestimmtheiten, Leren Ablauf nicht zweifelhaft sein dürfte, entwickeln sich, wenn sie durchgeführt werden, in skurrilen Bahnen, die in Sackgassen Enden oder doch stets ableiten von dem erstrebten Ende. Die Lebenserfahrungen, die als Gewißheiten gelten, sind hier das Allerungewisseste, die organische Einheit des Menschen ist auf gelöst, das Leichte wird schwer. Fragmente von Liebe und Ge meinheit, spitzfindige Beweise, die sich ins Unabsehbare er strecken, Situationen, die weder den erwarteten Sinn noch den Gegensinn in sich tragen, sondern einen anderen verdeckten — lauter Teilstücke des alten Lebens sind herausgegriffen und in verstellter Reihe miteinander verbunden. Nur aus der ein zigen Perspektive des ungegsbenen Wahren erschienen sie in der richtigen Ordnung. Daß das Wahre nicht in diese Welt eintritt, taucht sie in Line Angst, die dem Märchenglück entgegengesetzt ist. Die Hexe frißt im Roman wirklich HLnsel und Gretel; jene Angst, an die keine andere Angst reicht: daß M Wahrheit verschüttet sei, umhüllt die Erscheinungen und Gespräche. Allein der Träumende kennt sie vielleicht, der im Traum Zerfallene Mensch, der den nicht nur durch das Spiel der Triebe verrückten Da- semselemmLen preisgegeben ist. Der Mensch, der in das Antlitz der Meduse blickt, wird nach mythologischer Vorstellung ver steinert; der Jude Kafka trägt das Entsetzen in die Welt, weil sich ihr das Antlitz der Wahrheit entzieht. Böte es sich: sie müßte irrsinnig werd m vor GWL Volk m NoL» Dieser Film, den die „Alßwannia- Lichtspiele" zeigen, rekapituliert den Krieg. Die Schlacht- ereignifle im Osten — der Vorstoß Rennenkamps, die Schlacht bei Tannenberg — entfalten sich als Hintergrund einer kleinen Privathandlung, in der eine ostpreußische Gutsbesitzerin, ihr Sohn und ihre Nichte, jener natürlich Ulanenleutnant, diese natürlich m ihn verliebt, die Hauptrollen spielen. Vielleicht ist auch umge^hrt die Privathandlung der Hintergrund. Jedenfalls gibt es überall Militär zu sehen, deutsches und russisches, und auch die Russen sind zum Teil edel. Einer ist es sogar sehr, aber er hatte eine deutsche Mutter. Der Film ist unter Aufsicht einiger deutscher - Militärs hergestellt, die für seine Richtigkeit bürgen. Von den Schlachten ist freilich nicht viel mehr zu sehen als Soldaten, die anrücken, und Soldaten, die fliehen. Was sie bedeuten, verrat der Text, der von breiter Ausführlichkeit ist. Auch sonst ist vieles zu gedehnt, das Stück hat rein als Film Schwächen. Im übrigen vertritt es die konventionellen Auffassungen von Militär und Krieg und stellt die konventionellen Gefühle der Menschen aus mittleren Romanen dar Dem läßt sich nicht widersprechen, das Publikum will befriedigt sein. . Pfeile, die von unten nach oben zielen, zur Umkehr gezwungen, und während sie niedcrgehen, beschreiben ste ver.chlungene Kurven wie Schlangen. Die Unmöglichkeit eines Einblicks in die Ratschlüsse der thronenden Beamtenschaft, die klar und hell sein mögen, wird durch die Unentwirrbarst der Zusammen hänge im Dorf unterstrichen. Dem K. sind vom Schloß zwei einander Zum Verwechseln ähnliche Gehilfen beigcgeben, die lauter Unfug stiften und Muster von Kobolden sind. K.s Hand lungen, die vernünftig scheinen, sind Zuletzt unvernünftig, die Liebe der Kauen kommt zu ihm ohne Bestimmung und verläßt ihn ohne Grund. Der Ausgang aus dem Labyrinth wäre das Schloß, nach dem hin es sich nicht öffnet. Die am Tag liegende Deutung, daß der Roman das Ver hältnis der Menschen zur göttlichen Lenkung gleicknishaft dar- stelle, trifft weder seinen Sinn noch die von ihm bedingte Form. Meinte er das göttliche Gerichts- und Gnadenverfahren, so könnte er die unsichtbare höchste Stelle nicht an einen Ort des Grauens verlegen und den Instanzenweg zu ihr hin nicht als eine Folge kleiner Schrecklichsten entlarven. Wie verschieden immer die Theologie die Uebernatur in die Natur hat ein greifen lassen, sie hat mit Notwendigkeit die Vorsehung niemals gegenden Menschen gesetzt oder ihr konstitutives Verborgen sein zum Grunde des äußersten menschlichen Leidens gemacht. So drohend starrt die Hölle nur in das Leben herein. Aber auch sie fällt bei Kafka äus, denn das Dasein der Verdammten ist an das der Erlösten geknüpft,' die der Dichter nicht kennt. Das von ihm Gemeinte liegt hinter und unter den gestaUhaften theologischen Kategorien des Gerichts, des Paradieses, der Hölle: es ist die Abgesperrtheit des Menschen von der Wahrheit. An den Märchen der Völker wird am Ende die Wahrheit offenbar. Nichts anderes sind die reinen Märchen als der Vor- Lraum des vollendeten Einbruchs der Wahrheit in die Welt. Er erfolgt gegen die blinden Naturgewalten, die unterliegen müssen. Der dumme Tölpel führt die Prinzessin heim, die dem Mächtigen sicher schien, dämonische Zauberei kann den Stand haften nicht verblenden, Hexenspuk und die Bollwerke des Ver derbens werden durch das gerechte Urteil getilgt. Die Märchen sind nicht Wundergeschichten, sondern ihr Sinn ist die Auf hebung der mythologischen Kräfte und d'e Abschaffung des Wunders um der Wirklichkeit der Wahrheit willen. Ihr Sieg allein ist das Wunderbare. Genau die Matrize des Märchens ist der Roman Wie kaum -ein anderer vor ihm blickt auf das End menschlicher Geschichte hin, das in der Wahrheit ist. Ihre Nichtverwirklichung ist sein Thema. Damit aber, daß er d'e Verstelltheit des Irdischen aufdeckt, das von de^ Wahr heit verlassen ist, macht er diese nicht minder wie das Märchen i;ur Mitte. In den ältesten Sprachen sind die Gegensätze durch ! das nämliche Wort ausgedrückt worden, ein Traumelement