südlichen Ländchens hat sich aus Paris eine Geliebte heimgeholt, die ein amerikanischer Milliardär unter seinen Besitztümern wünschte. Sie zu gewinnen, kauft der Milliardär unzufriedene Volksmassen und besticht den königlichen General. Rasch wird ein patriotischer Ausstand inszeniert. Die Maschinengewehre setzten sich in Tätigkeit, auf den Straßen und Plätzen bilden sich malerisch verteilte Leichen. Der General kann dem Milliardär melden, daß durch die Gefangen nahme des Königs das Mädchen frei geworden sei; er steht vor seinem Geldgeber in der servilen Haltung eines Kammerdieners. So würden also Putsche und Blutbäder auf Veranlassung des ! Großkapitals an gerichtet? Der Film ist verrückt. Er schildert die Ereignisse, wie sie tatsächlich verlaufen, statt ihnen die Würde zu erhalten, die sie ermöglicht. Gottlob strahlt der Film sofort wieder mit roten Wangen. Der Amerikaner nämlich ist in Wahrheit ein guter Mensch, der seine Milliarden zu Recht besitzt. Nachdem er erfahren hat, daß die Pariserin ihrem Geliebten die Treue wahrt, befreit er den Exkönig aus dem Gefängnis und schickt das glück liche Paar auf die Hochzeitsreise. Liebe ist stärker als Geld, wenn ! das Geld Sympathien gewinnen soll. Die kleinen Ladenmädchen I hatten sich geängstigt. Nun atmen sie auf. Kilm und Gesellschaft. Vchluß der Serie: Die kleinen La den Mädchen gehen ins Kino.^) Von Raea. Die Filme sind der Spiegel der besteh Eden Gesellschaft. Sie werden aus den Mitteln von Konzernen Lestritten, die zur Erzielung von Gewinnen den Geschmack des PublikumA um jeden Preis treffen müssen. Das Publikum seht sich gewiß auch aus Arbeitern und kleinen Leuten zusammen, die Wer die Zustände in den oberen Kreisen räsonnieren, und das Geschäftsinteresse fordert, daß der Produzent die gesell- schaftskritischen Bedürfnisse seiner Konsumenten befriedige. Niemals aber wird er sich zu Darbietungen verführen lassen, die das Fundament der Gesellschaft im geringsten angreifen: er vernichtete sonst seine eigene Existenz als kapitalistischer Unternehmer. Ja, die Filme für die niedere Bevölkerung sind mach bürgerlicher als die für das bessere Publikum; gerade, weil es Lei ihnen gilt, gefährliche Perspektiven anzudeuten, ohne sie zu eröffnen, und die achtbare Gesinnung auf den Zehenspitzen einzuschmuggeln. Daß die Filme in ihrer Ge^ samtheit das herrschende System bestätigen, ward an der Er regung über den P otemkin - Film offenbar. Man empfand sein Anderssein, man bejahte ihn ästhetisch, um das mit ihm Gemeinte verdrängen zu können. Ihm gegenüber vergingen die Unterschiede zwischen den einzelnen FiMgattungen der deutschen oder auch amerikanischen Produktion, und es erwies sich bündig, daß diese Produktion die einheitliche Aeußerung der einen und gleichen Gesellschaft ist. Die Versuche mancher Regisseure und Autoren, sich von ihr loszusagen, haben von vornherein keine Chance. Entweder sind die Aufsässigen, ohne es zu wissen, nur Attrappen der Gesellschaft, die sie am Gängel band führt, während sie sich zu empören glauben, oder sie werden aus Selbsterhaltungstrieb zu Kompromissen ge zwungen. (Chaplin sogar endet im „Goldrausch" als Millionär, ohne ein richtiges Ende zu finden.) Die Gesellschaft ist viel zu mächtig, um andere Bildstreifen als die ihr genehmen zu gestatten. Der Film muß sie spiegeln, ob er will oder nicht. Aber ist es wirklich die Gesellschaft, die sich in der Film kolportage Zeigt? Diese rührseligen Rettungen, dieser unmög liche Edelnmt, diese jungen glatten Gents, diese monströsen Hoch stapler, Verbrecher und Helden, diese moralischen Liebes- Rächte und unmoralischen Eheschlüsse: gibt es sie wirklich? Es gibt sie wirklich, man lese die Generalanzeiger. Kein Kitsch kann erfunden werden, den das Leben nicht überträfe. Die Dienstmädchen benutzen nicht die Liebesbriefsteller, sondern diese umgekehrt sind nach den Briefen der Dienstmädchen komponiert, und Jungfrauen gehen noch ins Wasser, wenn sie ihren Bräutigam untreu wähnen. Filmkolportage und Leben entsprechen einander gewöhnlich, weil die Tippmamsells sich nach den Vorbildern auf der Leinwand modeln; vielleicht sind aber die verlogensten Vorbilder aus dem Leben gestohlen. Dennoch soll nicht bestritten werden, daß es in den meisten Gegenwartsfilmen unwahrscheinlich hergeht. Sie färben die schwärzesten Einrichtungen rosa und überschmieren die Röte. Darum hören sie nicht auf, die Gesellschaft zu spiegeln. Viel mehr: je unrichtiger sie die Oberfläche darstellen, desto richtiger werden sie, desto deutlicher scheint in ihnen der geheime Mecha nismus der Gesellschaft wieder. Es mag in Wirklichkeit nicht leicht geschehen, daß ein Scheuermädchen einen Rolls Royce Besitzer heiratet; indessen, ist es nicht der Traum der Rolls Royce-Besitzer, daß die Scheuermädchen davon träumen, zu ihnen emporzusteigen? Die blödsinnigen und irrealen Film phantasien sind die Tag träume der Gesellschaft, in denen ihre eigentliche Realität zum Vorschein kommt, ihre sonst unterdrückten Wünsche sich gestalten. (Die Tatsache, daß, wie in der Buchkolportage, so auch in der Filmkoltzortage große Sachgehalte sich verzerrt mit ausdrücken, verschlägt in diesem Zusammenhang nichts.) Daß die Mitglieder der höheren und nächsthöheren Stände ihr Porträt in den Jilr ^n nicht er- kennen, ist kein Einwand wider die Aehnlichkeit der Photo graphie. Sie haben Grund, nicht zu wissen, wie sie aussehen, und wenn sie etwas als unwahr bezeichnen, ist es nur um so i wahrer. Auch in solchen Filmen noch, die in die Vergange n - heit schweifen, gibt sich die heutige Umwelt zu erkennen. Sie kann sich schon darum nicht immer betrachten, weil sie sich nicht von allen Seiten betrachten darf; die Möglichkeiten un- anstößiger Selbstdarstellungen sind begrenzt, während das Ver langen nach Stoffen unersättlich ist. Die vielen historischen Filme, die nur das Gewesene illustrieren (nicht etwa wie der Potemkin-Film die Gegenwart in historischem Gewand) sind ihrer eigentlichen Bestimmung nach Blendungsversuche. Da die Verbildlichung von Zeitereignissen stets Gefahr läuft, die leicht erregbare Menge gegen mächtige Institutionen einzu- nehmen, die in der Tat oft nicht einnehmend sind, richtet man^ die Kamera lieber auf das Mittelalter, an dem das Publikum sich unbeschädigt erbauen mag. Je weiter zurück die Handlung liegt, desto tollkühner werden die Filmleute. Sie wagen es, Revolutionen in historischen Kostümen zum Sieg zu verhelfen, um die modernen vergessen zu machen, und befriedigen gerne das theoretische Gerechtigkeitsgefühl durch die Verfilmung längst verschollener Freiheitskämpfe. Douglas Fairbanks, der ritterliche Gönner der Unterdrückten, zieht in früheren Hunderten gegen eine Gewaltherrschaft zu Feld, deren Fort-! dauer heute keinem Amerikaner mehr nutzt. Der Mut der Filme verringert sich direkt proportional mit dem Quadrat der An-! Näherung an die Gegenwart. Die geschätzten Szenen aus dem Weltkrieg sind keine Flucht ins Jenseits der Geschichte, sondern die unmittelbare Willenskundgäbe der Gesellschaft. Daß sie sich in den Filmen reiner als in Theater stücken spiegelt, erklärt sich schon allein aus der größeren An zahl der Vermittlungsglieder, die zwischen dem Dramatiker und dem Kapital eingeschaltet sind. Nicht nur jenem, auch den Intendanten wird es so scheinen, als sei man von diesem unabhängig, als könne man zeit- und klassenlose Kunstwerke produzieren. Man kann es nicht, aber immerhin ent stehen Gebilde, deren soziale Bedingtheit schwerer zu durch schauen ist als die von Filmen, die der Konzern-Direktor in Person überwacht. Vor allem die der intellektuellen (Ber liner) Bourgeoisie gewidmeten Lust- und Trauerspiele, ge hobenen Revuen und Regie-Kunstfertigkeiten stehen nur zum Teil noch ungebrochen innerhalb der Gesellschaft; ihr Publi kum liest am Ende eine radikale Zeitschrift und geht feinern bürgerlichen Beruf mit schlechtem Gewissen nach, um ein gutes zu haben. Auch die künstlerischen Qualitäten eines Theater stücks mögen es der Gesellschaftssphäre entrücken. Zwar, Dichter sind häufig dumm, und wenn sie auf der einen Seite der üLerkowM'enen Gesellschaft absagen, gehen sie ihr auf der anderen um so gründlicher auf den Leim. (Bert Brecht hat in der „Literarischen Welt" die Lyrik der Vürgerlichkeit verdächtigt und an ihrer Stelle dem Sport sich verschrieben. Der Sport als unbürgerliches Phänomen — Samson-Körners Biograph ist um diese Entdeckung nicht zu beneiden.) Von solchen Ausnahmen abgesehen, die sich einem Teil der Bin dungen bewußt entziehen, ist im übrigen das Gros der Bühnenmachwerke die genaue Antwort auf die Empfindungen von Theatergemeinden und dem Bestehenden nicht minder ver pflichtet als die Filme, von denen es sich nur durch die größere Langeweile unterscheidet. z Um die heutige Gesellschaft zu erforschen, hätte man also den Erzeugnissen ihrer Filmkonzerne die Beichte abzunehmen. Sie plaudern alle ein unzartes Geheimnis aus, ohne daß sie es eigentlich möchten. In der unendlichen Reihe der Filme kehrt eine begrenzte Zahl typischer Motive immer wieder; sie zeigen an, wie die Gesellschaft sich selber zu sehen wünscht. Der Inbegriff der Filmmotive ist zugleich die Summe der gesellschastlichen Ideologien, die durch die Deutung dieser Motive entzaubert werden. Die Serie: „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino" ist als ein kleines Musteralbum angelegt, dessen SHulfalle der moralischen Kasuistik unterworfen sind. *) Die Serie ist in den Abendblättern vom 11- bis M März N dieser Reihenfolge veröffentlicht worden: „Freie Bahn", ^Geschlecht und Charakter", „Volk in Waffen", »Die Weltreisendsn", „Das goldene Herz", „Der Moderne Harun alRaschid", „Stille Tragödien", an der Grenze". _