xost III. II. r-arstelle, von der man das Wenige behalten hat, das vielleicht auch vergessen wird, muß den Eltern geglaubt werden, die eZ von der Mutter selbst erfahren zu Haben behaupten. Zeugen aussagen sind ungewiß. Am Errde ist auf der Photographie gar nicht die Großmutter wiedergegeben, sondern ihre Freundin, der sie glich. Mitl-ebende existieren nicht mehr, und die Aehnlichkeit? Längst ist das Urbild vermodert. Mit den erinnerten Zügen aber hat bis nachgedunkelte Erscheinung so wenig gemein, daß die Enkel sich erstaunt dem Zwang' unter werfen, in der Photographie der fragmentarisch überlieferten Ahnfrau zu begegnen. Nun gut, also die Großmutter, doch in Wirklichkeit ist es ein beliebiges junges Mädchen 1864. Das Mädchen lächelt in einem fort, immer dasselbe Lächeln, das! Lächeln bleibt stehen, ohne noch -auf das Leben Zu weisen, aus dem es herausgenommen ist. Nichts hilft die Aehnlich- keit mehr. Puppen in Friseurgeschästen lächeln so starr und immerwährend. Die Puppe ist nicht von heute, sie konnte im Museum mit anderen ihresgleichen in einem Glaskasten stehen, der die Aufschrift: „Trachten 1864" trüge. Dort stehen die Puppen der historischen Kostüms wegen, und auch die Groß mutter auf der Photographie ist ein archäologisches Manne quin, das der Veranschaulichung des Zeitkostüms dient. So also ging man damals: mit Chignons, um die Taille eng geschnürt, in der Krinoline und dem Zuavenjäckchen. Vor den Augen der Enkel löst sich die Großmutter in modisch-alt modische Einzelheiten auf. Die Enkel lachen über die Tracht, die nach der Verflüchtigung ihres Trägers allein den Kampf platz behauptet — eine Außendekoration, die stch verselb ständigt hat —, sie sind pietätlos, und heute kleiden die jungen Mädchen sich anders. Sie lachen und Zugleich überläuft sie ein Gruseln. Denn durch die Ornamentik des Kostüms hindurch, aus dem die Großmutter verschwand ist, meinen sie einen Augenblick der verflossenen Zeit Zu erblicken, der Zeit, die ohne Wiederkehr abläuft. Zwar ist die Zeit nicht mit photo graphiert wie das Lächeln oder die Chignons, aber die Photo graphie selber, so dünkt ihnen, ist eine Darstellung der Zeit. Wenn nur die Photographie ihnen Dauer schenkte, erhielten sie sich also gar nicht über die bloße Zeit hinaus, vielmehr — die Zeit schüfe aus ihnen sich Bilder. Das Gedächtnis bezieht weder die totale Raum erscheinung noch den totalen Zeitlichen Verlauf eines Tatbe standes ein. Im Vergleich mit der Photographie sind seine ' Aufzeichnungen Lückenhaft. Daß die Großmutter einmal in eine böse Geschichte verwickelt war, die man immer wieder erzählt, weil man nicht gern von ihr spricht, will vom Stand punkts des Photographen nicht viel heißen. Er kennt die ersten Fälschen auf ihrem Gesicht, er hat jedes Datum notiert. Das Gedächtnis achtet der Daten nicht, es überspringt die Jahre oder dehnt den zeitlichen Abstand. Die Auslese der von ihm vereinten Züge muß dem Photographen willkürlich dünken. Sie mag so und nicht anders getroffen werden, weil Anlagen und Zwecke die Verdrängung, Verfälschung und Hervorhebung gewisser Teile des Gegenstandes fordern; eine schlechte Un endlichkeit von Gründen bestimmt die zu filtrierenden Reste, Gleichviel, welcher Szenen sich ein Mensch erinnert: sie meinen etwas, das sich auf ihn bezieht, ohne daß er wissen müßte, was sie meinen. Im Hinblick auf das für ihn Gemeinte werden sie aufgehoben. Sie organisieren stch also nach einem Prinzip, das stch von dem der Photographie seinem Wesen nach unterscheidet. Die Photographie erfaßt das Gegebene als ein räumliches (oder zeitliches) Kontinuum, die Gedächtnis--, bilder bewahren es, insofern es etwas meint. Da das Ge meinte, in dem nur-räumlichen Zusammenhang so wenig auf- geht wie in dem nur-zeitlichen, stehen sie windschief zur Photo graphischen Wiedergabe. Erscheinen sie von dieser aus als' Fragment — als Fragment aber, weil die Photographie den Sinn nicht einbegreift, auf den sie bezogen stnd und auf den hingerichtet sie aufhören, Fragment zu sein —, so erscheint, die Photographie von ihnen aus als ein Gemenge, das sich zum Teil aus Abfällen zusammensetzt. Die Bedeutung der Gedächtnisbilder ist an ihren Wahr heitsgehalt geknüpft. Solange sie in das unkontrollierte Trieb leben eingebunden sind, wohnt ihnen eine dämonische Zwei deutigkeit innc; sie sind matt wie Milchglas, durch das kaum ein Lichtschimmer dringt. Ihre Transparenz erhöht sich in dem Maße, als Erkenntnisse die Vegetation der Seele lichten und den Naturzwang begrenzen. Wahrheit finden kann nur das freigesehte Bewußtsein, das die Dämonie der Triebe er mißt. Die Züge, deren es sich erinnert, stehen in einer Be ziehung zu dem als wahr Erkannten, das sich in ihnen kund geben oder von ihnen ausgesperrt werden mag. Das Bild, irr dem stch jene Züge finden, ist vor allen anderen Gedächtnis bildern ausgezeichnet; denn es bewahrt nicht wie sie eine Fülle undurchscheinender Erinnerungen, sondern Gehalte, die das als wahr Erkannte betreffen. Zu diesem Bilde, das mit gutem Recht das letzte heißen darf, müssen stch sämtliche Ge- düchtnisbilder reduzieren, da nur in ihm das Unvergeßliche dauert. Das letzte Bild eines Menschen ist seine eigentliche „Geschichte". Aus ihr fallen alle Merkmale und Be stimmungen aus, die sich nicht in einem bedeutenden Sinne zu der von dem .freigesetzten Bewußtsein gemeinten Wahrheit ver halten. Wie sie von einem Menschen dargestellt wird, hängt weder rein von seiner Naturbeschaffenheit noch von dem Scheinzusammenhang seiner Individualität ab; also gehen nur Bruchstücke dieser Bestände in seine Geschichte ein. Sie gleicht einem Monogramm, das den Namen zu einem Linienzug verdichtet, der als Ornament Bedeutung hat. Das Monogramm des Eckart ist die Treue. Große historische Er scheinungen leben in der Legende fort, die, wie naiv immer, ihre eigentliche Geschichte bergen möchte. In den echten Mär chen hat die Phantasie typische Monogramme ahnungsweise I. So steht die Filmdiva aus. Sie ist 24 Jahre alt, sie steht auf der Titelseite einer illustrierten Zeitung vor dem Excelsior-Hotel am Lido. Wir schreiben September. Wer durch die Lupe blickte, erkennte den Raster, die Millionen von Pünktchen, aus denen die Diva, die Wellen und das Hotel bestehen. Aber mit dem Bild ist nicht das Punktnetz gemeint, sondern die lebendige Diva am Lido. Zeit: Gegenwart. Der Begleittext nennt sie dämonisch; unsere dämonische Diva. Trotzdem entbehrt sie nicht eines gewissen Ausdrucks. Die Ponny-Frisur, die verführerische Pose des Kopfes und Die Zwölf Wimpern rechts und links -- alle von der Kamera gr Die Motsgraphie. Von Siegfried Kraeaner. In der Schlauraffenzeit da ging ich, und sah an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der Lateran, und ein fußloser Mann der überlief ein schnelles Pferd, und ein LiLterscharfeZ Schwert das durchhieb eine Brücke. (Grimms Kinder- und Hausmärchen.) „Aus der Frühzeit der Freundschaft Goethes und Karl Augusts". — „Karl August und die Erfurter Ccadjutor-. wähl 1787". — „Besuch eines Böhmen in Jena und Weimar" (1818). — „Erinnerungen eines Weimarischen Gymnasiasten" (1825 His 1830). — „Ein zeitgenössischer Bericht über die eine lückenlose Erscheinung. Jeder erkennt sie entzückt, denn jeder hat das Original schon auf der Leinwand gesehen. Sie ist so gut getroffen, daß sie mit niemandem verwechselt werden kann, wenn sie auch vielleicht nur der Zwölfte Teil eines Dutzends von Tillergirls ist. Träumerisch steht sie vor dem Excelsior-Hotel, das stch in ihrem Ruhme sonnt, ein Wesen aus Fleisch und Blut, unsere dämonische Diva, 24 Jahre, am Lido. Wir schreiben September. Sah so die Großmutter ausd. Die Photographie, über M Jahre alt und schon eins Photographie in modernem Sinn, zeigt sie als junges Mädchen von 24. Da Photographien Änlich sind, muß auch diese ähnlich gewesen sein. Sie ist in Atelier eines Hosphotographen mit Bedacht angefertigt worden. Aber fehlte die mündliche Tradition, aus dem Bild ließe sich _ die Großmutter nicht rekonstruieren. Die Enkel wissen, daß sie in späteren Jahren in einem engen Zimmerchen mit dem^BlE auf die Altstadt wohnte, daß sie den Kindern Zuliebe, Soldaten auf einer Glasplatte tanzen ließ, sie kennen eine böw Geschickte aus Hrem Leben und Zwei beglaubigte Aussprüche, die sich von Generation zu Generation ein wenig Verändern. Daß die Photographie jene gleiche Großmutter Weimarer Goethe-Feier des 7. November 1825". — „Eine wiedergefundene Wielandbüste Ludwig Klauers". — „Plan eines Goethe-Nationaldenkmals in Weimar". — Das Her barium dieser und anderer Untersuchungen sind die Jahr bücher der Goethe-Gesellschaft, deren Reihe grundfävlich nicht abzuschließen ist. Die Goethe-Phrlologie lächerlich Zu machen, die in ihnen ihre Präparate ablegt, wäre um so müßiger, als sie von selber das Zeitliche segnet, das sie auf- liest; während der Similiglanz der Zahlreichen Monumental werke über Goethes Gestalt, Wesen, Persönlichkeit usw. noch kaum durchschaut worden ist. Das Prinzip der Goethe-Philo logie ist das des hist oristi scheu Denkens, das ungefähr gleichzeitig mit der modernen photographischen Technik sich durchgesetzt hat. Seine Vertreter — Dilthey etwa — wähnen irgend eine Erscheinung rein aus ihrer Genesis erklären Zu können, glauben also jedenfalls die geschichtliche Wirklichkeit zu greifen, wenn sie die Reihe der Ereignisse in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge lückenlos wieder herstellen. Die Photogra phie bietet ein Raumkontinuum dar; der Historismus möchte das Zeitkontinuum erfüllen. Die vollständige Spiegelung des innerzeitlichen Verlaufs birgt nach ihm zugleich den Sinn der in der Zeit abgelaufsnen Gehalte. Fehlten in der Dar-- stellung Goethes die Zwischenglieder der Erfurter Coadjutor- wahl oder der Erinnerungen des Weimarer Gymnasiasten, so er .. m .- a - cn k g — elte — es ihr an Wirklichkeit. E De N m K H y js M tW O smmu M K^ A a M M UM öle Photographie der-Zeit. Seiner Zeitphotographie ent-! wrache ein Ricpenfilm, der die in ihr verbundenen Vorgänge allseitig abbildete.