in der das Bewußtsein des Menschen von der Natur noch ganz umgriffen wird. „Wie die Geschichte der einzelnen Wörter stets mit der sinnlich-natürlichen Bedeutung eröffnet und erst im weiter« Fortgang der Entwicklung zu abgezogenen, figür lichen Anwendungen fortschreitet, wie in der Religion, in der Entwicklung des einzelnen Individuums und der Menschheit überhaupt derselbe Fortschritt von dem Stoffe und der Materie zu Seelischem und Geistigem zu bemerken ist: also haben auch die Symbole, in welchen die früheste Menschheit ihre Anschauungen von der Natur der sie umgebenden Welt niederzulegen gewohnt war, eine rein physisch-materielle Grund bedeutung. Die Natur hat, wie die Sprache, so auch die Sym bolik auf ihren Schoß genommen." — Der Satz entstammt B ach o f e n s Abhandlung über den seilflechtenden Ocnos, in der nachgewiesen wird, daß das auf dem Bild dargestellte Spinnen und Weben ursprünglich die Tätigkeit der formenden Naturkraft bedeutet habe. In dem Maße, als das Bewußt sein seiner selbst inne wird und damit die anfängliche „Iden tität von Natur und Mensch" (Marx: „Deutsche Ideologie") hinschwindet, nimmt das Bild mehr und mehr eine abgezogene, immaterielle Bedeutung an. Aber ob sie auch, wie Bachofen sich auSdrückt, zur Bezeichnung von „Seelischem und Geistigem" fortschreit«: sie ist dem Bild so eingetan, daß sie von ihm nicht abzuheben wäre. Auf weite Strecken der Ge schichte hin bleiben die bildhaften Darstellungen Symbole. So lange der Mensch ihrer bedarf, befindet er sich in einer prak tischen Abhängigkeit von den Naturverhältnifsen, die das sichtbar-leibliche Meinen des Bewußtseins bedingt. Erst mit der zunehmenden Beherrschung der Natur verliert das Bild seine symbolische Kraft. Das sich aus der Natur aussondernde und ihr gegenübertretende Bewußtsein ist nicht mehr naiv in die mythologische Hülle verpuppt: es denkt in Begriffen, die freilich in durchaus mythologischer Absicht gebraucht werden mögen. Roch ist in gewissen Epochen das Bild nicht ohne Macht; die symbolische Darstellung wird zur Allegorie. „Diese bedeutet bloß einen allgemeinen Begriff oder eine Idee, die von ihr selbst verschieden ist, jene ist die versinnlichts, verkörperte Idee selbst", so definiert der alte Creuzer den Unterschied beider Bildarten. Auf der Stufe des Symbols ist das Gedachte im Bild enthalten; auf der Stufe der Allegorie bewahrt und benutzt der Gedanke das Bild, als zauderte das Bewußtsein, die Hülle abzuweefen. Der Schema tismus ist grob. Genug, wenn er den Wandel der Darstellungen veranschaulicht, der das Zeichen für den Aus zug des Bewußtseins Es seiner Naturbefangenheit ist. Je entschiedener sich doS Bewußtsein im Verlauf des GeschichtS- prozesseS von ihr befreit, desto reiner bietet sich ihm sein Natur- fmchament dar. Dem, das Gemeinte erschein ihm nicht mehr der photographischm Wochenration gar nicht bezweckt. Böte sie sich dem Gedächtnis als Stütze an, so müßte das Gedächt nis ihre Auswahl bestimmen. Doch die Flut der Photos fegt seine Dämme hinweg. So gewaltig ist der Ansturm der Bild kollektionen, daß er das vielleicht vorhandene Bewußtsein ent scheidender Züge zu vernichten droht. Kunstwerke werden durch ihre Reproduktion von diesem Schicksal getroffen. Für das vervielfältigte Original gilt der Satz: mitgefangen, mit gehangen; statt hinter den Reproduktionen zu erscheinen, neigt es dazu, in ihrer Mannigfaltigkeit zu verschwinden und als Kunstphotographie weiter zu leben. In den Illustrierten sieht das Publikum die Welt, an deren Wahrnehmung es die Illu strierten hindern. Das räumliche Kontinuum aus der Perspek tive der Kamera überzieht die Raumerscheinung des erkannten Gegenstands, die Ähnlichkeit mit ihm verwischt die Konturen seiner „Geschichte". Noch niemals hat eine Zeit so wenig über sich Bescheid gewußt. Die Einrichtung der Illustrierten ist in der Hand der herrschenden Gesellschaft eines der mächtigsten Streikmittel gegen die Erkenntnis. Der erfolgreichen Durch führung deS Streiks dient nicht zuletzt das bunte Arrangement der Bilder. Ihr Nebeneinander schließt systematisch den Zusammenhang aus, der dem Bewußtsein sich eröffnet. Die „Bildidee" vertreibt dis Idee, das Schneegestöber der Photo graphien verrät die Gleichgültigkeit gegen das mit den Sachen Gemeinte. So müßte es nicht sein; aber die amerikanischen Illustrierten jedenfalls, denen die der andem Länder viel fach nacheifern, setzen die Wett mit dem Inbegriff der Photographien gleich. Diese Gleichsetzung wird nicht grund los vollzogen. Denn die Welt selber hat sich ein »Photo- graphiergesicht" zugelegt; sie kann photographiert werden, weil sie in dem räumlichen Kontinuum aufzugehen strebt, das sich Momentaufnahmen ergibt. Von dem Bruchteil einer Sekunde, der zur Belichtung des Gegenstandes genügt, hängt es unter Umständen ab, ob ein Sportsmann so berühmt wird, daß ihn im Auftrag der Illustrierten die Photographen belichten. Auch die Figuren der schönen Mädchen und der jungen Herren sind von der Kamera zu erfassen. Daß sie die Welt frißt, ist ein Zeichen der Todesfurcht. Die Erinnerung an den Tod, der in jedem Gedächtnisbild mitgedacht ist, möchten die Photo graphien durch ihre Häufung verbannen. In den illustrierten Zeitungen ist die Welt zur photographierbaren Gegenwart ge worden und die photographierte Gegenwart ganz verewigt. Sie scheint dem Tod entrissen zu sei«; in Wirklichkeit ist sie ihm preisgegebsn. VII. MMN? Die Reihe der bildlichen Darstellungen, deren letzte ge schichtliche Stufe die Photographie ist, beginnt mit dem S tz m b o l, Es gW «f M ^mturtsSchfige Gemeinschaft" MSck, zeigen sich die Rheinhügel als Berge. Durch Lie technische Entwicklung sind sie inzwischen zu winzigen Hängen herab gesetzt worden, und der Größenwahn jener ergrauten Ansichten ist ein wenig lächerlich. Das Gespenst ist komisch und furchtbar zugleich. Nicht das Lachen nur antwortet der veralteten Photographie. Sie stellt das schlechthin Vergangene dar, aber der Abfall war einmal Gegenwart. Die Großmutter ist ein Mensch gewesen, und zu dem Menschen haben Chignons und Korsett, hat der hohe Renaissance-Stuhl mit den gedrehten Säulen gehört. Ein Ballast, der nicht niederzog, sondern bedenkenlos mitgenommen wurde. Nun geistert das Bild wie die Schloßfrau durch die Gegenwart. Nur an Orten, an denen eine schlimme Tat begangen worden ist, gehen Spukerscheinungen um. Die Photo graphie wird zum Gespenst, weil die Kostümpuppe gelebt hat. Durch das Bild ist bewiesen, daß die fremden Attrappen als ein selbstverständlicher Zubehör in das Leben einbezogen wor den sind. Sie, deren mangelnde Transparenz auf der alten Photographie erfahren wird, haben sich mit den durchsichtigen Zügen früher unzertrennlich gemischt. Die schlimme Verbin dung, die in der Photographie andauert, erweckt den Schauder. Er wird auf drastische Weise durch die in dem Pariser Avant garde-Kino: „Studio des Ilrsnlinks" vorgeführten Film szenen der Vorkriegszeit erzeugt, die das Umgriffensein der im Gedächtnisbild aufgespeicherten Züge von einer längst ge schwundenen Realität behaupten. Auch die Wiedergabe alter Schlager oder die Lektüre einst geschriebener Briefe beschwört wie das Photographische Bildnis die zerfallene Einheit neu herauf. Diese gespenstische Realität ist unerlöst. Sie besteht aus Teilen im Raum, deren Zusammenhang so wenig not wendig ist, daß man sich die Teile auch anders angeordnet denken könnte. Das hat einmal an uns gehaftet wie unsere Haut, und so haftet unser Eigentum noch heute uns an. Wir sind in nichts enthalten, und die Photographie sammelt Frag mente um ein Nichts. Als die Großmutter vor dem Objektiv stand, war sie für eine Sekunde in dem Raumkontinuum zu gegen, das dem Objektiv sich darbot. Verewigt worden ist aber statt der Großmutter jener Aspekt. Es fröstelt den Betrachter alter Photographien. Denn sie veranschaulichen nicht die Er kenntnis des Originals, sondern die räumliche Konfiguration eines Augenblicks; nicht der Mensch tritt in seiner Photo graphie heraus, sondern die Summe dessen, was von ihm ab- zuziehen ist. Sie vernichtet ihn, indem sie ihn abbildet, und fiele er mit ihr zusammen, so wäre er nicht vorhanden. Eine illustrierte Zeitung hatte vor kurzem unter dem Titel: „Das Antlitz des berühmten Menschen. So waren sie einst — und so find sie heute!' Jugend- und Altersaufnahmen bekannter Per- sönlichheiten zusammengestellt. Marx als Jüngling und Marx als Zentrumsführer, Hindenburg als Leutnant und unser Hindenburg. Die Photographien stehen nebeneinander wie statistische Berichte, und weder ist aus dem früherem Bild das lpätere zu ahnen, noch aus diesem jenes zu rekonstruieren. Daß die optischen Inventarverzeichnisse zusammengehören, wird auf Treu und Glauben hinzunehmen sein. Die Züge der Men schen sind allein in ihrer „Geschichte" erhalten, VI. Die Tageszeitungen bebildern immer mehr ihre Textes und was wäre ein Magazin ohne Bildmaterial? Der schlagende Beweis für die ausgezeichnete Gültigkeit der Photo graphie in der Gegenwart wird vor allem durch die Zunahme der illustrierten Zeitungen geliefert. In ihnen ver sammeln sich von der Filmdiva an sämtliche Erscheinungen, die der Kamera und dem Publikum erreichbar sind. Säuglinge interessieren die Mütter, junge Herren werden durch Gruppen schöner Mädchenbeine gefesselt. Schöne Mädchen erblicken gerne Sport- und Bühnengrößen, die am Fallreep des Ozean dampfers stehen, wenn sie nach fernen Ländern fahren. In den fernen Ländern werden Fnteressenkämpfe ausgefochten. Aber nicht auf sie ist das Interesse gerichtet, sondern auf dis Städte, die Naturkatastrophen, die Geisteshelden und die Politiker. In Genf tagt der Völkerbundskongreß. Er dient dazu, die Herren Stresemann und Briand vor dem Hotelein gang im Gespräch zu zeigen. Auch die neuen Moden müssen verbreitet werden, sonst wissen die schönen Mädchen im Sommer nicht, wer sie sind. Die Modeschönheiten nehmen mit jungen Herren an mondänen Ereignissen teil, in fernen Län dern finden Erdbeben statt, Herr Stresemann sitzt auf einer Palmenterrafle, für die Mütter sind unsere Kleinen. Die Absicht der illustrierten Zeitungen ist die vollständige Wiedergabe der dem Photographischen Apparat zugänglichen Welt; sie registrieren den räumlichen Abklatsch der Personen, Zustände und Ereignisse aus allen möglichen Perspektiven. Ihrem Verfahren entspricht das der Film-Wochenschau; sie ist eine Summe von Photographien, während dem eigent lichen Film die Photographie nur als Mittel dient. Noch niemals hat eine Zeit so gut über sich Bescheid gewußt, wenn Bescheid wissen heißt: ein Bild von den Dingen haben, das ihnen im Sinne der Photographie ähnlich ist. Als aktuelle Photographien beziehen sich die meisten Bilder der Illustrier ten auf Gegenstände, die im Original gegeben sind. Die Ab bilder sind also grundsätzlich Zeichen, die an das Original er innern mögen, das zu erkennen wäre. Die dämonische Diva. In Wirklichkeit aber wird der Hinweis auf dw Urbilder von