Mraune. -»- Der Roman von Hanns HeinA Ewers, nach dem dieser Film der Ufa-Lichtspiele gedreht ist, hat es in sich. Sein« Heldin ein dämonisches Wesen, das ein berühmter Naturforscher auf dem Wege der künstlichen Zeugung erschaffen hat; wobei er sich eines Gehenkten und einer Dirne bediente. Kaum ist das Mäd chen erwachsen, geht der Spuk los; es stürzt Jünglinge ins Un glück brennt durch, dringt in einen Löwenkäfig, macht sämtliche Männer verrückt. Zu guter Letzt auch den berühmten Profoessor, der sich als hren Vater auszegeben hat; hinter welch« fromme oder unfromme Lüge Alraune gelegentlich des Durchblätterns seines Tagebuchs kommt. Nachdem er von ihr ruiniert worden ist, läuft sie mit seinem Neffen davon. Wahrscheinlich wird er das Schicksal des Onkels teilen. So eine Art von Lulu-Ersatz. Die etwas falschen Schauer im Text sind von der Ufa und ihrem Regisseur Henrik Galeen weidlich ausgenützt worden. Galeen hat Sinn für Wirkung und arbeitet geschickt. Er hat die Zirkusszenen gut gebaut, kann Spielsäle stellen, bezieht überhaupt die Architektur in weitem Umfang ein. Wie er durch die Führung des Objektivs eine unheimliche Stimmung erzeugt, wie er die Lichtverteilung und Spiegeleffekte sich dienstbar macht — das alles ist einwandfrei. Auch vergreift er sich nirgends in der Auswahl der Typen. Dennoch hat der Film kompositionelle und technische Schwachen. In dem Roman mag die Heldin aus dem Tagebuch des Professors ihre wahre Herkunft erfahren; im Film wirkt das Tagebuch so öde, daß man sich wünschte, sie hätte auf eine andere, jedenfalls nicht handschriftlich fixierte Weise das Geheimnis ergründet. Auch ist wieder einmal zuviel und zu sichtbar gestellt: die Einleitungs szene, in der die Puppe eines Gehenkten gruseln machen soll, wäre besser gestrichen worden; und ist es denn wirklich immer nötig, winzige Eisenbahnzüge im Modell durch die künstliche Nacht rollen zu lassen? Schließlich wird manchmal über dem Auspinseln der erotischen Gefühle vergessen, daß es doch weitergehen soll. Paul Wegener als Professor: ein Koloß von Mann, dem man die kaltblütige Inszenierung jener sonderbaren Zeugung glaubt. Sein Gesicht wie aus Erde gestampft. Er scheint kaum zu spielen, sondern einfach er selbst zu sein. Der allmähliche Ueber- gang aus dem Vater, vor dem das Mädchen sich fürchtet, in den begehrlichen Liebenden, den sie zum Irrsinn treibt, ist mit voll endeter Sicherheit durchgeführt. Brigitte H e l m s Alraune ist eben falls eine ansehnliche Leistung. Ein blutarmes Gesicht, aus dem die Haare zurückgekämmt sind: die Augen traurig, Haftlos und leer. Etwas Aufsaugendes wohnt ihr inne. Ausgezeichnet die Szene im Gesellschaftskleid, in der sie den Pseudovater verführt. Man spürt hinter alledem den Regisseur. Hier und da scheint er locker zu lassen, dann schimmert unfreiwillig Naivität durch die Vampirhafte Außenseite hindurch. — Zu nennen noch: Wolfgang Zilzer, der für anständige Jünglinge wie geschaffen ist, und Louis Ralphs Zauberkünstler, eine Erscheinung von robuster Zwei deutigkeit. — Die Musik begleitet verständnisvoll. kaeL. KHaplm. Zu seinem Film „Zirkus*. Um es vorwegzunehmen: der Zirkusfilm erreicht als Kompo sition nicht den Goldrausch. Seine Fabel ist konventioneller, und auf kurze Strecken nimmt er seine Zuflucht zu Motiven, die auf der Hand liegen, entgleitet er in eine Komik, die nur zum Lachen reizt. Nicht die Hauptlinicn der Handlung, sondern die vielen Einzelzügc verleihen dem Film Bedeutung. Er ist die Unter lage, in die sie einverwoben sind. Das Mosaik, zu dem sie sich Zusammensetzen, stellt jene einzigartige Figur dar, die an den Namen Chaplin geknüpft ist. Sie besitzt in dem Film eine gewiß nickt geringere LeucktkE als im Goldrausch, und wenn sie Ge lächter erweckt, so rührt sie zugleich. Das Geheimnis dieser Figur tritt in der S p i e g e l k a b i n e t L- SZene am reinsten zutage. Chaplin rettet sich auf. dem Rummelplatz vor einem Polizisten in das Kabinett, in dem er hundertfach wider strahlt. Er weiß nicht mehr: ist er es, der vor den Spiegeln steht, oder ist er eine von den vielen Gestalten in den Spiegelkulissen. Auch der Polizist, der ihn glücklich eingcholt hat, weiß es nicht. Beide werden von den unaufhörlich sich wandelnden Bildern geäfft, die Welt ist in Stücke zerrissen, die durcheinander wirbeln, sie scheint dem Irrsinn verfallen zu sein. Der Polizist erfährt sie so nur im Vexierkabinett, Chaplin dagegen lebt, im Spiegelkabinett der Welt. * Sie ist ihm ein Gaukelspiel der Menschen, Tiere und Dinge, in dem er höchstens aus Zufall einmal feste Konturen greift. Da er sich in den Erscheinungen und ihren Absichten nicht aus- kcnnt, ängstigt er sich vor ihnen allen und sucht sie durch kleine Listen sich günstig zu stimmen. Vielleicht ist das Hündchen gefähr licher als_ der Löwe: eine Gewähr hat man nie. Nur so viel ist das Zirkuspferd mit den beweglichen Ohren-zu den todfeinden gehört. Der schlimmste Gegner ist freilich ^der Zirkus direktor selber, ein rüder Patron, den Chaplin mit erlesenen Schlichen traktiert. Es naht sich wohl auch ein freundliches Ge schöpf, ein^Mädchen, aber es ist nicht für ihn. Dicht umstellt ihn die Märchenwelt, in der sich die Gegenstände und Lebewesen ver-, wirren. Die Veziehungslosigkeit, mit der er sie durchwandest, zeigt sich Lach süßen hin besonders deutlich in den Clownszenen. Er be lustigt nur so lange die Menge, als er gar nicht komisch wirken einfach Chaplin LA der sich vor irgendeinem Phantom rettet oder die gewöhnlichsten Dinge nicht versteht. Drastischer und genauer als durch die unbewußte Erzielung der Komik — sie ist als Motiv nicht neu — offenbart sich seine Fremdheit und Hilf losigkeit in gewissen Zügen, die beinahe unschön wären, wenn sie Lei einem anderen Menschen aufträten. Er erpreßt, nachdem er über seinen Wert für den Zirkus aufgeklärt worden ist, von dem Zirkusdirektor ein hohes Gehalt. Er benutzt einen auf dem Boden liegenden Menschen, der knOck-out geschlagen worden ist,als Schemel, um durch ein Zeltloch Zu gucken. Er verhält sich dem Löwen gegenüber, der ihn aus Laune in Ruhe läßt, mit prahle rischer Großmannssucht. Aber gerade solche Anmaßungen verraten unzweideutig seinen Mangel an Selbst-Bewußtsein. Nur ein äußerst verwundbarer Mensch, der sich in der Welt nicht zu regen versteht, nimmt derartige Anläufe, um sich in ihr zu behaupten. Sie brechen in sich zusammen und machen ihn lächerlich. * Hinter den Masken der Notwehr verbirgt sich die wahre Gestalt, die sich immer wieder in kurzen Augenblicken bezeugt: Dieser Mensch Chaplin ist gut und zärtlich und hat Achtung vor jeder Kreatur. Wie er das Kind anlächelt; wie er sich durch ein Lupfen des Hütchens bei dem Huhn bedankt, das ihn mit einem Ei bedacht hat. Die Höflichkeit kommt aus seinem Herzen..Auch eignet ihm ein wesenhafter Zug der Märchenfiguren: die Naivität. Er kann sich totlachen über die albernen Spässe der Clowns, deren Pro duktionen das Publikum einschläfern. Dann ist da noch ein sonder bares Verhalten, das mehr als irgendein anderes in seinen letzten menschlichen Grund weist, aus dem es bricht: daß er vor Freude beinahe überschnappt. So war es im „Goldrausch" und früher, so ist es auch hier. Auf die vermeintliche Gewißheit hin, daß das geliebte Mädchen ihn wiederliebe, schlägt er wie toll um sich, die Augen funkeln, er zerspringt in Stücke. Es ist, als habe die Welt sich aus dem Spiegelwahnsinn zurückgefunden und er dürfe sein, wie er ist. Daß er es nicht sein darf, sondern mißverstanden wird von einer Umgebung, die er mißversteht, weckt das Gelächter. Es ist von jener Art, die auch das Weinen in sich begreift. Denn der Humor Chaplins blamiert die sich ernst gebärdende Welt nicht, um sie zuletzt unangetastet bestehen Zu lassender enthüllt sie viel mehr wie jeder große Humor, zeigt etwas an ihr auf, das sie aus den Angeln zu heben vermöchte. Wenn jeder alle Geschöpft so höflich begrüßte — wäre sie nicht verändert? Daß sie anders sein könnte und doch weiter besteht: bei diesem Blick auf sie mischen sich Tränen doppelter Herkunft. Die Mischung entspringt der falschen Proportion zwischen der Gewalt der Welt und der ihr begegnenden Schwäche. ' -- — , . .. K^. ' Die Komik, es wurde gesagt, verweilt nicht durchweg an dem entscheidenden Knotenpunkt. Es ist lustig, wenn Chaplin aus Un geschick die Zauberkästen öffnet, denen nun das Geflügel zur Unzeit entschwärmt: bestimmend für ihn ist es nicht. Vielleicht wäre es auch nicht nötig, daß er bei dem Gang über das Seil von den Affen behelligt würde und sich hosenlos zeigte. An diesen Stellen verdrängt eine Komik Zweiter Ordnung jene tiefere. Sie wird ebenso überschattet in den Partien, in denen Liebe und Eifer sucht als die Hauptmotive herrschen; gerade in den Seiltänzer sZenen also. Hier klingt eine Verwandtschaft mit dem Bajazzo auf, die Chaplin sonst überall meidet und die auch nicht seine Sache ist. Von den Höhepunkten aus gesehen ist vor allem der kleine Austritt problematisch, in dem er aus Liebeskummer als Clown versagt. — In diesem Zusammenhang mag noch erwähnt werden, daß der Film nicht so reich und überzeugend aufgemacht ist wie „Goldrausch". Die Gegenspieler sind schemenhafter. Der rohe Zirkusdirektor ist eine Karikatur und das Mädchen ein Mädchen, so lieb es ist. Chaplin müßte sich nicht mit solchen Abbreviaturen behelfen. Am Ende fährt der Zirkus davon. Chaplin mit Hütchen und Stock bleibt allein auf freiem Feld zurück, mitten in der Kreisspur der Manege. Er sieht den Wagen nach, sein Gesicht ist alt, wie es bisher nie gewesen, alt und vergrämt. Werden die Spiegel je in Trümmer gehen? Wird der Spuk je verschwinden? Dann rafft er - sich auf und hopst davon, ein Männchen von hinten, komisch an- zuschaucn. (Bei Gelegenheit der Aufführung des Films im Frankfurter G l o r i a p a l a st.) S. Kracauer.