Sammlung und richtige Anordnung der auseinander streben den und miteinander ringenden Mächte bemüht, deren Schau platz er selbst und mit ihm die Zeit war. Daß er, wie wenige von diesen Mächten angetroffen wurde, daß Hölle und Himmel in ihm waren, haben alle gespürt, die ihm begegneten. Er hat Konvertiten gemacht, und auch dann, wenn er sich der Nach folge entzog, find Schüler und Anhänger, Freunde und Geg ner der entschwindenden Erscheinung wie einem Meteor mit den Blicken gefolgt. War die Bahn dieses spätbürgerlichen Menschen und Philo- sophsn unberechenbar? Wir glauben er nicht. Sie hielt trotz innerer und äußerer Schwierigkeiten, trotz des umfänglichen Denk- und Lebenssystems, das mehr als einmal in Be wegung zu setzen war, mit erstaunlicher Folgerichtigkeit einen bestimmten Kurs inne. Ihr Verlauf, d er sich heute schon <rb- zuheben beginnt, bezeichnet annähernd den der Epoche, * AIs Schüler des etwas verbissenen Kulturphilosophen und Nobelpreisträgers Gucken hat sich Schaler 1900 mit einer Arbeit: „Die transzendendÄe und die psychologische Methode" habilitiert, die im Jahre 1922 neu aufgelegt worden ist. Die Schrift übt in veralteter Terminologie an dem damals noch verhältnismäßig unangekränkelten formalen Idealismus und dem Psychologisnms Kritik, und mit Recht bemerkt Scheler indem Vorwort zur Neuauflage, daß sich schon in jener Betrachtung die später von ihm vollzogene Wendung zur Ontologie und zum realistischen Weltbegreifen ankündige. Sichtbar wurde sie, nach einer Pause von über einem Jahr zehnt, in seiner kurz vor KrieOausbruch erschienenen be deutenden Abhandlung: „Zur Phänomenologie der Sym pathiegefühle." Sie enthielt im Keim die Grundelemente des Schelerschen Denkens. Es ist ein Denken, das sich, beeinflußt durch Huffeck, von dem Funktionalismus der herrschenden neukantianischen psycho logistischen und historistischen Philosophien abkehrt, um nach der einen Seite hin in unmittelbarer Anschauung den Stufen- bau der seienden und zeitlosen geistigen Wesenheiten zu er fassen. Nach der anderen Seit« hin dringt es zum Unterschied von dem Formalismus jener Philosophien, den auch Husserl mit ihnen teilt, in die materkalen Bestände der Welt ein und möchte die Beziehung sämtlicher empirischer Fakten in Natur und Geschichte zu dem Reich, der geistigen Wesenheiten er hellen. Die dämonische Person erstreckt sich nach oben in die Sphäre der geistigen Gehalte, und st« reicht zugleich tief in die Machtpositionen des Unteren, in das Triebleben, in die dunklen Seelenregungen, in die Tatfächlichkeiten des histori schen und soziale» Geschehens hinein. (Wenn Scheler von dem „Bösen" sprach, schien er es manchmal mit darzustellen, und so Personhaft hatte er auch Teil an dem „Guten".) Während der ersten Kriegsjahre ist Scheler der deut schen Oeffenüichkeit durch sein Buch: „Der Genius des Kriegs" bekannt geworden, ein sinistres, später von ihm selbst verleugnetes Weck, in dem viel schlechter Nietzsche und falscher Heroismus sich umtreiben. Er hat noch in anderen! aktuellen Abhandlungen seinen Tribut an die jeweilige Zeit entrichtet, und überhaupt finden sich in seinen Schriften immer wieder Stellen, die, wie der ihm befreundete Troeltsch einmal treffend formulierte, „ein« seltsame Mischung von Scharfsinn, Tiefsinn und Leichtsinn" find. Sie beiveisen nur, was er ver- mullich nicht bestkitten hätte:. Laß auch das trüb« Dasein Ee- walt über ihn hatt«, __ Dem Gegenpol seines Wesens entstammen die in den großen Werken: „Der Formalismus in der Ethik und die Material« Wertethik" (1916) und: „Vom Ewigen im Menschen" (1921) niedergelegten Gedmcken, die ihn zum Erneuerer augustini- scher Katholizität gemacht haben. In beiden Wecken, die zusammengehören, ist die Anschauung den höchsten Sinn- und Seinsgehalten zugewandt. Eröffnet jenes, unter nahezu völliger Ausschaltung der theologischen Shäre, den Blick aus das Reich der hierarchisch gestaffelten Werte, von den Sach werten an bis zu den Personwerten, bis zur heiligen Person, bis zu Gott, so will dieses „die ersten Fundamente des syste matischen Baues einer natürlichen Theologie" aufweisen und den von seinen zeitgeschichtlichen Hüllen befreiten Augustims- muS mit den Gedankenmitteln der phänomenologischen Philosophie neu und tiefer begründen. Mögen die Gedanken mittel der Phänomenologie fragwürdig sein, Scheler hat mit ihrer Hilfe, befähigt hierzu vor allem durch seine außerordent liche Gabe der Zusammenschau von Wesenheiten der ver schiedensten Seinsprovinzen, einer den religiösen Erkenntnissen entfremdeten Welt «inen Zugang zu den kirchlichen Lehren geschaffen. In den Jahren der Revolution und Inflation, als Viel«, denen aus schlechten oder guten Gründen Max Webers asketischer Heroismus nicht genügte, eine Behausung suchten, die sie vor der Leere draußen schütze, sind manche durch ihn geleitet und auf eine lang verschüttet gewesene Dasems- weise aufmerksam gemacht geworden Daß dmnals eine jung katholische Bewegung entstehen konnte, die sich hoffnungsvoll anließ, war nicht zuletzt sein Verdienst. Sein größtes war — es ist unabhängig von dem Gebrauch der phänomenologi- schsn Schsinstützen —, daß er dem modernen Denken wieder den Eigenbestand halb verschollener Wahrheitsgehalte ins Gedächtnis zurückgerufen hat. Das haben ihm auch Prote stanten gedankt. „Man hat mich für einen katholischen Philosophen ge halten," sagte Scheler vor einiger Zeit zum Verfasser dieser Zeilen, „ich bin es niemals gewesen." Noch außen hin er schienen jedenfalls sein« ungefähr seit Beginn des euro päischen. Stabilisierungsprozesses formulierten Erkenntnisse in ihren Kernstücken als «in Bruch mit den früheren. In Auf sätzen und Reden, am sichtbarsten bisher in seinem 1926 ver öffentlichen Wecke: „Di« Wissensformen und die Gesellschaft" trat der Umschwung zutage Aus dem Theisten Scheler war, wenn man so will, ein atheistischer Metaphysiker geworden. Er lehrte in dieser letzten Periode, daß der Katho-, lizismus das stärkste Hindernis für die Entfaltung der abend ländischen Metaphysik gewesen sei. In der Absicht, das Ge- bäuds einer gereinigten Metaphysik auszuftchren, hat er nicht ! allein di« neuesten Forschungsergebnisse der Naturwissen schaften in den Rahmen seiner Interpretationen einbezogen, sondern auch mit ziemlicher Schonungslosigkeit eine Reihe von Weltanschauungen und geistiger Haltungen als Idol« be- stimnwer Gesellschaftsgruppen enthüllt. Sein Hauptwerk sollt« eine „Anthropologie" werden, die er im kommenden Winter semester zu vollenden gedachte. Ihre Grundthese, di« er auf der vorjährigen Frühjahrstagung der Schule der Weisheit ent wickelte, lautet etwa: der „Geist" ist machtlos, alle Kraft liegt bei dem Unteren, bloß Naturhaften, beim „Drang". Gott ist danach so wenig allmächtig, daß seine Verwirklichung in die Hand des Menschen gelegt ist. Ein« Verwirklichung, die Scheler, nach jenem Vertrag zu schließen, mit dem am End« der Geschichte sich vollziehenden Ausgleich zwischen Geist und Dräng gleichgesetzt zu haben scheint. Die Behauptung ist nicht zu gewagt, daß das Dämonische in ihm, das sich im Unteren verhaftet wußte und das Obere kontemplativ erfuhr, von einem Ausgleich die Lösung der Spannung, den Frieden «HMe. , , , > ! Noch ist das Schrifttum Schelers nicht in die Geschichte zurückgetreten. Immerhin läßt sich eine Hauptlinie 'der Ent wicklung dieses Denkens erkennen. Es entmythologi- sierte sich in dem Maße, als es fortschritt. Das heißt: es unterwarf mehr und mehr bestimmte naive Einstellungen und ungebrochen hingenommene geistige Gebilde der Kontrolle des Bewußtseins, indem es sie als Manifestation des Unteren durchs schaute. Der Philosoph, der in der Hauptzeit seiner Wirk samkeit manche Leuchteffokte seiner Gabe der Verzauberung verdankte, entzauberte späterhin seine eigene Welt. Daß der gepriesene Erneuerer des Augustinismus seiner großen Gefolgschaft den Rücken kehrte, wollte etwas bedeuten. Er selbst hat geäußert, wie schwer es ihm gefallen sei, den Bruch zu vollziehen. Dem Triebleben den Einfluß zuzw- gestehen, den es besitzt, und die Macht der ökonomischen und sozialen Fakten anzuerkennen, mußte ihm doppelt schwer wer den in einer Zeit, in der, im engsten Zusammenhang mit der Stabilisierung des Kapitalismus, eine neue mythologische Front sich zu festigen beginnt. Ueberall um Scheler herum drangen Anschauungen durch, deren Wachstum er durch die von ihm pveisgegebenen zum Teil selbst begünstigt hatte. Eine halbe Stunde nach seiner Wendung zum Profanen empfand SornbM romantische Sehnsucht nach einem religiösen Gehäuse; der Ruhm von Klages ist im Steigen; der Hang zu einer vor eiligen Konkretheit hat sich auf große Strecken hin der Geistes Wissenschaften bemächtigt und verhindert sie, ihre Situation ! zu Ende ^mWlhsiereu» RWtzmgen. dk da^ OWjMWWh daß sie, mit oder ohne Absicht, zur Konsolidierung der reaktio nären Mächte beitragen. Scheler ist zum Unterschied von ihnen eine «Höriges Stück wmt den Weg der Aufllämng gegangen. Seine letzten Schriften lassen an entscheidenden Punkten Lust herein, sehen zum mindesten der Realität der gegenwärtigen Gesell schaft ins Auge. Mit der Witterung für atmosphärische Er- eigmffe, die ihn auszeichnete, hat «r das Zukünftige gespürt. Er ist. semer sozi^ Zugehörigkeit nach, der Philosoph des fortgeschrittensten Bürgertums gewesen, jenes Bürgertums, Las schon «in Uebergang ist, das heute, nachdem es sich ver geblich zu allen möglichen Ideologien geflüchtet hatte, bewußt und kritisch gegen sich selbst seine materiellen und sozialen Dasemsbedmgungen üöerprüst, und auf Grund des Ergeb nisses dieser Prüfung seine geistige Haltung einrichtet. * Für die Frankfurter Universität bedeutet der Tod Schelers «inen besonders schweren Verlust. Er war erst vor kurzem aus Köln nach Frankfurt berufen worden und hatte sein Lehramt noch gar nicht angetreten. Von der Anziehungs- krast seines Namens und seiner Person erhoffte sich die Uni- versltat einen neuen Aufschwung, und ihm selbst gereichte es zur Genugtuung, in dem urbanen Frankfurt wirren zu können. an ihn geknüpften Erwartungen sind jetzt zerstört. Kein DEer ist heute mehr an unseren Universitäten, der einen solchen Realitätsfinn wie er mit einem solchen Wissen um die! geistigen Wesenheiten verbände. ' S. Kracauer.