»Eis neuer Harry Viel. DaA HaupLrequistt des Harry« Piel-Film- der Neuen Ütchtbühne ist ein Motorrad. Ein von Harry selbst fabrtziertes Motorrad, das wie ein umständliches Tier auZsieht, und in einem fort faucht. Sonst faucht es freilich in den Film nicht; die Handlung ist vielmehr schleppend, und zwischen Einfall und Einfall sind lange Strecken unbelebt. Immer wieder muß das Motorrad Herhalden, fei es als Kraftquelle für ein phantastisches Experiment, sei es bei der Verfolgung einer Verbrecheröande. Sein größter Augenblick ist entschieden, wenn Harry auf ihm eine Treppenrampe heruntersaust — eine toll, kühne Sache, bei der er seinerzeit bekanntlich verunglückt ist. Die üöngen Sensationsleistungen sind zum Teil ganz nett erfunden» Harry selbst schmeckt wie ein Lutschbonbon: eine richtige Kol portagefigur. Jedenfalls ist er unterhaltender als der andere Harry, jener Liedtke, dessen Süße eher vom Sacharin stammt Gröberer in Kanton. Zu dem Buch von Andr6 Malraux. Von S» Kraeauer. Andrs Malraux: geboren 1901 in Paris. Vom fran- Zösichen Kolonialministcrium 1923 zu archäologischen Studien nach Kambodscha und Siam geschickt. Führer in der Partei Jung-Annam (1924). Kommissar der Kuomintang fürEcchin- china, dann für ganz Jndochma (1924/25). Stellvertretender Kommissar für Propaganda bei der Nationalistischen Regie rung in Kanton zur Zeit Borodins (1925). Der junge Franzose mit diesem vehementen Lebenslauf hat seine Erfahrungen in einem Buch niedergelegt, das unter oem Titel: „Eroberer. Rote und Gelbe im Kamps um Kanton" von Max Clauß, dem Schriftleiter der „Europäischen Revue" vorzüglich ins Deutsche übertragen worden ist (Kurt Vowinckel Verlag, Berlin-Grunewald). Es schildert jene denk würdige Epoche der chinesischen Revolution, in oer dir Dritte Internationale versucht hat, nach Sun-Aat-sens Tod die chine sische Nationalregierung bolschewistisch Zu organisieren. Ein Augenzeuge, mehr noch: ein Mitkämpfer berichtet über einen der dunkelsten Abschnitte der Zeitgeschichte. Der Bericht aber ist so bedrohlich ausgefallen, daß die Zensuröehörden Ruß lands und Italiens sich genötigt gesehen haben, ihn zu ver bieten. * Das Buch ist weder eine Reportage noch ein Roman; viel- mchr sind beide Formen der Darstellung in ihm zu einer dr tten neuen derscknulz-m. Stellenweise enthält es Beschreibungen und lokale Bestandsaufnahmen, die wie die Tagebuchaufzeich nungen eines erfahrenen Korrespondenten anmuten, der zu Beobachtungen ausgeschickt worden ist. Aber die Wiedergabe der Tatsachen wird stets durch ihre freie Verdichtung durchbrochen, und außer Borodin ist keine der Hauptfiguren historisch be glaubigt. Sind darum alle die anderen „Eroberer" willkürlich erfunden wie die Gestalten irgend eines historischen Romans? Der Verfasser behauptet, daß ihni eine Untreue gegen die ge schichtlichen Ereignisse nirgends vorgeworfen we ben könne. Er verdient in der Tat das Vertrauen, das er fordert, denn mögen die in dem Buch eingesetzten Personen gelebt haben oder nicht, sie wirken sämtlich so echt wie der eine Lorodin. Der Propagandakommissar, der Terroristenführer, der chine sische Staatsmann — so und nickt anders werden sie gekämpfl, s argumentiert und sich zu den Massen verhalten haben. Die Macht des Daseins, die sie durch die Gestaltung erlangen, unterdrückt jede Frage nach ihrem faktischen Dasein. Malraux gibt wie der Dichter die eigentliche Wirklichkeit der Geschichte j und bewahrt zugleich die Geschichte als Reporter. Um des i Doppesiieles willen lösen sich fortwährend Telegrammtextc und psychologische Analysen ab, die ebenfalls im Telegramm stil gehalten find. Ihr für die Gestalt des Buchs bezeichnender Wechsel erzeugt eine ungewöhnliche Spannung. * Die Staffage des revolutionären China ersteht in kurzen, meisterlichen Skizzen. Keine Gesamtüberblicke, sondern Einzel heiten. Das Hotel in Hongkong während des Generalstreiks; ein Bordell mit annamitischen Prostituierten; eine Straßen- schlacht in Kanton. Alles ist nur gerade angedeutet, aber die paar Merkmale sind so sicher ausgcwählt, daß sie sich von selbst zu fertigen Bildern ergänzen. Ihre Atmosphäre ist von äußer-1 ster Dichte. Die „Eroberer" mitsamt dem Nebenpersonal find Fremd linge im Land. Nachkriegseuropäer; Abenteurernaturen. Ihnen voran die Hauptfigur: der Propagandakommissar Peter Garin, dessen Biographie allein Bände füllen könnte. Mal- raux begnügt sich mit einem (in unserem Feuilleton seinerzeit nachgedruckten) summarischen Lebensabritz dieses aus jeder Bindung befreiten, vagabundenhaftsn Lebens. Es beginnt in Genf, flihrt auf die Anklagebank, zur Fremdenlegion, durch Spielsäle in Züricher Bolichewistenkreise und schließlich nach Kanton. Die Existenzen Kleins und Görards sind Mosaik muster von ähnlicher Ueppigkeit. Der Polizeikomnnfsar Niko- laieff sängt vor dem Krieg als Agent der Ochrana an, wird entlassen, handelt mit Postkarten und schlägt sich während der russischen Wirren als Geschirrspüler zu Sun Pat-sen durch, der ihn der Geheimpolizei attachiert. Das Asyl aller dieser Obdachlosen ist die Revolution. Sie kämpfen unter dem Sowjetbanner für ein China, das sie nicht kennen. Es will gewiß die Autonomie und die Frei heit im Innern, aber es fügt sich nur mit Widerstreben den ihm von seinen Lehrmeistern aufgezwungenen Methoden. Hong, der Terroristenführer, begeht so unsinnige Attentate, daß er schließlich von Earin beseitigt werden muß. Und jede Aktion der bolschewistischen Spitzengruppe prallt an Tscheng-Dai ab, dem chinesischen Ghandi, der für die Gewaltlosigkeit eintritt und durch seinen Opfertod die Pläne der Eroberer durchkreuzt- z Deren Schicksal ist, daß sie in dem Augenblick, in dem sie ihr ! Dasein einer Idee unterstellen, auf die Gegenkräfte des von z ihnen geweckten und geführten Volkes stoßen. Weihen sie ihr Leben wirklich der Idee? Malraux zerstört den schönen Schein. Er zeigt, daß diese Nachkriegsmenschrn, die Asien durchschweifen und in China die Revolution be- j treiben, sich in Wahrheit auf einer „Flucht ohne Ende" be finden. Die Tragik ihres Loses besteht nicht darin, daß sie sich für eine Sache aufopfern, sondern daß sie an das Opfer nicht glauben. Sie sind militante Anarchisten und Nihilisten; sie sitzen sich ein, um sich über die Leere nicht entsetzen zu müssen. Da ist Renfkh, ein alter russischer Sammler, der auf' Kosten des Bostoner Museums reist, um asiatische Kunstgegen stände zu suchen. Er langweilt sich, befaßt sich mit kleinen Spielereien. „Ach, mein Lieber, Menschen wie ich haben so wenig Unterhaltung," sagt er zum Erzähler. Da ist der Genusse Rebecci, der nach langen Irrfahrten sich im Chinesenviertel Hongkongs niedergelassen hat und dort den Chinesen Schund aus europäischen Basaren verkauft. Er liebt es, auf einem Rohrsofa mitten in seinem engen Laden zu liegen und von Reisen im inneren China zu träumen. Da ist Garin selbst, ein schlaffer, müder Mann, der von der Malaria vermehrt wird. Vor seiner Berufung nach Kanton erklärt er: „Ich liebe die armen Leute nicht, das Volk, kurz die, für die ich kämpfen gehe... Gewiß habe ich für die Bourgeoisie, aus der ich komme, nur Haß und Ekel übrig. Aber die andern, ich weiß es ganz genau, werden auch abscheulich werden, sobald wir zusammen triumphiert haben..." Am Ende des Buchs soll er seiner Krankheit wegen auf Urlaub reisen. Wy er hin möchte, fragt ihn der Erzähler. „Nach England. Fetzt weiß ich, was das Empire ist. Ein zäher, ständiger Gewaltakt. Lenken. Entscheiden. Zwingen. Das ist das Leben..." * Das russische und das italienische Zensurverbot zu ver stehen. fällt nach alledem nicht schwer. In diesem Buch wird eine Destruktion getrieben, der Ideen und Führer nicht ftand- halten. Nikolaieff. der Polizeimann, drückt es auf seine Weise aus, wenn er meint: „... das individuelle Bewußtsein, siehst du, ist die Krankheit der Chefs. Was hier am meisten fehlt, ist eine richtige Tscheka..." Ein individuelles Bewußtsein, das überdies "aus Schäche vor England kapituliert, verstößt freilich gegen bolschewistische Fundamentallehren. Und kaum minder läuft der Abbau des Heroenkultus dem fascistischen Lebensgefühl zuwider. Man hat Malraux seinen Zynismus zum, Vorwurf ge macht. Er ist nicht zynisch. Er hat nur unfreiwillig der vielen Weltgeschichte, der auch er ausgeseht war, zu lange,unter die Dessous geblickt, als daß er die meisten Lappen, die sich die Menschen umwerfen, für mehr halten könnte als für Lappen.