ck S. Kracauer. Revuetraum vertreiben. „Der große Gabbo" — die deutsche Ausgabe des Films läuft jetzt im Ufapalast am Zoo — heißt nach seiner Hauptperson, einem Bauchredner, der an seinem Größenwahnsinn zugrundegeht. Gin Fall von Schizophrenie, eine Angelegenheit, die exemplarisch sein soll und klinisch ist. Das eine Selbst GabLos, das bewußte, ist der Hochmutsteufel, der in seinem Eigensinn das geliebte Mädchen von sich weist, das andere unbewußte Selbst ersehnt sich die Ge liebte wieder zurück. Dieses bessere Ich hat sich in die Holzpuppe geretteL, in den kleinen Otto, mit dem der Bauchredner stunden lang Zwiegespräche führt, die in Wirklichkeit . Monologe sind. Otto, dessen Plappermäulchen durch eine Gummistrippe bewegt wird, trauert der Verstoßenen nach, während Gabbo böse erklärt, daß^ er allein bleiben wolle. Erst zuletzt weicht seine Besessenheit, und, emsgeworden mit Otto, verlangt auch er nach dein Mädchen. Aber nun ist es zu spät. n- n Vielleicht meint der Film die Rebellion des Einzelnen gegen den Alltag, vielleicht ist Gabbo nur aus ironischem Protest wider -das normale Leben so wüst und verstockt. Man weiß es nicht. Und jedenfalls ist die Verwirklichung solcher und ähnlicher Ab sichten nicht gelungene Sonst hatte der Film die Verlassenheit seines Helden dartun und gegen das Ende hin immer sinnfälliger veranschaulichen müssen, daß faktisch nicht Gabbo, sondern der Alltag unselig und verschlossen isü Doch nichts dergleichen geschieht. Mhho ist biZ5 Züm Schluß eitel, und das äußere Leben, das er durchbrechen möchte, verliert niemals die nüchterne Helle. Wie. früher schon, so geht auch hier statt der Welt — und nicht einmal mit ihr — Stroheim sAber entzwei. * In zwei Szenenfolgen dieses großartig hergerichteten, wenn auch stellenweise viel Zu breit ausgesponnenen Films erzielt der Ton einen besonderen filmischen Effekt. Zunächst in den Dialogen mit dem hölzernen Otto. Durch die außerordentliche Kunst, mit der Stroheim als Gabbo das Gebärdenspiel der Puppe regiert, entsteht die Illusion, als ob diese in der Tat spräche. Ein Triumph der Einbildungskraft: während im allgemeinen die im Tonfilm gesprochenen Worte sich niemals restlos auf die Münder projizieren lassen, aus denen sie eigentlich kommen, scheinen sie sich in dem einen Fall, in dem sie wirklich eine imaginäre Herkunft haben, genau dem Puppeninnern zu entringen, dem sie gar nicht ent stammen. Und noch an einem anderen Ort springt der Ton ins Bild hinein: im Revuefinale, das von langer Hand vorbereitet ist. Gabbo, der erfahren hat, daß die Geliebte ihm nicht mehr an gehören will, sitzt einsam in seiner AnkleideMe, indes auf der Bühne die SchlußaM anhebt. Fragmente der Revue um stellen, - glänzend montiert, den Verzweifelten, der mit unartikulier ten Schreien zwischen den Visionen in der Garderobe hin und her fuchtelt. Im TranceZustand taumelt er dann auf die Bühne hinaus, wo dieselben Revuebruchstücke, die ihn soeben gespenstisch heim gesucht hatten, sich leibhaftig zu einer strahlenden Komposition ver einen. Wo ist die Grenze Zwischen Wachen und Traum? In dieser einen kurzen Szene, allerdings nur in ihr, ist Gabbo der Wache, und seine unverständlichen Laute möchten den wüsten Altes Berlin. Zur Eröffnung der Berliner Sommerschau 1930 Berlin, 23. Mai. Der Eröffnung der vom Messeamt der Stadt Berlin verun stalteten Sommerschau: „Altes Berlin" ging am Vortag eine Pressevorbesichtigung voran, die ihrerseits wieder durch Be grüßungsansprachen eingeleitet wurde. Dr. Stengel, der Direk tor des Märkischen Museums, der für die Gesamtschau verantwort lich zeichnet, skizzierte die Anordnung und die Inhalte der Aus stellung, und so entwarf auch Freiherr von Pechmann, der Leiter der staatlichen Porzellanmanufaktur, ein Bild des von ihm Gebotenen. Später wurde den Pressevertretern wie üblich der gedruckte Text.der bereits vernommenen Reden in die Hand ge drückt, .und dann erst kam, einem Gegenstand gleich, der nach dem Brauch feiner Geschäfte wiederholt eingewickelt ist, die eigentliche Sommerschau selber. Ich möchte sie hier nicht ganz auspacken. Sie füllt sämtliche Funkturmhallen aus. Und der Sommer ist lang. Um nur ein paar wichtige Abteilungen Zu nennen: Es wird die Baugeschichte Berlins veranschaulicht, die ein Studium für sich bildet; literarische und künstlerische Ereignisse aus alter Zeit rücken den Besuchern hart auf den Leib; längst versunkenes Straßen- und Volksleben ist von neuem gebannt; Theaterszenen von ehedem werden aus der Rumpelkammer der Geschichte aus die Bühne des Tages ge schleift; die eingemeindeten Vororte und Jnnenbezirke Berlins stellen sich dar und vor. Ueber mehrere -dieser Einzelveranstaltungen wird noch gesondert zu berichten sein. Ohne ihrer Würdigung Vorzugreifen, muß unverzüglich nach dem ersten Rundgang ausgesprochen werden, daß die Aufmachung der Sommerschau nicht den Anforderungen entspricht, die an ein solches Unternehmen der Stadt Berlin zu stellen wären; auch im Sommer, auch unter der Regie des Messeamtes. Wenn die Welt stadt Berlin schon einmal ihre Fundamente zu zeigen beabsichtigt, so hätte sie die Verpflichtung gehabt, eine Ausstellung aufzubauem die solide Fundamente besitzt, nach einem durchdachten Plan an- steigt und als Gesamtkomposition der Ausdruck eines Willens ist, der wirklich weiß, was er will. Die Ausstellungsleitung hat es nicht recht gewußt. Oder sie hat es gewußt und dann doch lauter Kom promisse gemacht. Zur einen Hälfte liefert sie eine Volksmefle, zur anderen wissenschaftliche Kabinette. Sie belustigt die Unmündigen durch Panoptikumsfiguren und kommt den Erwachsenen mit exakten Modellen. Bei jenen begnügt sie sich mit puren Schau objekten, während sie diesen Spezialkenntnisse abverlangt. In ihrem Bedürfnis, alle Geschmäcker zu befriedigen, wird sie stillos, und an der Mischung findet niemand Geschmack. Nicht umsonst erhebt sich der Rundfunkturm in bedrohlicher Nähe. Werden Beispiele gewünscht? Hier sind sie, auf den ersten Blick hin zusammengerafft, als wandle man durch die Filmateliers von Neubabelsberg, so naturgetreu und lebensgroß sind die Brüder straße und die Parochialstraße von anno dazumal vor dem Publikum aufgepflanzt worden. Eine echte Ufa-Genrearchiiektur mit einem Leinwandhimmel darüber und Hunden mitten auf dem Pflaster. Der Hund in der Parochialstraße ist selbstverständlich weniger vor nehm als der in der Brüderstraße. Oder es wird das Arbeits zimmer Alexander von Humboldts mit einer so dilettantischen Sorg losigkeit wiedergegeben, daß sich in der reproduzierten Original bibliothek ungestraft die „Rang-Liste der königlich-preußischen Armee 1907" aufhalten kann, die Alexander von Humboldt ganz bestimmt nicht gelesen hat. Oder es wird die schöne Hallenkonstruk- tion durch den Einbau einer verkleinerten Schinkelfassade ver unziert. Oder es alpenglüht von innen heraus Berlin als Festung, ein Riesenmodell aus durchsichtiger Masse, über dem eine Kuppel schwebt, die an einen Pilz erinnert, wenn sie nicht vielleicht doch einen Regenschirm darstellen soll. Oder „Das Berliner Wappen tier stellt sich vor", wie es im Katalog heißt: der bekannte Bär in einer ihm geweihten EhrenroLunde, auf deren Fries lauter Bären in Relief ihre Purzelbäume schlagen. Sie tun recht daran, in diesen Zerten der Sklareks. Die Kritik an der AusstellungsweLhode ist beileibe keine Kritik an der Pracht der Ausstellungsgegenstände selber. Sie sind von allen Seiten herbeigeströmt und geben sich nur für wenige Wochen ein einmaliges unwiederholbares Rendezvous, bei dem niemand fehlen dürfte, der sich ernsthaft um die Vergangenheit und die Berlins bekümmert. Und scheut er die Anstrengung nicht, sich durch das Material durchzuarbeiten, so wird er Zuletzt trotz mancher Barrikaden doch auf die Fundamente der Weltstadt stoßen. S. Kracauer. Der große Gaööo. Berlin^ Mitte Mai. Sämtliche bei uns bekannten Filme Erich von Stroheims üben eine Zwiespältige Wirkung aus. Abgesehen von ihrer scharf ge würztem Mache überragen sie den Durchschnitt auch noch dadurch, daß. sie unter die Oberfläche greifen und die garstige Wirklichkeit Zeigern bxe sonst. von Ideologien zugedeckt ist. Aber zugleich scheinen- sie ein Mt der Privatrache zu sein, die rein subjektive Antwort, eines vom Schicksal Geschlagenen auf sein Los. Eine Bitterkeit die sachlich nicht-Zureichend be ¬ gründet ist, und persönliche Pathologie überwuchert die soziale Kritik. Mit dem „Hochzeitsmarsch" etwa hatte es eine solche Be wandtnis. Sie sind in gutem Sinne anstößig, diese Filme, und stoßen im schlechten ab.