jeden ein Trost. S. Kr a c aue r. Kirche ist, wird zum Hort des Vergossenen und Vergessenen und strahlt so schön, als sei es das Merheiligste selber. Heimliche Tränen finden so ihren Gedächtnisort. Nicht im verborgenen Innern — mitten auf der Straße wird das Unbeachtete, Unschein bare gesammelt und verwandelt, bis es zu scheinen beginnt, für Ein Tonfilm vom Krieg, nach Johannsens: „Vier von der Anfanteri e" gedreht. Ich kann mich nicht erinnern, daß der Krieg, und zwar der Stellungskrieg in seiner letzten schrecklichsten Phase, im Film je so realistisch dargestellt worden wäre. Sollte auf der Leinwand nachgeholt werden, was in der Literatur bereits geschehen ist? Zwar, der Blickpunkt, von dem aus die Ereignisse ausgenommen sind, ist nicht durchaus einwandfrei. Oder vielmehr, es ist über haupt kein einheitlicher Blickpunkt vorhanden. Manchmal scheint es, als solle wirklich die Monotonie dsir Hölle, die stete Nachbar schaft des Todes gebannt werden. Dann wieder drängt sich Genre haftes dazwischen, das sich vorlaut benimmt. Die Affäre des Stu denten mit der Französin hat einen zu parken Akzent, und die EHekalamität des Urlaubers, der einen Gchlächtergesellen im Schlafzimmer seiner Frau antrifst, hätte nicht bis zum Rande ausgeschlachtet werden dürfen. Auch ein paar Figuren sind über belichtet; die persönliche Ekstatik, des Leutnants durchbricht das Einerlei der Westfront, und Fritz Kampers ist mit einer dicken Privatatmosphäre umgeben. Umgekehrt fehlen typische Züge des Sampfjahres 1918. Werden auch einmal abgehärmte Frauen ge zeigt, die vor dem Fleischerladen anstshen, so bleibt doch insgesamt die Front in der Heimat unsichtbar. Ebensowenig tritt die Mate rialnot in den Schützengräben deutlich hervor. Das Auftauchen der Tanks, die ein Zeichen des Endes waren, wirkt nicht unheilver kündend genug. Dennoch ist unter der Regie von G. W. Pabst ein Stück Kriegswrrklichkeit erstanden, wie es bisher noch niemand zu rekon struieren gewagt hat. Ich möchte nicht allen Motiven nachspüren, aus denen das Entsetzen neu heraufbeschworen worden ist, sondern einfach feststellen, daß es aus lauge Strecken hin echt aänmtet. Ein Eindruck, der wohl auch daher rührt, daß die Stacheldrähtland- schaft den Bild- und Lebensmum beherrscht, statt wie m.früheren Ariegsfilmen nur eine eingestreute Episode zu sein. Ihr ordnet sich das ganze menschliche Dasein unter, und aus ihr stammt noch die vertrackte Lustigkeit bes Frontkabaretts, dessen Arrangement von besonderer Überzeugungskraft ist. Dem Drang zur wahrheits getreuen Wiedergabe des Grauens, der hier obwaltet, entwachsen zwei Szenen, die schon beinahe die Grenze des Aussagbaren über schreiten. Die eine: ein Einzelkampf endet damit, daß ein Infan terist vor aller Augen im Sumpf erstickt wird. (Daß man spater noch eine Totenhand aus dem brodelnden Schlamm herausragen sieht, ist überflüssige Effekthascherei.) Die andere: das FrontlazaretL in der Kirche mit Verstümmelten, Schwestern und Aerzten, die vor Erschöpfung kaum noch ihr Handwerk weiter betreiben Annen. Es' M, als seien mittelalterliche Marterbilder lebendig geworden. Das Elend wird durch die Vertonung, für die Guido Bagrer und Joseph Ma solle verantwortlich zeichnen, in eine so grau same Nähe Zerückt, daß der Abstand, den sonst künstlerische Werke zwischen dem Publikum und dem ungeformten Geschehen fetzen, stellenweise aufgehoben ist. So schlecht meistens die menschliche Rede herauskommt, die Reproduktion des Geschützspektakels ist gelungen. Geglückt sind auch mehrere Versuche der Tonmontage: etwa die mit Hilfe lautlicher Entwicklung bewerkstelligten Usbergänge zwi schen zwei Bildeinheiten. Bor allem aber wird der Ton mit Er folg als Mittel der Versmnlichung ausgenutzt. Wenn man einen Verwundeten, der nicht gerettet werden kann, stöhnen hört, ohne ihn je zu sehen, so geht das unter die Haut, und der Betrachter bleibt nicht länger mehr Betrachter. Und nicht minder sprengen' die Seufzer und Schreie aus dem Lazarett den Brldrahmen und dringen unmittelbar in die Wirklichkeit. Zweifellos geht der Film in ästhetischer Hinsicht ein bedenk liches Risiko ein. Er zerstört an den genannten Orten'die Schran ken, die dem Abbild gezogen sind und erzeugt wie irgendeine Panoptikumsfigur den widernatürlichen Schein der außerkünstleri- schen Natur. Die Frage ist, ob er zu Recht inS Dreidimensionale überspringt. Ich neige dazu, sie in diesem einen Falle zu bejahen, in dem es gilt, die Erinnerung an den Krieg um jeden Preis fest zuhalten. Schon ist eine Generation ins Alter der Reife gerückt, die jene Jähre nicht mehr auS eigener Erfahrung kennt. Sie muß scheu, immer wieder scheu, was sie nicht selber gesehen hat. Daß ihr das Angeschaute zur Abschreckung d-ient, ist unwahrscheinlich, aber wissen soll sie, wie es gewesen ist! Es kommt hier aufs Wissen au, nicht auf den mit ihm verbundenen Zweck. Während der Vorstellung —- der Film lauft im Capitol — ver ließen viele Zuschauer fluchtartig das Lokal. „Das ist ja nicht zum Aushaltens ertönte es hinter mir; und: darf man uns js Ansichtspostkarte. Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Lei Nacht. Berlin, im Mai. Die KaLser-Wlhelm-GedächLniskirche am Abend: wer sie, vom Bahnhof Zoo herkommend, erblickt — und der Großstädter erblickt sie überhaupt nur abends, da sie ihm tagsüber nichts weiter als ein riesenhaftes Verkehrshindernis ist —, dem wird ein merk-! würdiges, ein beinahe überirdisches Schauspiel zuteil. Von der religiösen Baumasse strahlt ein sanftes Leuchten aus, das so be ruhigend wie unerklärlich ist, eine Helle, die mit dem profanen rötlichen Schimmer der Bogenlampen nichts gemein hat, sondern sich fremd von der Umwelt abhebt und ihren Ursprung in den Kaiser-Wilhelm-Gedächtniswänden selber zu haben scheint. Dringt der fahle Glanz aus dem Kircheninnern hervor? Aber dieser Kuppelbau, der Schwert und Altar miteinander verkuppelt, hat ersichtlich nur den einen Ehrgeiz: nach außen hin zu repräsen tieren. Das trägt eine romanische Uniform und ist inwendig gar nicht zu benutzen. Das könnte mit Steinen ausgefüllt sein. Das beschwört die Erinnerung an Bezirkskommandos, Hofprediger und Kaiserparaden herauf. Der geheimnisvolle Glanz ist in Wirklichkeit ein Reflex. Reflex der Lichtfaffaden, die vom Ufapalast an bis über das Capitol hinaus die Nacht Zum Tage machen, um aus dem Arbeitstag ihrer Be sucher das Grauen der Nacht zu verscheuchen. Die haushohen gläsernen Lichtsäulen, die bunten überhellen Flächen der Kino plakate und hinter den Spiegelscheiben der Wirrwarr gleißender Röhren unternehmen gemeinsam einen Angriff gegen die Müdig keit, die zusammenbrechen will, gegen die Leere, die sich um jeden Preis entrinnen möchte. Sie brüllen, sie trommeln, sie hämmern mit der Brutalität von Irrsinnigen auf die Menge los. Ein hem mungsloses Funkeln, das keineswegs nur der Reklame dient, son dern darüber hinaus sich Selbstzweck ist. Aber es schwingt und kreist nicht selig wie die Lichtreklame in Paris, die ihr Genüge darin findet, aus Rot, Gelb und Lila ihre verschlungenen Muster zu bilden. Es ist viel eher ein flammender Protest gegen die Dunkel heit unseres Daseins, ein Protest der Sebensgier, der wie von selber in das verzweifelte Bekenntnis zum Vergnügungsbetrieb einmündet. Der milde Glanz, der die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche um fließt, ist der unbeabsichtigte Widerschein dieser finsteren Glut. Was vom Lichtspektakel abfällt und vom Betrieb ausgestoßen wird —! vde Mauern bewahren es auf. Pas Aeußere der Kirche, die keine j etwas bieten!" Möchten sie auch im schlimmen Ernstfälle erklären,! daß es nicht zum Aushalten sei und daß, sie sich so etwas nicht! länger bieten lassen. Doch wie sie den Anblick des Krieges scheuen,! so fliehen sie in der Regel auch die- Erkenntnis, deren Verwirk-j lichMg ihn verhindern könnte. S. KrücmreL» .