Co AMERIKA IN EUROPA möchte Lewis die ausrunden und hat einzig passende Folie, so fremde Umwelt plastischer ihm Ein daß ben und lieh einen idealen Amerikaner zu fabrizieren. Erziehungswerk, das damit gekrönt wird, der in Europa sichtlich gereifte Sam drü- in Zenith eine Siedlung zu bauen beschließt sich eine neue Frau wählt, die nun wirk- seiner wert ist „Er war kein Babbitt", behauptet Sinclair Lewis von dem Helden seines Romans: „Sam Dodsworth“ (Ernst Rowohlt Verlag, Berlin. 621 Seiten. Geb.10). Aber ich glaube, hier in irrt Sinclair Lewis, der es doch eigentlich wissen müßte. Das kommt daher, daß er in diesen Sam Dodsworth vernarrt ist und im Be dürfnis, Sympathien für ihn zu werben, seine Babbitt-Natur am liebsten verleugnen möchte. Ueberdies scheint Lewis längst nicht mehr jenen Zwang zur Gesellschaftskritik zu spüren, aus dem heraus er einst die Babbittgestalt schuf. Er hat offenbar auf den rechten Weg gefunden und sein Zelt mitten in der besseren Gesellschaft aufgeschlagen. Aus dem Erfinder des Babbitt ist, seinem neuen Buch nach zu schließen, ein Sittenschilderer geworden, so eine Art Humo rist von angelsächsischer Breite. Als eine Darstellung des amerikanischen Pri vatlebens in gehobener bürgerlicher Sphäre ist der Roman immerhin interessant. Sinclair Lewis beehrt sich in ihm vorzustellen: den fünf zigjährigen Autofabrikanten Sam Dodsworth, der sich in einigen Jahrzehnten ununterbrochener Arbeit Vermögen und städtisches Ansehen er worben hat, und seine Frau Fran, die während dieser Zeit das Muster eines Eheweibs gewesen ist. Zwei Kinder sind dem geregelten Haushalt entsprossen, und so wäre alles in Ordnung. Daß es mit der Ehe durchaus nicht in Ordnung war, will Sinclair Lewis beweisen. Seine Absicht ist, die Leere jener typischen Lebensgemeinschaft aufzudecken, die durch den Alltag ums Leben kommt. Es bedarf eines Tricks, um den Plan zu verwirklichen. Denn blieben die 1 eiden bra ven Leute bis zum Lebensende in Kirer Heimat stadt Zenith, so machte Fran weiter in Wohl tätigkeit und Sam hörte nie auf, Golf zu spielen und mit den Freunden wichtige Männerge spräche zu führen. Was tut also Lewis? Er schickt die altbewährten Ehepartner auf Reisen. Die Hauptpersonen durchschweifen ein inter nationales Ensemble von Nebenfiguren, und die dünne Fabel wird durch Unterhaltungen über europäische und amerikanische Zustände be trächtlich verdickt. Was Europa betrifft, so ist es in der Hauptsache vom Standpunkt der ameri kanischen „Expatriierten“ aus gesehen, jener zahllosen Leute, die nach dem alten Kontinent kommen, um dort das Leben zu erlernen. Das heißt, es ist so gut wie gar nicht gesehen, oder doch nur von den Hotels und den Vergnügungs lokalen ^us und auf Grund zufälliger gesell schaftlicher Erfahrungen. London, Paris, Vene dig, Berlin ist in dieser Sphäre so ziemlich ein und dasselbe. Aber zugegeben selbst, daß das ganz zum kleinen Hintergrund eingeschrumpfte Europa ein beachtlicher Gegenstand ist, es kann noch viel genauer nicht gesehen werden als hier bei Sinclair Lewis. Seine europäischen Studien ertragen nicht den Vergleich mit denen Heming ways, der in seinem (ebenfalls bei Rowohlt er schienenen) Roman: „Fiesta“ mit wundervollem Zynismus Europa zur eindimensionalen nichts sagenden Blech-Schablone verflacht. Gibt er mit ihr dem Nachkriegsbummler aus U. S. A. die De Von S. Kracauer. widerwillig das Geschenk einer Freiheit an- nimmt, die ihm nichts bedeutet, gibt sich Fran gern allen Reizen hin, mit denen die Arrivierten und die reichen Müßiggänger in Europa das Da sein auszustatten pflegen. Sie ist stolz darauf, von den mehr oder weniger zweifelhaften Ver tretern der großen Kulturnationen als ihres gleichen anerkannt und als Weib bewundert zu werden, und weist sie auch noch in London den ersten Liebhaber entrüstet ab, so macht sie doch später in Paris vorn zweiten Gebrauch. Allmählich zerfällt die Ehe, die keine war. Unser pädagogischer Autor hält es aber nicht mit Fran, die er zum Opfer ihrer Eitelkeit werden läßt, sondern sucht um jeden Preis seinen Bab bitt heil durch die Freiheit zu führen und aus In Europa hebt das Jammern an. Man er kennt, daß man an der Grenze des Alters steht, ohne die Jugend genossen zu haben, und es ge schieht, was geschehen muß. Während Sam, aus dem gewohnten Trott herausgerissen, den Bo den unter den Füßen schwanken fühlt und nuri doch nicht die Mittel dazu. Die Bilder etwa, die er vom Berliner Leben entwirft, sind unscharf eingestellt und halten gerade ihres Anspruchs auf Inhaltlichkeit wegen nicht stand. Lehrreicher ist schon, wie er vom vermeintlich eroberten Europa aus die eigene Heimat erblickt. Der eben nach New York zurückgekehrte Sam findet, daß die Menschen hier „mit dem absurden Eifer von Insekten durcheinander wimmeln“, und ein amerikanischer Auslandskorrespondent in seiner Gesellschaft erklärt, nach seinen Reisen durch Europa und Asien dahingekommen zu sein, „daß wir das ganze Gehetze, das ganze Gedränge in der Untergrundbahn, das Gerufe vor den Fahr stühlen nur haben, damit wir mit etwas be- scnäftigt sind und davor bewahrt bleiben, etwas zu tun!“ Besonders ernst sind allerdings diese Erkenntnisse nicht zu nehmen, da sie vor dem Anprall des amerikanischen Tumults rasch wie der verblassen. Sie gleichen zahmen Arabesken, mit denen die wortreiche Geschichte des Eheun glücks verziert ist. * Auch als Romancier verfährt Lewis diesmal ein wenig obenhin. Er' gestattet seinen Men schen, mehr zu schwatzen, als zu ihrer Charak teristik oder im Dienst der Sache erforderlich wäre, wiederholt zu häufig und .immer mit der selben Ausführlichkeit ähnliche Situationen, läßt Episodenfiguren in einer Breite auftreten, die weder durch ihre kompositionelle Bedeutung noch durch die Exaktheit ihres Umrisses ge rechtfertigt ist, und dringt selten bis zu der Schicht vor, in der echter Humor erst anzu greifen hätte. Soweit man nach der Uebersetzung urteilen darf, die einen mittelmäßigen Eindruck macht, glücken ihm nicht oft Formulierungen wie diese: „Die Comtesse de Val Montique, die in Chikago geboren war, neun Millionen Dollar, zwei Chteaux und Teile eines schon auflackier ten Gatten besaß...“ Dennoch ist das Buch immer noch von Sinclair Lewis und als eine unterhaltende Lektüre zu empfehlen, die den Leser auf amüsante Weise mit amerikanischen Verhältnissen und europäischen Bummlerexisten zen bekannt macht. Wir wünschten nur, daß nach dieser leichteren Gabe das große Erzähler talent von Sinclair Lewis sich wieder die Ziele steckte, die ihm von Rechts wegen zukommen. . S. Kracauer.