daß seine Reden keine Reden mehr seien. Jawohl, so ist es; und hat die Rede, die keine ist, noch überdies einen schlechten Inhalt — doch Herr Grabowski verzichtet darauf, die Inhalte zu analysieren und stellt statt dessen lieber der guten Rede die Aufgabe, dem Vaterland zu dienen und für die Völkerversöhnung zu werben. Mit großem rhetorischen Schwung. Nach den Mentoren besteigen die Schüler das Podium, deren jeder zehn Minuten frei spricht. Macht zusammen genau eine Stunde. Pros. Hoetzsch gibt als der Vorsitzende des Preisrichterkolle giums die Preise bekannt. Bezeichnend genug, daß zum deutschen Sendboten in Washington ein junger Rheinländer gekürt wird, dessen Rede ein einziges Kulturgeschwätz ist. Dieser neuge backene Ur. ein hübscher, korrekter Jüngling, redet von der Hingabe ans Objektive, das er nicht kennt, leugnet die Utopie ab, als sei er ein Greis, und will die Kulturtraditionen weiter entwickeln, die er nicht hat. Ein unverdautes, unverdauliches Gemenge ausgelaugter Wahrheiten, die fließend an den Mann ge bracht werden. Dafür, daß sie den Beifall der Zuhörer finden ist der Junge nicht verantwortlich zu machen. Aber warum über nimmt er einfach die abgestandenen Weisheiten, ohne irgendetwas eigenes mitzuteilen? Ist es schon traurig, daß die Aelteren so wenig aus der Geschichte gelernt haben: doppelt traurig stimmt eine Jugend, die sich in diesen aufgewühlten Zeiten widerstands los einen Formelkram anheften läßt, der zu ihrer Wirklichkeit gar nicht paßt. O- Sonst treibt sich in den Reden noch häufig verschollener Idea lismus um. Tatphilosophie und Lebensphilosophie, die aus den Niemand erwartet von Achtzehnjährigen eigene Gedanken. Und haben sie einen, so werden sie gewiß nicht öffentlich von ihm zeugen. Von vornherein anzunehmen ist vielmehr, daß sie in der Hauptsache vortragen werden, was sie in ihren pädagogischen Provinzen sich angeeignet haben. Dafür sorgt ja auch schon die Sichtung, die widerborstige Elemente vermutlich ausgeschieden hat. Die Frage, die an eine solche Konkurrenz zu richten ist, kann also nur lauten: in welchen Anschauungen wird unsere höhere Schuljugend erzogen? Ich muß gestehen, daß ich mir die Antwort nicht so hinterwäldlerisch vorgestellt hätte. Das Thema lautet: Was sagt uns Jungen die Geschichte? Sie hätten ihnen, d. h. der älteren Generation, von der sie unterrichtet werden, vieles zu sagen. Wir haben einen historischen Lehrgang zurück gelegt wie kaum ein Geschlecht vor uns. Deutschland hat den Krieg verloren und ist zur Republik geworden. Die russische Revolution hat zum ersten Mal dem Proletariat zur Herrschaft verholfen. Schwere Wirtschaftskämpfe erschüttern die Erde, und große Völker, die bisher geschlummert haben, erwachen zum historischen Leben. Sagt den jungen Leuten diese Geschichte etwas? Nichts sagt sie ihnen. Sie reden, wie sie vor 1914 hätten reden können, ihre Sprache ist durchaus die alte geblieben. Die soziale Frage scheint sie nicht zu betreffen, die Tatsache, daß Deutschland eine Republik ist, regt sie nicht weiter auf.- Wären nicht einige Phrasen über den Frieden und Europa, man merkte überhaupt nicht, in welcher Zeit wir jetzt leben. Schlimm für die Lehrer und schlimm für die Jugend. Wie die Allen fungen... Zum dritten deutschen Schülerrede Wettbewerb. ZLL- Berlin, 11. August. Im großen Saal der Hochschule für Politik. Sechs Schüler, die nach dem auch bei Schönheitskonkurrenzen üblichen Sichtungsverfahren in den Provinzen und zuletzt in Berlin als die besten jugendlichen Sprecher ausgesiebt worden sind, treten Zum. Redewettkampf an. Dem hochoffiziellen-Akt wohnen bei: das Preisrichterkollegium, das sich aus Lehrern, Dozenten der Hoch schule, Vertretern der Ministerien usw. zusammensetzt; der amerika nische Botschafter; zahlreiche Photographen. Diese schrauben ihre Kameras auf die hohen Stative und nehmen sämtliche Prominente ins Kreuzfeuer. Man wird dem Ergebnis bald in den Illustrierten begegnen. Herr Sackett weist in ein paar Vegrüßungsworten auf das internationale Redeturnier in Washington hin, wo sich neben den Abgesandten der anderen Staaten auch der heutige Sieger Zu be währen haben wird. Dort wird sich dann zeigen, wer der Weltmeister ist, der Redechampion des Universums. Den Sinn, den die Ver anstaltung etwa für Deutschland haben kann, sucht Herr Grabow- ski zu deuten. Er erblickt in dem SHülerwettbewerb eine Vor bereitung aufs Parlament, das unter anderem auch daran leide, Mue Tonfilme. Einiges grundsätzliche Bemerkungen. Berlin, Mitte August, s „Unter den Dächern von Paris." Der Mozart-Saal ist in ein Tonfilmtheater umgewandelt wor den, dessen Wände über und über mit glutrotem Stoff bespannt sind. Der Stoff selber hat wohl akustische Gründe. Me neue Bühne, die unter der Leitung von Hanns Brodmtz steht, wurde gestern mit dem Tonfilm: „Tons !es toits äe Uaris" von Rene Clair eröffnet. Zum Glück hat man -die französische Fassung des nach dem Tobis-Verfahren hergestellten Films beibe halten und ihm nur — vielleicht in der Absicht, ihn bei uns ein- Zubürgern — eine kurze deutsche „Tonfilm-Conference" vorange schickt, die Joachim Ringelnatz versieht. Ich mag Ringelnatz gern, aber seine Conference wäre'überflüssig gewesen. Der Film, der drei Monate hindurch mit unbestrittenem Erfolg in Paris ge-! laufen ist, spricht für sich selber. ch Rene Elair hat auch das Manuskript geschrieben. Die Hand lung entwächst einem Argot-Schlager und schildert jenes Pariser Volksleben, das ans „Milieu" grenzt. Ihre Hauptpersonen sind ein Straßensänger, dem Albert Prejean nahezu die' Anmut Chevaliers leiht, ein Mädchen, das in der Darstellung von Pola^ Jllery ein nettes Mittelding zwischen Gosse und Midinette ist,^ und ein schicker Zuhälter mit schwarzem Bärtchen (Gaston Mo- d o t). Das gruppiert sich Zwar zur geschlossenen Komposition, wächst aber kaum je scharf profiliert aus der Umwelt der Straßen, der Ual3 nm8ette8 und der Dachkammern heraus. Nicht allein die Menschen lieben und hassen sich, es ist, als liebe und hasse die Stadt mit ihnen. Sie stecken in ihr wie in einem Anzug, den sie nie ablegen. Ein kleiner Schreiber, eine dicke Bourgeoismadame, Flies und ein Dieb — in allen diesen Nebenfiguren lebt Paris. I Sein Alltag ist mehr als nur Hintergrund oder Füllwerk, er ist die eigentliche Triebkraft der Fabel. O Daß aus ihm das Geschehen aufsteigt und in ihn wieder ein- mündet, ist ein entscheidendes Merkmal des Films. Rene Clair gehört zur französischen Avantgarde. Man sah hier von ihm im Frühjahr einen Groteskfilm: „öntr' acte", der Fragmente des ge- § wohnten Daseins nach den strengen Gesetzen der Traumlogik ge staltete. In diesem neuen Film läßt er das herkömmliche Leben in größerem Umfang bestehen, und schafft einen Ausbau von Ereig nissen, der sich auch dem normalen Bewußtsein erschließt. Darum löst er doch allenthalben die Oberfläche auf, schweift von ihr ab und durchkreuzt sie mit eigenwilligen Mustern. Die Handlung spielt nicht in Paris, sondern Paris spielt diese Handlung. Statt daß sie das Zentrum wäre, ist sie nur die Ausstrahlung eines anderen, schwer faßlichen Zentrums. Wie zufällig ergibt sie sich am dem Anfängen des Jahrhu^ stammen, sind trotz allem, was die Geschichte sagt, unverändert erhalten geblieben. Mit ihnen im Tournister ist die Kriegsjugend damals ins Feld gezogen. Die neue Jugend wird es auch tun; obwohl in den rhetorischen Er güssen eine Art von mittelständischem Friedensoptimismus mit- schwingt. Aber der wiegt ziemlich leicht und wird außerdem nicht von allen geteilt. Jedenfalls entpuppt sich einer der Redner, der zum Glück an die letzte Stelle rückt, als ein wütender Nationa list. Er wirkt wie die verkleinerte Ausgabe eines völkischen Dema gogen. Nur einer von den Sechsen scheint etwas erfahren zu haben. Er pfeift auf die Kriegsgeschichte, auf die politische Geschichte und die gelehrte Historie, er möchte eine Geschichte, die uns von den Menschen und vom Eingreifen Gottes in die irdischen Schicksale erzählt. Das hat er wirklich gesagt, und es ist echt herausgekom men. Ein reizender Junge aus Schleswig, der Pfarrer werden will. Man hat ihm den vorletzten Platz zuerkannt. Ob die bei diesem Redewettbswerb betroffene Auslese ein typi sches Bild der heutigen Jugend ergibt? Ich glaube es nicht. Ich meine, daß viele Jugendliche doch weniger zeitblind sind und selbständiger denken. Typisch ist die Veranstaltung schon eher für die Lehrerschaft und andere maßgebende Kreise der älteren Gene ration. Sie beweist vielleicht, daß die Sprechkultur sich ein wenig hebt und bezeugt unzweifelhaft, daß die allgemeine Kultur bedenk lich erstarrt ist. Es wäre an der Zeit, daß sie sich auflockerte und das deutsche Bewußtsein der Situation nachkäme, in der wir gegen wärtig stehen.