stumme Film hätte eine solche Wirklichkeit um so weniger be wältigen können, als ihr Lokalkolorit mindestens im selben Maße akustisch wie optisch bestimmt ist. Amerikanische Sätze in Neger mündern: das sind Naturlaute, sinnvolle melodiöse Katarakte, die auch dem etwas bedeuten, der das Amerikanische nicht beherrscht. Der Regisseur von „Masse Mensch" und „Die große Parade" hat seine glückliche Hand schon damit bewiesen, daß er gerade dieses .vorgeformte Material auswertete. Und er hat ihm niemals Gewalt angetan, seine realistischen Absichten vielmehr auch dem Ton gegen über durchgesetzt. Es wird gesungen, wo gesungen werden muß. Geräusche und Sprache werden nirgends herbeigezerrt; sie stellen sich ein, sobald die Komposition es verlangt. Man wird, wie ich hoffe, bald zu Tonfilmen kommen, in denen die Töne nicht mit den Bildern übereinstimmen, sondern, scheinbar unabhängig von ihnen, ihre eigenen Kurven beschreiben. Bei Vidor sind sie noch synchronisiert und nicht so frei verwandt wie z. B. in dem neueren Rene-Claire-Film: „8ou8 los troit8 äe ?ari8". Dafür haben sie aber eine Kraft der Aussage, die mehr als nur illustrativ ist. Ich denke etwa an die Rufe des verlassenen Mädchens, das in der Nacht ihrem Geliebten nacheilt: Klagerufe, die ein selbständiges Leben führen — man weiß nicht, ob sie den Bildeindruck ver tiefen helfen ,oder ob die Bilder ihnen erst entströmen. Mehr noch: der Ton, so nachdrücklich er eingreift, lähmt kaum je die Beweg lichkeit der Kamera. Sie wandert wie im stummen Film unge hindert umher, und auch die Montage läßt sich keine der Mög lichkeiten verkümmern, die von der Mehrzahl unserer Regisseure preisgegeben worden sind. Es fehlt nicht an optischen Phantasien, wenn die Situation sie fordert (das Solospiel der Hände während der religiösen Ekstase). Eine außerordentliche Leistung ist die Szenenreihe, in der Zeke seinen Widersacher verfolgt. Durch Was serläufe und Wälder hindurch jagt er den Mann. Man hört das Plätschern, das Rauschen und Keuchen; man sieht die Undurch- dringlichkeit der Laubmassen und der Baumstammheere. Urrd es ist, als seien Gewalten niedergestiegen, von denen wir als Kinder aus den Sagen wußten. Soll ich die einzelnen Darsteller aufzählen? Aber das wäre ein Unrecht gegenüber der Leistung des Kollektivs. King Vidor hat sich seine Leute aus allen Ecken und Enden zusammengeklaubt, die wenigsten waren Schauspieler von Beruf. Ich nenne Daniel H. Hahnes, der den Zeke spielt und früher wirklich einmal Wanderprediger gewesen ist. Ich nenne vor allem Nina Mae McKinneh, die über sämtliche Verführungskünste gebietet, die so verderbt wie unschuldig blicken kann und eine große Meisterin auf dem Gebiet der Groteskkomik ist. Aber auch die anderen sind Stars; obwohl gerade dieses Wort auf niemanden von ihnen an gewandt werden dürfte. Woher rührt es, daß sie so spielen können? Weil sie sind, was sie spielen. Sie lieben wirklich und sie glauben wirklich. Sie sind Menschen. Während man bei unseren Darstellern manchmal das Gefühl nicht los wird, daß sie nur spielen, weil sie nicht sind. Die Substanz ist geschwunden, die Hast verloren und übrig geblieben die Schauspielerei an sich. Wie oft greift sie nicht daneben, wenn sie Haß, Eifersucht, Schmerz zu vergegenwärtigen hat, übertreibt oder verblaßt zum Schattenbild. Ihr fehlt die Er fahrung, die Verbundenheit mit der menschlichen Existenz. Und jenes Ineinander von Dirnentum und Reinheit, das zuvor gelebt sein muß, um dann den Schein des Lebens zu gewinnen — kaum einer unserer Künstler vermöchte es gefüllt wiederzugeben oder seine Wiedergabe auch nur zu wagen. * Man kann, wenn man will, „Hallelüjah" auch als einen Kulturfilm bezeichnen. Sicher ist, daß er uns über einen fremden Zustand besser aufklärt als die meisten Filme, die Kultur filme heißen. Es ist ein weitverbreitetes Vorurteil, daß Original aufnahmen das abgebildete Leben mit dokumentarischer Treue spiegelten. Gar nichts spiegeln sie, wenn der Photograph nichts gesehen hat als die Oberfläche, und auch die nicht einmal richtig. Die sogenannten Kulturfilme und Expeditionsfilme sind in der Hauptsache geistlose Arrangements langweiliger Bildberichte von Leuten, die dann allein etwas zu berichten wissen, wenn sie anders wo als Zu Hause sind, und einen Elefanten schon darum für eine Sehenswürdigkeit halten, weil er in Indien herumspaziert und nicht bet uns. Aber ein Elefant ist noch lange keine Sehenswürdig keit. Fremdes Leben ersteht nicht aus einer Summe von Bildern; es erscheint nur in seiner bewußten Gestaltung, S. Krakauer. z-o Kleine Signale. Berlin, Anfang Oktober. Das Personal ist strengangewiesen... In einem neu eröffneten kleinen Cafä im Berliner Westen sind die Getränkekarten mit dem Satz überschrieben: „DasPersonal ist streng angewiesen, jeden Gast zufriedenzu stellen." Man traut seinen Augen nicht, aber der Satz prangt auf allen Tischen. In Fettdruck. Ein durchaus vorbedachter Satz, der wie eine Blendlaterne dunkle Zustände erhellt. Sein Inhalt ist eine Vorschrift, die von Rechts wegen über flüssig wäre. Jedenfalls kommt ihr ein halbwegs vernünftiger Sinn nur unter der Bedingung zu, daß eine höfliche Bedienung keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Dreingabe, mit der niemand mehr rechnen darf. Wann aber wird sie zum besonderen Luxus, der eigens beigesteuert werden muß? Wenn die Menschen — in diesem Falle die Angestellten des Lokals — nicht als Menschen aufgefaßt werden, die kraft ihres Menschseins ein richtiges Benehmen ent falten. Die Rationalisierung der Wirtschaft hat offenbar die Meinung entstehen lassen, daß auch die Menschen zu rationalisieren seien. Vielleicht sind ihrer viele wirklich schon zu Apparaten abge-! baut worden. Zum mindesten beruht der Wortlaut des Satzes auf dieser Ueberzeugung. Mehr noch: er verrät eine völlige Unkenntnis^ aller menschlichen Obliegenheiten, die über technische Manipulationen ' hinausreichen, kann also selber nur einem Apparat entsprungen sein. „Das Personal ist streng angewiesen..." Was zu tun? Höf lich zu sein. Unhöflich möchte man Höflichkeit kommandieren, die sich auf Kommando nicht einstellt. Obwohl die Instruktion des Personals das Publikum nichts angeht, wird der Satz doch öffentlich ausgestellt. Er ist also für die Gäste bestimmt. Vermutlich soll er ihnen Zureden, getrost zu sein. Seid guten Mutes, sagt ihnen der Satz, hier kommt ihr nicht zu Unmenschen, wie ihr wahrscheinlich glaubt, sondern zu einem Personal, das gezähmt worden ist. Die Plakatierung des Satzes bestätigt, was aus seinem Inhalt erschlaffen wurde: daß das unter Menschen übliche Verhalten außer Uebung zu kommen droht. Sie stempelt zugleich den Gast Zu einem höheren Wesen, das gleichsam in der Unterwelt einkehrt. Daß er zum Uebermenschen gemacht wird, entspricht der Entmenschlichung des Personals. Es fehlt der menschliche Kontakt Zwischen den Menschen, sie sind nur noch die Vollstrecker ökonomischer und sozialer Funktionen. Apparate und Idole stehen einander hart gegenüber. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, daß das Cafe mit dem Satz allen anderen Cafts aufs Haar gleicht. Seine Kellner sind Kellner und seine Gäste sind Gäste. f Rot - Gelb - Grün. An den wichtigsten Straßenkreuzungen in Berlin wird der Ver kehr bekanntlich durch bunte Lichtsignale geregelt. Das rote Sperr- signal weicht aber nicht gleich dem Grün, das die Straße freigibt, sondern verwandelt sich zunächst in ein leuchtendes Gelb. Dieses Gelb bezeichnet den Uebergang vom einen entschiedenen Zustand in den anderen. Es ermähnt Passanten und Wagenlenker zur Auf merksamkeit und befreit sie von allen Ueberlegungen, die der Zwang zur Rücksicht auf Menschen und Fuhrwerke bei einem plötzlichen Wechsel der Signale erheischte. Durch die Einschaltung des Zwischenlichts wird die Rücksichtnahme gewissermaßen objektiviert und die Initiative aus den Menschen herausgesetzt. Auch in Paris finden sich an einigen Hauptstraßen Lichtsignale. Nicht Signale eigentlich, sondern jeweils ein einziges rotes Licht zeichen, das Halt gebietet. Erlischt es, so ist die Straße sofort wieder dem Verkehr geöffnet. Was völlig fehlt, ist der gelbe Ueber- gang. Und dennoch rollen die Wagen sanft dahin, ohne sich gegen seitig zu stören, durchkreuzen die Fußgänger Labyrinthe, ohne sich je zu verirren. Die Verantwortung ist bei den Menschen geblieben. Ich wünschte, daß auch bei uns das gelbe Licht draußen er löschte und in die Menschen zurückkehrte. S. Krakauer.