andern, schwebt, Jannings. Hanns Schwarz hat den im Gloria-Palast angelaufenen Film mit singenden Jungfrauenvereinen, Künstlergarderobengeplaus südamerikanischen Schönen uüd würziger Landluft bis zum Rande gefüllt. Eine provinzielle, routiniert hergestellte Mischung, die wohl auch für die Provinz bestimmt sein wird, wie manche Leute in Berlin sie sich denken. Zum Glück wirken Hans Moser, Willi Präger und Sokoloff als Ehargenfiguren mit. Aber die paar ausgezeichneten Zutaten machen noch keine Götterlieblingsspeise. Götterliebling. ZLr Berlin, im Oktober. Zertrümmerte Fensterscheiben. Berlin, 14. Oktober. Es ist mir wieder einmal so geschehen wie bei vielen früheren Krawallen: ich bin zu spät gekommen, ich war nicht dabei. Immer wenn ein Tumult ist, ist er wo anders. Ich sehe nicht die Steine, sondern die Scherben. Und mir bleibt nur übrig, als ein Friedens- Lerichterstatter die Nachlese zu erhalten. Die Leipziger Straße, auf der es gestern national sozialistisch zugegangen ist, sonnt sich heute um die Mittagsstunde im tiefsten Pazifismus. Inmitten zahlloser Passanten, die wie ich von der Neugierde hergetrieben werden, schlendere ich an den Läden vorbei, den Blick auf die Spiegelscheiben gerichtet. Sie spiegeln jetzt nur noch zum Teil. Das große Warenhaus am Leipziger Platz zum Beispiel hat von seinem Glanz viel verloren. Manche seiner Scheiben sind zu negativen Spinnetzen geworden: dort, wo die Spinne zu sitzen Pflegt, gähnt ein kleines Loch, und die Fäden sind Sprünge. Andere Scheiben sind überhaupt nicht mehr vorhanden, und die künstlichen Pelikane, die hinter der einen unter einem schönen Blütenbaum stolz die Auslagen be wachten, vertrauern nun ihr Dasein im Freien. Ich gehe weiter und bemerke, daß die meisten Geschäfte immer noch aus Glas be stehen. Die Steinwürfe scheinen sich nach der Religion gerichtet zu haben, denn in der Hauptsache sind die jüdischen Namen getroffen. Wenigstens hat sich der Krach ausgezahlt — für die Glaser. Sie sind schon eifrig bei der Arbeit und verpassen neue Spiegel scheiben, die dann wieder zerschlagen werden können. Ihr Anblick erschüttert mich, beweist er doch, daß das Leben sich immer gleich lautlos einrenkt. „Vorsicht" steht auf einem Schild geschrieben, das die Leute von der Arbeitsstätte der Glaser fernhalten soll, und über Nacht gedruckte Aushänge verkünden dem Publikum, daß trotz der demolierten' Schaufenster der Laden geöffnet sei. Viele Risse sind mit Papierstreifen zugeklebt, zersprungene Glaswelten mit Brettern vernagelt worden. Es gibt keinen Aufenthalt, die Bedürftigkeit richtet sich sofort wieder häuslich ein. Und sind auch Kriege und Revolutionen gewesen; hinterher kommen dann doch die Glasermeister, und es ist, als sei gar nichts passiert. So sieht es freilich vorerst noch nicht aus. Die Straße ist mit Schupotruppen besetzt. Sie partouillieren zu zweit, sie rasseln in Wagen vorbei und reiten auf hohen Gäulen. Wenn ein Passant sich ansammeln will, um in die Sprünge und Splitter zu starren, jagen sie ihn unverzüglich auseinander und ermähnen ihn, weiter- zugehen wie das Leben. Wer gerade ihre Gegenwart lockt immer von neuem die Menge herbei. Man wittert Sensationen in ihrer Nähe, und führt ein Polizist an irgendeinem Kandelaber ein Tele phongespräch, das wer weiß wie harmlos ist, so wird das Publi kum vom Kandelaber ungezogen wie von einem Magneten. Die Schupo hat es wirklich schwer: sie muß nicht nur die Straßen- Levölkerung zerstreuen, sondern dient auch zu ihrer Zerstreuung. Sogar aus den höchsten Stockwerken blicken kleine Ladenmädchen auf sie herab. Ich bin noch zum Alexanderplatz gefahren, aber es hat sich nirgends etwas ereignet. Das Unglück ist nur, daß stch, sobald ich abwesend bin, jederzeit wieder ein Unglück einstellen kann. Und ich kann doch nicht überall zugleich sein. ,S. Kracauer. Wie sich die Ufa einen Götterliebling vorstellt, ist unbeschreib lich. Ich werde es aber doch beschreiben. Natürlich muß der Lieb ling ein Operntenor sein. Einmal, weil ein Tonfilm zu tönen hat — gäbe es keine Tenöre, man erfände sie nachträg lich um des Tonfilms willen hinzu —; zum andern, weil so ein Lohengrin oder Othello auf den Flügeln des Gesanges über der traurigen Gegenwart schwebt, deren Betrachtung nach der Meinung der Filmindustrie den Kinobesuch schädigen könnte. Die Politik verdirbt das Geschäft. Da ein Götterliebling alles im Plural haben muß, gönnt ihm die Ufa außer den Gesängen vielerlei Weinsorten und Weiber in Fülle. Und wo dürste er anders leben als in jenem Wien, das zugleich an der Donau und am Rhein liegt und sein goldenes Herz genau zwischen Grinzing und Altheidelberg verloren hat; das mehr von Heimweh-Schlagern als von Heimwehrschlägern erfüilt ist; das Straßenaufläufe nur vor Bühnenausgängen verunstaltet? Freilich, nicht in Wien allein; denn auch Amerika hat verbriefte ' ! Rechte auf den Götterliebling der Ufa. Nach ihrem unerforschlichen Ratschluß soll er aber drüben vorübergehend seine Stimme ver lieren. Also schickte sie ihn nicht nach U. S. A., wo ein solcher Schick salsschlag ungünstig wirkte, sondern nur nach Buenos Aires, wo es doch nicht darauf ankommt. Die Pylitik nützt dem Geschäft. Armer Iannings, der vom Letzten Mann zum ersten auf gerückt ist und vom Blauen Engel zu diesem: „Liebling der Götter"! Da prangt er nun als Star am Tonfilmhimmel, der gar kein Himmel ist, und soll in einem fort glänzen, um hohe Ge winne abzuwerfen. Und wirklich spielt er unverdrossen alles, was man ihm auf den Leib geschrieben hat. Säuft, frißt und liebelt; reißt den Mund weit auf, damit die Töne ungehindert heraus quellen können; melkt fusch die Kühe; plätschert wohlig in jener besonderen Humorbrühe, mit der heute vielleicht darum so viele Filme bewässert werden, weil sie den kleinen Mittelstand noch weiter verdummen hilft. Einmal muß er auch tragisch werden, da er bekanntlich eine Tragödie ist, und dann kommt er uns eben tra gisch, kurzum er produziert sich total. Das Ergebnis ist keine künst lerische Leistung, sondern eine Ausstellung von Kunstfertigkeiten und ein Götterliebling, der von allen Götter verlassen ist. Armer