Was ist zu tun? Aber diese Frage kann, wie er nachdrücklich unterstrich, nicht von der anderen abgelöst werden, was die Franzosen tun. An einer entscheidenden Stelle wandte sich! der Dichter seinen französischen Freunden zu und forderte auch von ihnert Besinnung. Er bat sie zu bedenken, daß die beste Sicher heit Frankreichs die Gesundheit des deutschen Volkes sei. Eine auch rhetorisch stark herausgehobene Erkenntnis, der er die Mahnung anschloß, daß die Franzosen im Dienst der deutsch-französischen Ver ständigung über die unerträglichen Punkte des Versailler Ver trags mit sich reden lassen möchten. Noch einmal: was soll das deutsche Bürgertum tun? Aus dem Bescheid, den Herr Mann erteilte, ging hervor, daß die Ereignisse der letzten Jahre sein Denken tief beeinflußt haben. Gewiß ist er noch an manche Anschauungen gebunden, die in der Vorkriegszeit zu den Fermenten deutscher Bildung gehörten und in ihrer alten Gestalt zweifellos nicht mehr Lragfähig sind —aber er setzt sich doA auch als ein Lernender über diese verständlichen Bindungen hin weg. Mit einem Ernst, wie ihn nur die eigene Erfahrung gebiert, empfahl er den Bürgerlichen, sich nicht länger an jenem Wort zu stoßen, das ihre politische Orientierung verhindere: am Wort Marxismus. Trotz seines Bemühens, das ominöse Wort zu entgiften, bleibt allerdings zu befürchten, daß das von ihm an gesprochene Bürgertum es bis auf weiteres nicht schlucken wird; weniger aus chtonischen als aus machtpolitischen Interessen. Gleichviel: es ist geistesgeschichtlich und biographisch denkwürdig, daß dieses späte Selbstgespräch, das Stresemann nicht zu feiern vergaß, zu bekunden wagte, der Platz des deutschen Bürgertums sei an der Seite der großen deutschen Arbeiterpartei, Das Publikum jubelte dem Dichter am Schluß mit einer Be geisterung zu, die geradezu chronisch genannt werden durfte. Sie - war nicht zuletzt ein Protest gegen die vielen Zwischenrufes Wortrag mtt Zwischenrufen. Lr Berlin, im Oktober. Thomas Mann ksm in einer aufgeregten Zeit nach Berlin. Die Stürme im Reichstag, das SteinbomLardement und die Schüsse auf den Straßen — war zu erwarten, daß es bei seiner „Deut schen Ansprache" so ruhig zugehen werde wie bei einer Sonntagspredigt? Es ging nicht ruhig zu, und Herr Mann war sich wohl auch dessen bewußt, daß sein öffentlich geführtes „Selbst gespräch" auf laute Gegnerschaft stoßen müsse. Vor allem, wenn man es mit solchen Gegnern zu tun hat. * „Ich bin ein Kind des Bürgertums," sagte der Dichter zu Beginn, „und habe nie meine Herkunft verleugnet". In der Tat, er verfocht auf der Tribüne die Sache eines Bürgertums, von dem nur zu wünschen wäre, daß es unter uns lebte. Verfocht sie mit einem Verantwortungsgefühl, das jeder, auf welcher Seite immer er stehe, zu achten hat. Schon dies: daß er aus der Abge schlossenheit der schriftstellerischen Privatwelt heraustrat, um ein politisches Glaubensbekenntnis abzulegen, mochte für ihn, der nach seinem eigenen Geständnis alles andere eher als ein unerbit^cher Aktivist ist, keine Kleinigkeit sein. Und kuragiert wie der EntjcyLuß zur Ansprache war ihre Haltung. Sie wurzelte in den guten Traditionen jenes Humanismus, der sich mit der Aufklärung freundschaftlich Zusammenfindet; und sie bewies, daß die alten Traditionen noch einigermaßen elastisch sind. Die Frage ist nur, ob das Bürgertum sie im Sinne seines Fürsprechs zu wahren und zeitgemäß zu verändern bereit ist. Vorderhand sieht es nicht danach aus. Man hat vielmehr den Eindruck, als seien gerade die Gruppen in Wirtschaft und Politik, die sich mit Vorliebe bürgerlich nennen, unendlich weit von dem Bürgertum entfernt, das Herr Mann meinte. * Ihre Verblendung dürfte ihn selber am allerwenigsten ver wundern. Erklärte er sich doch das Wahlergebnis des 14. September unter anderem aus der Heraufkunft chtonischer, geistfeindlicher Kräfte, deren Erwachen er wiederum auf den Niedergang der Mittelklassen. und die damit zusammenhängende allgemeine Empfindung einer Zeitwende zurückführte. In beherzt ziselierten Wendungen, die von den Nationalsozialisten vermutlich nicht begriffen werden, suchte er ihre ihm (und uns) unbegreifliche „exzentrische Barbarei" Zu begreifen. Er sprach von der Natur religiosität des Neosozialismus, von seiner orgiastischen Unter strömung, von dem Einschlag der Germanistenromantik aus akade mischen Sphären. Ist das deutsch? Keineswegs, sagte Herr Mann, und überdies läßt sich in einem vielerfahrenen Geschichtsvolk wie dem deutschen die ersehnte blutreine, blauäugige Primitivität gar nicht verwirklichen. Solchen Wunschbildern stellte er als deutsch gegenüber: Würde, die auf Besinnung beruht und den Fanatismus von sich weist. die den Vortrag fortwährend unterbrachen. In der Hauptsache rührten sie von nationalsozialistischer Seite her, und man wird sich unschwer denken können, wann, wie und warum sie einsetzten. Mit unter kam es zu Tumultszenen wie in einer Volksversammlung, und Herr Mann mußte sich darauf beschränken, als politisch unpolitischer Betrachter auf den Lärm unter ihm schweigend herab zublicken. Da man sich nicht anders zu helfen wußte, wurde die Schupo geholt, die einige der Hauptstörer aus dem Saal eskortierte. Unter ihnen Herrn ArnolL Bronnen. Herr Bronnen versteht sich auf solche Attacken. In seinem, dieser Tage erschienenen Buch „Roßba ch", einem Doku ment jenes von Thomas Mann gegeißelten deutschen Un geistes, heißt es dort, wo die ersprießliche Tätigkeit des Freikorps Roßbach im kommunistischen Essen geschildert wird; „Langsam kehrte, in den ersten Tagen des April, die Ordnung zurück. Hier bewährten sich die Roßbacher nicht nur als Krieger, sondern auch als Erzieher. Da trat in der Hauptstraße Essens ein Mann an einen Freikorps Posten heran und bemängelte ironisch dessen aller dings nicht gerade überzeugend republikanische Uniform. Der Roß bacher, der einen feinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivi listen zu machen verstand, knallte dem Ironiker eine in die Fresse..." Das ist das „grelle Licht des Nationalsozialismus", von dem Herr Bronnen spricht; das sind die Argumente, mit denen seinesgleichen knallt. Der Mann, dem in die Fresse geschlagen wurde, war der Korrespondent des „Manchester Guardian". Wie das Wort „Freikorps Posten" sind, nebenbei bemerkt, in diesem Machwerk alle Verbindungsworte getrennt; offenbar um anzu- deuten, daß man die Elemente, die von Rechts wegen Zusammen gehören, unter keinen Umständen miteinander verbinden will. Werden die mutigen Worte Manns von denen vernommen werden, an die sie gerichtet sind? Oder geht die Geschichte Wer sie hinweg? An der Einsicht des deutschen Bürgertums ist viel gelegen.