Mr' Berlin, Anfang November. scheidendsten Kapitel ist jedenfalls der Vertrag mit Brechts und. Die Vorgeschichte des Prozesses ist ein vielverschlungener und mit gesellschaftskritischen Pointen gespickter Roman, der mehrere hundert Seiten umfassen würde. Ich sehe wich außerstande, seinen Inhalt auch nur andeutungsweise wiederzugeben. Eines der ent- Weilt, der von den üblichen Verträgen insofern abweicht, als er den Verfassern der Dreigrofchenoper das Mitbestimmungs- Der Prozeß um die Verfilmung der Dreigrofchenoper hat, wie bereits gemeldet, mit einem Sieg des Komponisten Kurt Weil! geendet. Die Urheberrechtskammer des Landgerichts I hat seiner Klage stattgegeben und der Nero-Filmgesellschaft (bzw. Warner Brothers und der Tobis) untersagt, auf Grund des von ihr her- gesteüten Manuskripts die Dreigroschenoper durch Verfilmung zu vervielfältigen, vorzuführen und vorführen zu lassen. Abgewiesen wurde die Klage Bert Brechts, der, dem Urteil zufolge, seine Mitarbeit abgebrochen und so der Beklagten das Recht Zum Rück tritt vom Vertrage gegeben habe. Brecht, der auch für die Kosten Lufkommen muß, hat Berufung eingelegt. den finanziellen Lockungen und behütet sein Werk; im Zweiten Falle scheM er ihnen Gehör und Zeigt sich desinteressiert am Film. Gemeinsam ist beiden Fällen der Verzicht auf die Auseinander setzung zwischen den Trägern des literarischen Ruhms und den Filmpotentaten. Es kann ein Beweis der Sauberkeit sein, wenn einer sein Werk radikal vor der Verfilmung schützt; während die Rechtfertigung seines Verschleißes nicht leich-t gelingen dürfte. Aber wie dem auch sei: eine richtige Zusammenarbeit der gestaltendenMächte wird so niemals erreicht (von der einzigen Ausnahme aögeschen, daß der Dichter, wie Chaplin, im Filmmilieu selber beheimatet ist) Brecht und Weill haben durch ihr Vorgehen die Schrecklichkeit dieses spannungslosen, undialektifchen Zustands bewußt gemacht. Der Prozeß ist schon deshalb wichtig, weil er auf die Be- denkenlosigkeit aufmerksam macht, mit der die Filmindustrie gegen Werke von Rang verfährt. Man erinnert sich noch des Films „Die Liebe der Jeanne. Reh", der nach dem bekannten Roman Jlja Ehrenburgs- gedreht wurde und ihn nicht nur entstellte, sondern seinen Sinn beinahe ins Gegenteil verkehrte. Ehrenbürg beschwerte sich damals in einem offenen Brief über die Ver- schandelung des Buchs, ohne allerdings mit dem nachträglichen Protest eine praktische Wirkung zu erzielen. So ist auch mit de^ Werken von Dostojewski und anderen umgesprungen worden, die sich nicht mehr wehren konnten, und erst neuerdings hat die gänz lich untalentierte Verfilmung von Georg Kaisers Stück „Zwei Krawatten" zum Glück nichts weiter als ein Kinotheaterskandälchen gezeitigt. Beim stummen Film waren die Verfehlungen noch nicht einmal so schlimm, wie sie jetzt beim Tonfilm sind. Jener durfte sich auch seiner vielen eigenen Möglichkeiten wegen von der Vor lage entfernen, und ein malträtierter Text mochte immerhin einen guten Film ergeben; dieser dagegen steht in einer ungleich ver trackteren Beziehung zu den ohne Rücksicht auf ihn erdachten Werken,' weil er ihre Worte und ihre Musik nicht frei abwandeln kann, sondern entweder bewahren oder völlig umgestalten muß. Die Verantwortung ist hier besonders groß, und gerade die Aufgabe, eine Oper in einen Tonfilm zu Überfuhren, der ihren Gehalt ver mittelt und wirklich standhält, birgt Zahllose Gefahren. Der von den Autoren der Dreigrofchenoper eingenommenen Haltung stehen Zwei Auffassungen entgegen, die für die dialektische Behandlung des Falles nicht unwesentlich sind. Ein Vertreter der Filmindustrie erklärte mir jüngst bei der Besprechung des Pro zesses: „Wenn sich ein Autor mit uns einläßt, muß er schließlich' den Notwendigkeiten Rechnung tragen, die für die Herstellung von Filmen nun einmal gelten. Will er das nicht, so bleibt ihm unbe nommen, sein Werk überhaupt nicht verfilmen zu lassen. Alle Achtung vor einem solchen Autor." Diese Ansicht wird durch das Verhalten eines berühmten Schriftstellers ergänzt, der, wie ich erwhre, unlängst das Recht auf die Verfilmung seines neuen,- rasch bekannt gewordenen Romans verkauft hat, aber nicht g.e- sonnen ist, sich um die Ausführung des Films zu bekümmern. Der Roman Zeugt für mich, mag er denken, und: gebt dem Film, was des Film es ist. ' Am ersten, nur hypothetischen Falle entzieht sich also der Autor rechL am kurbelfertigen Drehbuch zusichert. Dieser Kontrakt hatte Sonderäbschlüsse Zur Folge, die Leide Autoren zur Mitarbeit am Film verpflichteten. Die paar Monate zwischen der Unterzeichnung des Vertrags und der Klage waren eine ununterbrochene Kette von Mißhelligkeiten. Erwähnenswert ist etwa: daß Herr Nebenzahl von der Nero, die übrigens ihre Rechte am Film an' Warner Brothers und die Tobis verkauft und nur die Produktions leitung behalten hatte, den Beginn der Atelierarbeit auf den 15. August festsetzte, einen Termin, der den Autoren als verfrüht er schien; daß sich Brecht und der mit der Verfilmung beauftragte Regisseur Pabst, gleichviel aus welchen Gründen, nicht über die Art ihrer Zusammenarbeit einigen konnten; daß die Filmgesell schaft der Meinung war, Brecht sabotiere ihr Vorhaben, währeüd der wiederum annahm, sie verleugne die getroffenen Abmachungen; daß Weill im Atelier Einspruch gegen Aenderungen erhob, die von Zer anderen SÄte nicht für Aenderungen gehalten wurden. Die Ereignisse, in die eine Menge von Personen verwickelt waren, spielten sich, wie es sich für einen modernen Gesellschaftsroman gehört, in einem wahrhaft internationalen Rahmen ab: an der* französischen Riviera, am Ammersee, in Berlin und in London. Mehr als müßig wäre, im einzelnen feststellen Zu wollen, wd juristisch das größere Anrecht liegt. Die Nero spricht von dem „Leidensweg", auf den sie durch Brecht gestoßen worden sei, und dieser erklärt, was ihm unbedingt zu glauben ist: daß rein sachliche Erwägungen sein Verhalten bei der Manuskriptbearbeitung geleitst hätten. Für die Allgemeinheit ist nur die eine Tatsache von Interesse, daß die künstlerischen und die wirtschaftlichen Kräfte in einen Konflikt geraten sind. In Filmkreisen ist jetzt wiederholt vernehmlich geäußert worden, daß gerade der Tonfilm auf die Mitwirkung der Dichter angewiesen sei. Nun, der Dichter war unstreitig vorhanden. Mag er sich vielleicht nicht durchweg weit läufig benommen haben, so hat doch zweifellos die Filmgesellschaft die Bedeutung seiner Insubordination unterschätzt und ihn über haupt nicht mit Maßstäben gemessen, die ihm gebühren. Wenn der Prozeß etwas lehrt, so dies: daß Zwischen der Filmindustrie und den Vertretern der litterarischen Avantgarde eine Verständi gung schwer möglich ist. Beide Parteien haben darunter zu leiden. den Filmproduzenten. „Weshalb besteht der Kläger Weill auf dem Mitbestimmungsrecht?" fragt Goldbaum. „Um die Nero zu schä digen? Aus Eigensinn? Keineswegs. Die Dreigrofchenoper ist ein ebenso erfolgreiches wie prekäres Werk ... Die Lransposition ins Optisch-Akustische des Films ist nicht mit einem Abklatsch des Theatralischen geleistet. Sie erfordert nicht geringere schöpferische und eigenartige Qualitäten wie die Umsetzung in den Bühnen- vorgang. Brecht und Weill glauben nicht, daß diese Transposition nach der von der Nero vorgenommenen Verteilung der Verfll- mungsarbeit geleistet werden kann. Die Rechnung hat eine große Unbekannte: die Wirkung auf das Publikum. Der Lheatererfolg der Dreigrofchenoper hat bewiesen, daß ihre Schöpfer den Beweis der Erfassung großer Massen erbracht haben. Die Nero hat aber mit ihrer über dem Niveau der gewöhnlichen Filmproduktion stehenden. Zum Schaden des Erfolgs aber von Wedekind tief ab fallenden Gestaltung des Lulufilms das Gegenteil bewiesen. Die Manier, das Ansehen berühmter Werke für das Filmgeschäft aus^ zubeuten, diese Werke aber ihres Ansehens ganz zu entkleiden und dem Verleihergeschmack anzupassen, die Manier des „als ob" ist verwerflich. Sie ruiniert die Werke. Die Dreigrofchenoper, die durch ihren Erfolg „Verkehrsgeltung" erlangt hat, die dazu be stimmt ist, ein Repertoirewerk Zu werden, wollen die Autoren vor dieser Entwertung bewahren, in ihrem und in dem von ihnen besser verstandenen Interesse der beklagten Filmgesellschaft." Das ist es eben: auch im Interesse der Filmgesellschaft haben sich Brecht und Weill eingesetzt. Niemand wird die technischen und finan ziellen Schwierigkeiten verkennen, mit denen heute die Filmindu strie zu kämpfen hat. Aber sie sollte endlich lernen, daß sie sich! nicht über Mißerfolge und schlechte Kritiken beklagen darf, wenn sie immer nur die Künstler und ihre Werke den Routiniers des fil mischen Produktionsprozesses zu unterwerfen sucht, statt die Produktivkräfte der Schaffenden selber zu nutzen. Dr. Wenzel Gold bäum, einer der Anwälte Weills, ha^ ein Plädoyer gehalten, dessen Argumente übrigens beim Gericht nicht ganz durchgedrungen sind. Ein Abschnitt dieser Ansprache ist von außerordentlichem Gewicht, definiert er doch in mustergültiger Der Urozeß um die Dreigrofchenoper Einige nachträgliche Randbemerkungen.