entscheidender sind ihre anderen Eigentümlichkeiten, die samt und sonders beweisen, daß sich in ihr der Gedanke nützlicher Auf klärung mit dem des Kollektivs verbindet, das sich sein Wissen selber erarbeitet. So lernen die Kinder weniger die fer Ugen Produkte als den Prozeß des Schaffens kennen. Manchmal ist zum Beispiel ein Bildhauer anwesend, der rhncn wie ein gute. Onkel auf Verlangen alle möglichen Tiere knetet, und auch su dürfen dann gleich an Ort und Stelle mit den Lonklumpen hau. Lieren. Ferner sind die Gegenstände nicht wie sonst dem Zugriff entzogen, sondern bieten sich Zur selbständigen Prüfung dar. „Das Kind erforscht alles," sagt Dr. Meksin, „und es glaubt nichts." s Schließlich, und das ist für die Anwendung der „dynamischen" ^Methode besonders wichtig: das Kindermuseum wird durchweg von Kindern selbst bedient. Wo immer die Wanderausstellung hinlömmt, die es durch die ganze Sowjetunion entsendet, sofort werden ortsansässige Schulkinder und Jugenoirchc in der Hand habung der Objekte unterrichtet. Bei der Erörterung dieser Grund sätze meint Herr Meksin, daß sein Kindermuseum von len paar amerikanischen, die vermutlich viel reicher ausgestättet seien, zwei fellos in der schärferen Erfassung desabweiche. Im übrigen stellt er keine Vergleiche an und gedenkt weder der Vorläufer noch der Mtstrebenden; auch darin der echte Ange hörige eines Volkes, das mitunter in primitivem Stolz zu glauben scheint, mit ihm finge alles neu an. Ich erinnere meinen Ge sprächspartner an Fröbel, an die Montessori und überhaupt an die verschiedensten pädagogischen Versuche bei uns; weise ihn auch auf das Deutsche Museum in München hin, das er vom Hörensagen kennt und bewundert. Beispiele werden am besten seine theoretischen Absichten er läutern. Im Kindermuseum steht etwa, wie er erzählt, ein großer Guckkasten, der: „Zeiten und Bücher" heißt. Er enthält in seinem unteren Lerl vier Szenen aus verschiedenen Jahrhunderten und in seinem oberen Teil Kinderbücher aus den betreffenden Epochen. Die beiden Hälften lassen sich einzeln drehen, und dem Kind fällt Wendet er sich ihnen in den späteren Abendstunden einmal Zu, so ist er erst recht von ihnen entfernt und ganz weg. Es kommt etwa vor, daß er die Notenblätter auf dem Pult umdreht, aber diese Bewegung verrät nicht, daß er abspielt, sondern erfolgt nur aus Zerstreutheit. Seine Abwesenheit ist groß genug, um ihn eine Handlung vornehmen Zu lassen, die sonst gerade für die wache Gegenwart zeugt. Und so beweist auch die Tatsache, daß er stch über seine Hände neigt, alles andere eher als die Teilnahme an ihren Läufen und Trillern. Sie ist vielmehr ein Zeichen seiner entschlossenen Abkehr von der Umgebung, und wer genau zu ihm hinblickt, der gewahrt auch, daß er durch die Hände und Tasten hindurch auf unsichtbare Bilder starrt, zu denen das Spiel der Hände nicht dringt. Die Bilder sind zweifellos Erinnerungen, die ihn bei sich festhalten möchten. Gelähmt steht er der Vergangen heit gegenüber, und fern Kindergesicht zeigt überdeutlich, daß er nicht mit ihr fertig geworden ist. Nun kommt das Alter, ohne daß er ein Mann gewesen wäre, und er wird allein sein, allein. „Wenn die Elisabeth..." entquillt es den Fingern und: „8ons Iss toits äs karls". Ich entsinne mich eines anderen Klavierspielers, der in den Zeiten des stummen Films, damals, als es noch nicht die! entschwindet nach unbekannten Orten. Auf der Flügeldecke stehen Getränke für ihn bereit, und je nach der Verfassung, in der er gerade ist, greift er bald zum Champagnerglas, bald zum Bordeaux. Da. das Spiel unterdessen nicht stockt, muß er entweder eine dritte ; Hand zur Verfügung haben, oder mit der einen so fortfahren, als seien beide in Tätigkeit. Wenn er nicht trinkt, schluckt er in ge wissen Wständen Beobachtungen, die er still für sich macht. Er streckt leicht die Zunge heraus, denkt dabei nach und läßt sie mit samt dem Ergebnis seines Nachdenkens wieder in den Mund zurück schlüpfen. Was er stch während dieses Vorgangs vermerkt hat, gibt ihm offenbar ein Gefühl der Ueberlegenheit, denn hinterher bläst er die Backen auf und Zieht die äußeren Enden der Augenbrauen hochmütig nach oben. In der Regel erspart er sich jedoch die über flüssigen Abschweifungen und Gebärden und bleibt lieber innerhalb der vier Wände, deren undurchdringlichste sein Kindergesicht ist. Die Hände spielen unausgesetzt. Mussische KinderaussteMmg. Ein Ge s p r L ch. Mir Berlin, Anfang Dezember. Vor kürzern fand in Berlin eine Ausstellung des „Wander- museums des sowjetrussischen K i nderb u ch s" statt, die von der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas und dem russischen Volksbildungskömmissariat verunstaltet worden war. Sie hatte schon in Reval und Rrga debütiert, ist jetzt nach Hamburg übergesiedelt und wird sich dann in Prag niederlasfen. Ueberall auf europäischem Boden ward bisher dieser pädagogischen Schau ein schöner Erfolg zuteil. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Dr. I. Meksin, ihrem Gründer und Leiter, zu unterhalten. Meine erste Frage galt der Herkunft seiner Neigung für Zinder. „Sie rührt daher," anwortete er, „daß ich selbst eine Kindheit ohne Kinderbücher hatte, die auch sonst keine Kindheit war." Was er nicht besessen, wollte er schon als Student, also lang vor dem Krieg, den fremden Kindern ver mitteln. Er begann damals mit dem Aufbau seiner internatio nalen Kinderbücher-Sammlung, die außer den westeuropäischen ; Werken auch die japanischen und chinesischen umfaßt. Nach dem Apsbruch der Revolution gab er stch nicht etwa mit den schwieri gen Problemen und Experimenten der Erwachsenen ab, sondern suchte lieber durch die Schaffung eines Kindergartens und eines Kinderspielplatzes in einem Moskauer Aröeiterbezirck das Dasein der Kinder paradiesischer Zu gestalten. Später wurde er Redakteur für Kinderbücher im russischen Staatsverlag, und vor ungefähr fünf Jahren stellte er mit Professor Selenko, der die einschlägigen amerikanischen Verhältnisse studiert hatte, in den Kellern des Museums für bildende Künste seine effte Kinderschau: „Von Tieren für Kinder" zusammen. Girre freiwillige öffentliche Lei stung, die so starken Anklang fand, daß ihr bald andere folgen konnten. Vor anderthalb Jahren entstand aus diesen Bemühungen die vom VollMWungskommLssariat und dem SLaatsverlag sud- ventiomerte: „Z e n L r a l a n st aL t für K i n d eraus stel ln n g e n", die in Moskau, ihre eigenen Räume besitzt. Sie ist die Keim-elle des K i n d e rnzüs e u.ms, das Herr Meksin in nächster Zukunft verwirklichen will. Kindermuseuw: was ist das für ein anmutiger Begriff! Er entstammt der EKnntuis, daß die meisten Museen in der Welt nur für die Erwachsenen sind. Oder, wie Dr, Meksin sich zu äußern beliebt: „Sie dienen mehr den vornehmen Ausländern als dem werktätigen Volk". Woraus hervorgeht, daß er auch die Mehrzahl seiner erwachsenen russischen Landsleute in allen Bildungsfragen für halbe Kinder hält, die sich in den überladenen, großen, schweren Museen nicht recht Zu bewegen wissen. Mekflns Kindermuseum ist natürlich kein Museum im eigent lichen Sinn, sondern eher eine auf das kindliche Verständnis Zu geschnittene Schau aller möglichen instruktiven Gegenstände. (Ihre Räpme werden täglich von mehreren hundert Moskauer Kindern besucht: Einzelgängern, Schulgruppen, Pionieren usw.). Die Ausstellung nimmt nur eine Stunde Zeit in Anspruch; erfrischt durch ständige. Gegensätze im Material, im Stil und in der Stim mung ihre Besucher; legt den Hauptakzent auf die anonymen künstlerischen Leistungen statt auf die Namen der Künstler. Nnh Filmorchester gab und niemand daran dachte, kunstvolle musikalische Illustrationen zusammenzustellen, in einem kleinen Kino vom frühen Nachmittag bis in die Nacht hinein aufspielte. Er war ein ehe maliger Konservatorist, ein verbummeltes Genie, wie die Leute sagten. Da er von dem Platz aus, an dem der Raumnot wegen das Instrument stand, die Leinwand nicht sehen konnte, spielte er, was ihm durch den Kopf ging: Militärmärsche mit Variationen, empfind same Lieder und glitzernde Passagen, die er je nach Bedarf improvi sierte. Wenn ein tragisches Ereignis eintrat, ertönte oft lustige Tanzmusik, wahrend Verlobungsaussichten immer wieder durch düstere Klänge gefährdet wurden. Schon längst paßt die Kinomusik haargenau zu den einzelnen Szenen des Films, aber ich habe nie wieder eine vernommen, die besser Zu ihnen gepaßt hätte als jene, die sich gar nicht nach dem Film richtete. Ein ähnlicher Zusammen hang, so meine ich, besteht auch zwischen dem Spiel der Hände des beleibten Herrn in der Bar und den Bildern, die vor seinem inneren Auge abrollen. Sie gleichen einem geheimen Filmstreifen, den der rasche Wechsel der Melodien wider Willen untermalt. Nur in seltenen Fällen taucht der Klavierspieler einmal aus seiner Versunkenheit auf. Dann hebt er laut zu singen an und gröhlt mit der dunklen Stimme des Trinkers einen Schlagertext. Die Hände sind bei ihm, und er ist bei seinen Handen. Auf seinem Gesicht liegt ein seliges Kinderlächeln, und der Gesang sprengt bei nahe die niedrige Bar. Aber wie durch ein Wunder scheint er den Gästen so leise zu klingen' wie die Fingerübungen, und sie reden weiter, als hörten sie nichts, als werde überhaupt nicht gesungen^ Und dennoch verändert der Gesang alle Dinge im Raum. Solange er dauert, weicht das Fluidum, die Pelzmäntel verlieren ihren Glanz, die Schönheit verblaßt. Der singende Spieler, der seine Hände wieder getroffen hat, herrscht über die Bar. Er weiß es allerdings nicht, er singt nur mit selbstvergessenem Lächeln. Wer ohne daß er es weiß, erhebt sich neben ihm sein Begleiter, das Elend, vor dem er in den Gesang und das Lächeln geflüchtet ist. Stumm richtet es sich auf und wirft einen Schatten auf die Gesell schaft, in der er allein sein muß, ganz allein. S. Kracauer.