„Im Westen nichts Jenes." Zum Remarque-Tonfilm. Berlin, Anfang Dezember. Der amerikanische Remarque-Tsnfilm, der beinahe überall im Ausland gezeigt worden ist, hat bereits vor der Berliner Pre miere die deutsche Öffentlichkeit erregt, ja sogar eine Meinungs differenz zwischen Zwei hohen Behörden heraufbeschworen: dem Auswärtigen Amt und dem Reichswehrministe rium. Aeußerte jenes auf Befragen der Filmprüfftelle, daß es keine Bedenken gegen den Film habe, so behauptete dieses, daß der Film das Ansehen der deutschen Armee und damit das deut sche Ansehen überhaupt gefährde. Auch eine deutschnationale Kleine Anfrage, die im Preußischen Landtag eingegangen ist, wollte schon im voraus angebliches Unheil verhüten; erklärt sie doch un umwunden, in dem Firm werde „unsere deutsche Jugend ver höhnt und als unmännlich dargestellt. Die Tendenz laufe auf eine Verächtlichmachung der opferbereiten Vaterlandsliebe hinaus". Die Filmprüfftelle hat zum Glück den Film doch freigegeben. Er ist im Mozartsaal angelaufen und mit Ergriffenheit aus genommen worden. Aus eigener Kraft widerlegt er die törichten Anschuldigungen, die ein falsch verstandener Patriotismus und parteipolitische Bedürfnisse gegen ihn erhoben haben. Weder ver ringert seine deutsche Fassung — sie ist eine verkürzte Ausgabe der amerikanischen — das Ansehen der alten Armee noch ver höhnt sie die deutsche Kriegsjugend. Aber ich verstehe gut, daß ihre Vorführung manchen Leuten unangenehm ist. Denn immerhin: der Film macht de* Krieg nicht schmackhaft. Weniger durch seine Schreckensbilder als durch den strikten Nach weis, daß das Heldentum draußen in den Schützengräben nicht standhält Es wird gründlich desavouiert. Hat der Film ein Ver dienst, so dieses: die Hohlheit des widerwärtigen idealistischen Ge- schwöges Zu entlarven, mit dem der Schulprofeffor seine Jungen in den vorschriftsmäßigen Begeisterungstaumel versetzt. Sie ziehen als Kriegsfreiwillige hinaus und erfahren schnell, daß die Wirk lichkeit des Kämpfens, Hungerns und Sterbens sich von den schwindelhaften Trugbildern unterscheidet, die ihnen im Hinterland vorgegaukelt wurden. Der Heroismus fällt von ihnen ab, die Ideen, denen sie zu gehorchen glaubten, verwandeln sich ihnen in Ideologien, und ein Sinn ist nicht mehr zu greifen. Wenn sie trotzdem weitermachen, geschieht es hier aus Notwehr und aus jenem Herdentrieb, der dem einzelnen die Absonderung untersagt. s Wird durch diese planmäßig durchgeführte Entzauberung der Krieg geschändet? Es hat zwar den Anschein, als wolle das Film werk Stimmung gegen ihn machen, aber in Wirklichkeit dringt es genau so wenig wie das Buch von Remarque über die Stimmung hinaus bis zum Kern vor. Gewiß fallen in den Dialogen ernrge Bemerkungen, denen das Premierenpublikum laut und beifällig zu- stimmte. So meint einer, daß zwei Völker sich schlechterdings nicht beleidigen könnten, und ein anderer schlagt vor, daß in Zukunft sich nur die Kriegshetzer, die Fürsten und Generale bekriegen sollen. Doch was besagen solche unverbindlichen Floskeln wider die Tat sache des Kriegs? Statt die Frage nach feiner Herkunft zu stellen oder ihm mit politischen und sozialen Argumenten auf den Leib zu rücken, bleiben Film und Buch in kleinbürgerlichen Ausbrüchen des Mißbehagens stecken, die den Bildern des Grauens keine ge nügende Unterstützung Zu leihen vermögen. Paul, einer der jungen Freiwilligen, wird gelegentlich seines Urlaubs vom Schulprofeffor aufgefordert, vor die Klaffe zu treten und sie durch eine kurze An sprache zu entflammen. Er weigert sich, dem Professoraten Helden gewäsch Zu sekundieren, beteuert verzweifelt, nicht reden zu können. Diese Stummheit kennzeichnet die höchst anfechtbare Neutralität ! des Films (und natürlich auch des Romans). Sie ist der Er kenntnis feindlich. Sie steigert den Krieg zum mythischen Schick sal empor, das er nicht ist, und belaßt ihm die Ünabwendbar- keit, die er nicht hat. Ich befürchte, daß die Kriegslüsternen unter den Jungen durch den Film nicht imvon zurückhaltsn werden, neue Heldentaten Zu begehen. Und ich schätze, das Reichswehrministerium habe gar keinen Grund, so sehr in Sorge zu sein. Das soll nicht heißen, daß der Film die Gemüter unbehelligt entläßt. Er strapaziert sie nicht minder wie „Westfront 1918", der bekannte Kriegsfilm des Regisseurs Paöst. Beide Werke stimmen in der Grundhaltung miteinander überein; nur unterstreicht der deutsche mehr als der amerikanische die Monotonie der Whützen- grabenjahre und tritt auch vielleicht etwas ausdrücklicher gegen den Kricgswahnflnn auf. Dafür arbeitet der Remarque-Film die^ Einzelgestalten mit unvergleichlicher Deutlichkeit heraus, ohne um ihretwillen den Gang der allgemeinen Ereignisse zu vernach lässigen. Sein Hauptthema: die Ernüchterung der kleinen Sol datengruppe, wird in einer Szene festgehalten, die hatten bleibt. Die Jungen umstehen im Lazarett das Bett ihres Kameraden, und einer von ihnen vergißt buchstäblich den Sterbenden über der Mer nach seinen Stiefeln. Da er immer Blasen an den Füßen hat, nimmt er sich einfach die Stiefel angesichts des Todes. Das ist unsentimental gemacht, das ist wahr. Unter der Regie von Lewis Milestone ist der Film mit i großem Apparat, bewundernswertem technischen Können und einer außerordentlichen Wirklichkeitstreue hergestellt worden. Der alt modische Schlachtendonner differenziert sich zum Ineinander der verschiedensten Höllengeräusche, und alle KrisgZbilder früherer Zeit verblüffen vor den Nahkampfszenen, die sich hier nah an den Be schauer herankämpfen. Die Episoden wuchern ein wenig zu üppig, aber in ihrem Gerank findet sich eine wunderschöne, die wie eine kleine traurige Blüte aufsprießt. Es ist jene, in der Paul der Französin einen Besuch abstattet. Man sieht die beiden nicht, man hört sie nur im Schlafgemach, dessen rührende Armut sich unge ¬ schminkt darbietet, über ihr flüchtiges Zusammensein und das Unglück des Krieges reden. Leider passen sich die nachträglich ein montierten deutschen Worte den Mundbewegungen der Amerikaner oft nur mangelhaft an. (Soll der tönende Film die Internatio nalist des stummen bewahren, so muß man entweder das Schwer gewicht von den Dialogen zurück aus die Bilder und auch auf die Geräusche verlegen oder jeden Film von vornherein in allen Hauptsprachen drehen. Der Versuch, amerikanische Sprecher für deutsche auszugeben, ist ein Unding.) Was ich seinerzeit über die begrenzte aktuelle Bedeutung von „Westfront 1918" schrieb, gilt auch für den Remarque-Film. „Schon ist eine Generation ins Alter der Reife gerückt," lautete die be treffende Stelle in meinem t^maligen Bericht, „die jene Jahre nicht mehr aus eigener Erfahrung kennt. Sie muß sehen, immer wieder sehen, was sie nicht selber gesehen hat. Daß ihr das Ange schaute zur Abschreckung diene, ist unwahrscheinlich, aber wissen soll sie, wie es gewesen ist. Es kommt hier aufs Wissen an, nicht auf den mit ihm verbundenen Zweck." Anschauungsunterricht ist zweifellos nützlich. Aber es scheint mir, noch nützlicher wären jetzt Filme, die uns nicht nur die Greuel der Kriege zeigten, son dern ihre Entstehungsursachen aufdeckten und ihre wirklichen Folgen» S. Krakauer. -die Aufgabe zu, das jeweils Zusammengehörige zu ermitteln. Eine ähnliche Mühe wird ihm auch beim „Zaub e rschra nk" zugemutet. Dieser Schränk birgt eine unbetleidete Puppe und mehrere Kostüme, die den typischen Trachten Robinsons, W lhelm Tells, Robin Hoods und anderer bekannter Kinderbuchhelden aufs Haar gleichen. Nach dem Eintritt ins Museum empfängt nun jedes Kind eine Kupfermarke mit dem Namen einer dieser Figuren und mag dann mit Hilfe der Kostüme die Puppe im Schränk zum Ebenbild des Namensträgers verzaubern. Es kann sich auch in einem Raum, der: ,Mas gefällt mir mehr?" genannt wird, seine eigene Ausstellung arrangieren. Die Wände des Raums hängen voller Papptafeln, die vorne und hinten mit einander kontrastierenden Bildern beklebt sind. Unter jeder von ihnen wird der kleine Besucher ausdrücklich aufgefordert, beide Seiten zu be trachten und die Pappe einfach umzudrehen, wenn ihm das rück wärtige Bild mehr Zusagen sollte. Nicht zuletzt ist der Druckerei Zu gedenken, in der sich die Kinder Versähen, Einladungstarten i und ihren Namen drucken. Lustig sind ihre Urteile über das Gesehene, die sie auf > einer Wandzeitung niederschreiben dürfen. Eines teilt mtt. daß ihm in der Ausstellung die und die Gegenstände gut gefallen hät ten „und besonders alles". Ein anderes beklagt sich oarüber, daß das Mädchen, das d ' Druckerei bediene — es war erst zwölf Jabre alt — die Bescher nicht heranlasse, sondern immerfort selbst drucke. „Ist das in Ordnung, Onkel?" fragt das Kind und fügt hinu, daß es selber diesen Zustand ruckt billigen könne. Ein drittes wünscht, daß seiner Bibliothekarin von Dr Meksin befohlen ' werde, alle Bücher anzuschasfen, die Zwar hier rn der Ausstellung, nicht aber in der dem Kind Zugänglichen Bücherer vorhanden seien. — Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß das Gesicht des-Er- Zählers vor Freude erglänzte, als er mir von diesen winzigen^ z Ereignissen berichtete. Trifft die Erklärung zu, mtt der er die Herkunft seiner erzieherischen Tätigkeit begründete, so muh er. es i wirklich in seiner eigenen Kinderzeit sehr schlecht gehabt haben.