4 FrLnMsch gefprschen — ein beglückender Mischmasch von Vokalen, der wi^er einmal den lang entbchrten Geruch von Europa herweht. ,^Zn welchem Wagen fahren Sie/ Exzellenz?" fragt ein Herr, der nur ein Direktor sein kann, einen anderen Herrn; fragt es in einem Ton, als sei nicht von Eisenbahnwagen die Rede, sondern mindestens von einer Vullman - Limou - f ine. Hohe SLationsbeamte, deren Festuniformen kein Ständchen trübt, überwachen wie Regisseure den Start. Die span nenden Szenen werden vsn einem zahlreichen Pcemierenpublikum verfolgt, unter das sich statt der Theaterkritiker mehrere Reporter mischen. Nicht ein einziger Zuschauer neidet, wie ich glaube, den Auserwählten die Fahrt; im Gegenteil, die soziale Empfindlich keit tritt zurück, und alle ohne Unterschied freuen sich über die blaugoldene Pracht, als ob sie ihnen allen gehöre. Ich treibe, wenige Minuten vor Abfahrt, mit der Menge zur Maschine, einem hochgelagerten Koloß, der jugendfrisch blinkt. Auf der Plattform stcht ein Herr in Zivil, dessen Anwesenheit feierlich stimmt. Die Feierlichkeit wird noch dadurch erhöht, daß der Lokomotivführer nicht das übliche Pfeifchen zwischen den Lip pen hängen hat. Er ist ein Mann mit festen Zügen, die Vertrauen erwecken. Während er gerade, nervös wie ein Star unmittelbar norm Auftreten, mit den Fingern auf seinem Sitz trommelt, taucht — Punkt 12.53 — die weiße Scheibe über den Köpfen auf. Er dreht den Hebel, und schon bewegt sich der Zug. „Gute Fahrt!" rufen ihm einige Zuschauer zu, und er dankt ihnen von hoch oben mit einem ernsten Nicken. Sanft, lautlos, langsam schwebt die blaue Wagenreihe hinaus, nach Cannes, Florenz, Rom urG- Neapel. S. Krakauer. Wvrera—Mpott - ßrpreß. Start eines Luxus zuges. Berlin, den 3. Januar. In der weiten rutzgeschwärzten Halle des Anhalter Bahnhofs, den ich seiner Ehrwürdigkeit wegen liebe, steht um die Mittags stunde ein funkelnagelneuer Zug, der sich in dieser Umgebung wie eine Modedame in einem Bierrestaurant ausnimmt. Es ist der Riviera-Napoli-Expreß, der heute vollbesetzt seine Jungfernfahrt antreten wird. Die Namen auf den Wagenschildern sind ebenso viele Verheißungen. Cannes-—Florenz—Rom—Neapel: aus dem naßkalten Berlin fahrt er über Frankfurt und Basel mitten in die Sonne hinein. Die Abfahrt ist erst in dreiviertel Stunden, und einstweilen fehlt noch die Lokomotive. Ich bin zu früh gekommen, aber es ist ja auch schön, am Abend einer großen Theaterpremiere lang vor Beginn im beleuchteten Zuschauerraum zu sitzen und Zeuge der. immer stärker anschwellenden Erregung zu sein. Genießerisch streife ich die Reihe der leeren Wagen entlang, deren Bläue ans Mittel meer und an Frankreich erinnert. Sie sind englisches Fabrikat und mit einem feinen goldenen Streifen versehen, der auch die beiden Gepäckwagen vorne und hinten durchzieht. Ihre äußere Eleganz gleicht der von gallonierten Dienern vornehmer Herrschaften. In den Appartements selber — von Abteils zu sprechen, hieße sich einer Lästerung schuldig machen — schimmern Ornamente aus eingelegter Intarsia, funkeln Griffe mrd Stangen. An die Türen nach dem Korridor zu sind Visitenkarten geheftet, die ein wenig indiskret verraten, wer in diesen entzückenden Asylen wohnen wrrL. Es ist, als fände sich auf dem schmalen exterritorialen Gebiet eine geschlossene Gesellschaft Zusammen. Bild wird sie im Speisewagen tafeln, dessen Lämpchen dann rötlich erglühen werden. Eine win zige Lichterkette, die durch die Dämmerung gleitet. WeuZayr in der Iriedrichstadt. Berlin, Anfang Januar. Es war ein Neujahrsfest, als ob wir mitten rm Frieden lebten, als ob es keine Parteien gäbe und kaum eine Wirtschaftskrise. In den Lokalen flössen wie jedes Jahr sämtliche besteuerten Getränke in Strömen; obwohl genug leere Stühle verrieten, daß das Geld nicht mehr so strömt. Aber trotz der Anzeichen eines gedrückteren Lebens herrschte eine Lustigkeit, die sogar, mochte sie immerhin mit Galgenhumor gemixt sein, auf die Schupomannschaften Übergriff. Wahrhaftig, die Schutzleute waren Menschen und lachten freund lich, wenn einer sie einmal verulkte Ueber die Friedrichstraße ergoß sich in den ersten Stunden nach Mitternacht die traditionelle Karnevalsmenge. Die Geschäfte schliefen, die Berufe schliefen; wach war das Volk ohne Geschäft und ohne Beruf. Volk aus den Vororten, aus dem Osten und Westen — in dieser einen Nacht wogten sie alle ununterschieden und losgelafsen dahin. Maskenputz sorgte dafür, daß sie sich ohne Zwang miteinander mischten. Sie trugen komische Bärte und lange Nasen, sie schrien, weil sie sich freuten, und freuten sich darüber, daß sie so schreien konnten. Hohn auf die Autorität ging widerspruchslos mit ihrer Anerkennung Zusammen. Eine kleine Bande hatte sich in alte Militäruniformen von unbezweifelbarer Echtheit gekleidet, und der Bursche im Offiziersmantel schwankte so trunken hin und her, als wolle er den Sturz des Kaiserreichs persiflieren. Zur Entschädigung für solche Ausfälle statteten sich andere, die sich ebenfalls nichts dabei dachten, mit den Attributen der höheren Stände aus. Jüng linge und Mädchen, denen das Einglas nicht in der Wiege gesungen war, klemmten ein Zehnpfennig-Monokel aus Horn ins Auge, und bemooste Häupter ohne Universitätsbildung fühlten sich in ihren Corpsstudentenmützen verjüngt und gehoben. Auffällig war die Harmlosigkeit des Betriebs. Wer ich habe schon oft beobachtet, daß gerade die Bevölkerung der Weltstädte, denen das Beiwort verderbt von der Provinz nicht leicht geschenkt wird, besonders harmlos ist und sich vergnügen kann wie die Kin der. Die paar ganz großen Städte sind eigentlich keine Städte mehr, sondern Landschaften, eine zweite Natur, die ihren Bewoh nern eine neue Ursprünglichkeit verleiht. Jedenfalls wallfahrte die Menge dem neuen Jahr mit einer Beschwingtheit entgegen, die, soweit ich festzustellen vermochte, nirgends zu zertrümmerten Fen sterscheiben führte; es sei denn, daß eine Frau von einem Mann blau geschlagen wurde, aber das aeschiebt nicht nur in der Sil vesternacht Verwegene Gestalten, deren Ernst sonst blutig ist, ver ständigten sich durch ungefährliche Scher Worte, und Maharad schas tanzten mit Königinnen, die ein Papierdiadem krönte. Sie waren auf ungeschickte Weise annxutig, und wenn sie sangen: „Es war einmal Ein treuer Husar, Der Liebte ein Mädchen Ein ganzes Jahr", so wohnte das Glück schon unter ihnen, das sie vom neuen Jahr erwarteten. Doppelt verwunderlich in dieser Zeit der Demonstrationen :var, daß die Silvestermassenkundgebung durchaus unpolitisch verlief. Aber mehr noch: die politischen Leidenschaften traten nicht nur beiseite, sie schienen einem Gefühl der allgemeinen Verbun denheit gewichen Zu sein. Vielleicht regte es sich, weil die Menschen instinktiv begriffen, daß der Jahresbeginn ein Elementarereignis ist, das sie nur gemeinsam überstehen können. Und wenn mich nicht alles täuscht, waren sie nicht Zuletzt auch darüber fröhlich, daß sie sich endlich einmal Zusammenscharen und sein dursten, wie sie sind, oder doch sein möchten. Ach, wäre nur jeden Ta-g Silvester! Die Not jeden Tages verkörperte ein Betrunkener, der mit dem eintönigen Gebrüll: „Prost Neujahr" über die lange Friedrichstraße torkelte. Etwas anderes als diesen der Welt dar- gel-rachten Glückwunsch wußte er nicht von sich zu geben. Die Schutzleute ließen ihn gewähren, die Autos, auf die er nicht achtete, fuhren sorgfältig um ihn herum, und die Leute lachten über ihn und gingen dann eben weiter. Er mochte ein längst aus gesteuerter Erwerbsloser sein, und sicher ist, daß ihm sein Prost Neujahr so bald nichts nutzen wird. Ohne sich beirren zu lassen, zog er die endlose Straße herunter, immer den gleichen Ruf aus stoßend, bis zum Halleschen Tor und' darüber hinaus. Von drei Uhr an fuhren schon viele nach Hause. Auf den StationsLanken saßen schläfrige Pärchen, hielten sich umschlungen und dösten. Die Untergrundbahnen waren besetzt wie zur Zeit des GeschLftsschlusses. Ein junger Mann wickelte, ehe er ausstieg, in einem letzten Anfall des Uebermuts den letzten Rest einer Lustschlange um die Klircke des Wagens. Vor einer Haustür lag ein schlummernder Herr in Gamaschen, der offenbar nicht mehr fähig gewesen war, den Ueöergang von den Steinstufen zum Bett zu vollziehen. Das neue Jahr war bereits angebrochen. Der Bahnsteig beginnt sich eine halbe Stunde vor Abfahrt zu füllen. Die Insassen, des Personeuzugs gegenüber: Schüler in Gym nasiastenmützen, Arbeiter und Frauen bestaunen das luxuriöse Wunder, drängen zur Lokomotive, die eben angekoppelt wird, und tauschen technische Bemerkungen miteinander aus. An der Zug spitze haben sich auch mehrere Photographen urtd ein Filmoperateuc eingesunden, deren Aufnahmen man zweifellos in den nächsten Illustrierten begegnen wird. Je weniger Leute solche Züge be nutzen können, desto mehr Leute wollen sich doch an ihrem Abbild ergötzen. Allmählich — nicht zu zeitig und nicht zu spät — nähern sich die glücklichen Inhaber der Visitenkarten/ N werden von den livrierten Schaffnern empfangen, die so schmuck aussehen, als seien sie ebenfalls von der Internationalen Schla?wags:rgesellschafl neu hergestellt worden. Das Zeremoniell vollzieht sich allerdings nüch terner als bei der Abfahrt des I.-Zugs: iwcbe die ich einmal an der Oare cin d' orä in Paris miterle-öte. Treten hier die Reisenden immerhin eine Eisenbahn fahrt an, so bezogen sie dort eine Art von Elirehotel. Ein Stab von Hotelangestellten be willkommnete sie, und kaum waren sie eingestiegen, so sah man sie auch schon hinter den Spiegelscheiben des Pullman-Cars in ihren mächtigen Kluöfauteuils sich dehnen und strecken Eine Viertelstunde vor Abfahrt. Wichtige Herren, die Zum Teil in amtlicher Eigenschaft mitzufahren scheinen, begrüßen sich, erteilen Anweisungen und schreiten von Zeit Zu Zeit die Frynt ab. Zwei dunkle unansehnliche Männer, denen ich die Jungfern fahrt nicht ohne weiteres zugstrauL hätte, entpuppen sich bei genauerem Hinhören als Italiener. Es wird auch Englisch und