stand, daß er ein ausgeräumtes Zimmer ist, in dem die Klienten vor spiegellosen Wänden sitzen. Wer schließlich geht es ja so, und wer wollte gern Las eigene Elend bespiegeln? Der Müßiggang,. der sicher auch dort, wo er nur zwangsweise herrscht, aller Laster Anfang ist, erzeugt ein Geflüster, das die Halle genau so erfüllt wie das Ofenrohr. Aus diesem Raunen heben sich nach und nach immer wiederkehrende Gespräche heraus, die sich auf Rauchwaren, Schuhe, Sweater und andere Objekte be ziehen. Obwohl auf den Wänden geschrieben steht: „Handeln strengstens verboten", wird eben doch in gewissem Umfang ge handelt, und die Verwaltung tut recht daran, daß sie die Leute stillschweigend gewähren läßt. Denn die Paar Dinge, die hier von Hand zu Hand gehen, sind schlechterdings lebensnotwendig. Ich habe sie betrachtet, diese Zigaretten und Gummisohlen, und es war mir dabei zumute, als hätte ich sie Zum ersten Male gesehen. In der Hallenwelt hören sie auf, bloße Waren zu sein, sie werden zu unersetzlichen Gütern, und nichts vermöchte mehr zu rühren als der Schimmer, der ihre Armseligkeit umgibt. Ausgesteuerte und Leute, die in der Wohlfahrt sind, bilden das Gros. Auch Doktoren seien unter ihnen zu finden, betont der Leiter nicht ohne einen Anflug von Trauer und Stolz. Er be gleitet mich durch den Saal, um einen der Doktoren aufzutreiben, kann ihn aber nirgends entdecken. Sobald er sich nähert, treten die improvisierten Handelsherren möglichst unauffällig den Rückzug an. Zur Entschädigung für den ausgebliebenen höheren Wärmekunden zeigt er mir den durch Holzwände abgetrennten Frauenraum, in dem die Weiber so durcheinandergewürfelt Hocken und schwatzen, als erwarteten sie an einer östlichen Grenzstation die Ankunft des Zuges. Der Zug kommt aber nicht. Sie sind jung und alt, häßlich und hübsch. Eine flickt einer anderen den zerrissenen Rock, und mehrere von ihnen betätigen sich wahrscheinlich in zweifelhaften Berufen. Ich bemerke, daß es bei ihnen und in der Männerhalle friedliebend zugeht, um nicht zu sagen harmonisch. Der Führer be ¬ stätigt diese Beobachtung und fügt hinzu, daß Verlauste und Be trunkene nicht ausgenommen werden. Die Trunkenbolde, nebenbei bemerkt, heißen „Brennabor", eine Wortbildung, die weniger von den Gummireifen als vom Brennspiritus herrührt. „Wie leben alle diese Leute?" erkundige ich mich Leim Leiter, „Viele von ihnen", erwidert er, „verbringen hier die Zeit, zwischen 7 und 3; solange ist die Halle täglich, auch Sonntags ge öffnet. Um 5 Uhr suchen sie das Asyl auf, wo sie schlafen können und verköstigt werden. Das Asyl schließt um 6 in der Frühe und dann kommen sie wieder zu uns." — Nach einer Pause: „Arbeit zu finden, ist schwer. Und wenn sie gefunden wäre, müßten die Leute erst noch eine Zeit lang unter stützt werden, um sich wieder an ein menschenwürdiges Dasein zu gewöhnen." Geboten wird den Besuchern ein halber Liter Kaffee für 5 Pfen nige und vier Brötchen zu 10 Pfennigen. Eine Kostprobe über zeugt mich davon, daß der Kaffee anständig schmeckt. Die mehr geistigen Ansprüche werden durch einen Radioapparat und -ins Bibliothek zu befriedigen gesucht. Das Lesebedürsnis soll kuriosei- weise an den eigentlichen Sonntagen größer sein als an den werr-, tägigen; vielleicht aus dem Wunsch heraus, die Erinnerung an jene Fcierzeit zu bannen, die mit dem Einerlei des notgedrungenen Feierns nichts gemein hat. Ich durchstöbere die sogenannte Biblio thek, eine Zufallskollektion abgelegter Werke, die wer weiß wo ihren Weltlauf begann, dann vielleicht in ein Krankenhaus gekommen ist, und nun in einem Schränk von mittlerer Größe ihre letzte Ruhe statt gefunden hat. Sie bestreitet ihre Existenz mit HarbouZ und Brachvogels, erstreckt sich von den „Quitzows und ihrer Zeit" bis zu Anzengruber und erhebt sich in einem Anfall von Uebermut zu Knechts Kommentar zur biblischen Geschichte. Am meisten Gewicht haben die Pensionierten Zeitschristenbände von „Nord und Süd" und der „Gartenlaube" aus den achtziger Jahren. Die Unter- Haltung, die sie liefern, ist den Interessen der Gegenwart nicht minder entrückt wie die Halle selber und ihre Besucher. Das Lagesheim in der Neuen Konigstraße muß früher eine Wohnung gewesen sein. Ihre Leiden geräumigen Zimmer liegen im Parterre und blicken auf einen ruhigen Hof. Seine Abgeschieden heit drückt den Zustand aus, in dem sich die Gäste des Heims be- fmden. Diese Sozialrentner, diese Unterstützungsempfänger, die durch einen Unfall zu Schaden gekommen sind — auch ihnen hat das Leben den Rücken gekehrt. Nun überdauern sie hinter ihm die endlosen Nachmittage in den zwei Stuben. Herrscht in der Ackerstraße die Armut, die nichts zu verlieren Hai und darum immer noch einen Ausstieg erhoffen darf, so hier eine die endgültig herabgesunken ist und nichts mehr gewinnen kann. Jene wäre der Rebellion fähig; diese muß verzichten lernen. Die meisten der 40 bis 50 Männer und Frauen, die das Heim bevölkern, haben bessere Zeiten gesehen. Einer von ihnen war 26 Jahre lang Dolmetscher, ein anderer Reichsbankbote. Ihre Kleidung und ihr Benehmen bezeugt noch das Verlangen, den Schein der Verhältnisse zu wahren, aus denen sie kommen, und ein ehemaliger Eiseleur wirkt beinahe als Herr. Sie erinnern sich ihrer Herkunft und erlangen dadurch einen Halt; sie addieren un willkürlich zum trüben Licht, das die Zimmer vor der Dunkelheit rettet, den Glanz der Bürgerlichkeit hinzu, in deren Schatten sie sitzen. Kleiner verarmter Mittelstand — er wird sich nicht wieder erheben. Der Ort, an dem er seine letzte Zuflucht findet, ist kein Depot wie die Halle in der Ackerstrabe, sondern im wörtlichen Sinne ein Heim. So ist es in Ordnung; denn da die Besucher ohne Anschluß an die kämpfenden und aufstrebenden Schichten sind, kann ihnen nur eine Stätte Vorbehalten bleiben, die zugleich eine Sackgasse ist. Das Heim gewährt ihnen einen Unterschlupf, aber man zieht durch ein Heim nicht hindurch. „Die Leute bei uns", sagt mir der gutmütige Verwalter, der jeden Kunden freundlich behandelt, „kommen in der Regel hierher, um ihrer Einsamkeit Zu entrin nen. Wenn sie auch alle ein einigermaßen geordnetes Zuhause haben, so stehen sie doch allein in der Welt und sind auf die Freuden angewiesen, die ihnen ihre Gesellschaft bereitet". Als ein Bollwerk gegen die Oede draußen ist das Heim in der Tat von einer Gemütlichkeit, die den Außenstehenden ungleich trostloser anmutet als das unbehagliche Wesen der Ackerstraßenhalle. Noch hängt oberhalb der Durchgangstür das girlandengeschmückte Oval: „Fröhliche!!! Weihnachten!!!", Hessen Ausrufungszeichen die Anstrengung verraten, die hier die Fröhlichkeit kostet. Es soll vielleicht in der Absicht überwintern, durch seine magische Gewalt die entschwundene Fröhlichkeit fest zuhalten. Und an der einen Schmalwand hat sich auch das Klavier eingestellt, das wie die verblichenen Girlanden zu den unver meidlichen Repertoirestücken solcher Zimmer gehört. Die Alten rauchen ihr Pfeifchen, dösen vor sich hin und spielen Skat, Schafskopf und Schach. Sie wärmen sich nicht nur in den Räumen, sie erwärmen sich mehr noch aneinander. Wie die Be sucher der allgemeinen Wärmehallen sind sie mit den Errungen schaften des Radio ausgestattet und verfügen über eine Bibliothek, die sogar verschiedene neuzeitliche Kriminalromane enthält. Der Verwalter drückt den Wunsch nach Zeitungsspenden und illustrier ten Blättern aus, und es wäre den Zurückgezogenen auch wirklich zu gönnen, daß sie ein Echo des Lebens erreichte. Denn das leib hafte Leben geht am Hof vorbei und über sie weg. Ein kalter Wind fegt durch die Straßen, die ohne Sanftmut sind. Auf dem Bülowplatz leuchten Transparente mit den Namen von Lenin und Stalin. Und gestern ist wieder einmal eine deutsche Schönheitskönigin gekürt worden.