Lei und für zeugt. Materielle Not, erzwungener Müßiggang, Sinnleere Unabsehbarkett eines Wandels sind gefährliche Brutstätten wilde Aktionen. zogen, das vor allem den Widersprüchen in ihren Aussagen gilt. SLolpe ist ein junger Arbeiter von brutalem Aussehen, der keinen unintelligenten Eindruck macht. Er neigt meistens den Kopf vornüber, und es ist, als ob ihn die Last der Tat und die schwere Aufgabe der Selbstverteidigung niederdrücke. Auch Lies chen Neumann verkriecht sich vor den vielen Blicken, die sie auf sich ruhen fühlt. Sie hat dichtes .^aar und mag von den Männern ihrer Gesellschaft als eine Schönheit angesprochen worden sein. Während der Vernehmung Stolpes schluchzt sie viel; wie man überhaupt trotz des jetzigen Abstandes zwischen den beiden die Enge ihrer Beziehung durchspürt. In der Mitte der Bank sitzt Benziger, blond, farblos und stumm. Am Anfang der Verhandlung beklagt sich Stolpe in offenbar memorierten Sätzen darüber, daß er und sein Freund kurz nach der Verhaftung durch die Anreden der Beamten „mißhandelt" worden seien. Er zitiert die betreffenden Redewendungen, die wahr haftig nicht so schlimm sind wie die eigene Würgtätigkeit. Eine psychologisch merkwürdige Empfindlichkeit, die darauf-zu schließen erlaubt, daß der junge Mensch noch nicht zum Bewußtsein seiner Tat gekommen ist und weniger unter dem Druck ihrer Schwere als dem der Angst vor ihren Folgen steht. Danach sucht der Gerichts vorsitzende dem Stolpe mit unendlicher Geduld eine Schilderung jener Gespräche und Ereignisse zu entreißen, aus'denen man seinen Schuldanteil errnessen kann. Trotz seines Zuredens macht Stolpe nur spärliche Aeußerungen, die seine Geliebte belasten, und verfällt im übrigen in ein hartnäckiges Schweigen. Es mag zum Teil daraus zu erklären sein, daß er sich nicht unnötig in Lügen ver wickeln will; zum anderen Teil ist es sicherlich eine Art von Starrkrampf, in den der dialektisch Ungeübte angesichts des Zwanges gerät, sein Verhalten geordnet und folgerichtig aufzurollen. Hinzu treten wird ein Rest von primitiver Scham, der ihn daran hindert, über verschiedene der Klarstellung bedürftige Intimitäten zu reflek tieren oder gar in der Qefsentlichkeit Auskünfte zu erteilen. Daß dem so ist, geht aus seiner Aussage hervor: er habe bei der ersten Konfrontation mit der Kriminalpolizei eine entsetzliche Angst ge habt. Für die sogenannten unteren Schichten des Volkes wird die Berührung mit dem formalen Denken, das über ihnen waltet und ihre Angelegenheiten regelt, beinahe stets zum bedrohlichen Zu sammenstoß. Es ist ja auch so, daß ein vorwiegend stofflich ge bundener Mensch wie Stolpe das Geschehene überhaupt nicht ein wandfrei rekonstruieren kann. Vielmehr: da er das Geschehene er fahren und begangen hat, ohne es gedankenmätzig Zu beherrschen, muß es sich in der Erinnerung verwirren, die sich seiner logisch bemächtigen will. Die Folge der vergeblichen Anstrengung ist eben das Schweigen... Lieschen Neumann ihrerseits steht ziemlich forsch Rede und Antwort. Sie ist, was man hell nennt, verrät Energie und bestreitet die Initiative, die Stolpe ihr zuzuschieben sucht. Es ist Zwischen den beiden manches vorgegangen, was nie Wort werden wird, und man hat das deutliche Gefühl, daß die abgegebenen Erklärungen aus einem unerhellten Grund aufsteigen, der im Interesse der Wahrhertssorschung aufgedeckt werden sollte und sich doch niemals bloßlegen Läßt. Im übrigen spricht aus dem Gebaren der Neumann Armut und Oede. Aber das ist auch eine Mitgift der Verhältnisse, in denen heute unzählige Menschen aufwachsen müssen. Es wird zur Zeit in Berlin viel gemordet, und das Bewußt sein von der Kostbarkeit des Lebens scheint in weiten Kreisen geschwunden zu sein Freilich hat man auch Zustände einreißen lassen, die es auszutreiben vermögen. Wohin sie führen, zeigt dieser Prozeß. Drei blutjunge Großstädter, die ohne rechte Leiden schaft sich eines Tages als Mörder wiedecbegegnM — nur schwer ist zu fassen, daß das Dasein so leicht wiegen kann. Sie unter scheiden sich bestimmt nicht auffällig von vielen Altersgenossen, sie sind lediglich, etwas weniger gehemmt, einen Schritt weiter gegangen. Insofern ihr Verbrechen symptomatisch ist, wird es zweifellos nicht allein durch die Not bedingt, in die sie die Arbeits losigkeit versetzt hat, sondern mindestens ebenso sehr durch ihren Mangel an einem Halt. Mag die Jugend, der Benziger, Stolpe und Louise Neumann angehören, politisch eingegliedert sein oder nicht: sie wird in einer Umwelt groß, die ihr kaum eine bündige Richtschnur für den Alltag gewährt. Wichtige Traditionen sind ab gefallen, obne daß sich neue gebildet hätten; , die Maßstäbe, an denen die Folge der kleinen Handlungen zu messen wäre, sind in Ver wirrung geraten; die Lebenshaltung der mittleren und-führenden Schichten ist nicht dazu geeignet, ein V zu sein. Der von den drei Jugendlichen verübte Mord ist auch ein Zeicben der Schwie rigkeiten, in denen sich die gegenwärtige Gesellschaft befindet. - S. Krakauer. Während der paar Vormittagsstunden, die ich der Sitzung wohne, werden die zwei Hauptschuldigen einem Verhör unter Urozeß Lieschen Menmann. Berlin, Ende Januar. Auch am zweiten Tag des Prozesses Lieschen Neu man n drängt sich das Publikum schon in den frühen Morgenstunden vor dem Eingang des Neuen Kriminalgerichts. Unter den Wartenden befinden sich offenkundig viele Arbeitslose. Sie haben allen Grund, sich für die Verhandlung zu interessieren, denn die drei jugendlichen Untäter entstammen ihren Kreisen. Der 23jährige Kutscher SLolpe, der etwas jüngere verführte Benziger und das 16jährige Mädchen: sie sind sämtlich ohne Arbeit gewesey. Ich meine nicht, daß aus dieser Tatsache allein der Mord am Uhr macher Ulbrich abzuleiten ist; aber hätten die drei Jugendlichen Arbeit gehabt, so wären sie wohl kaum gemeinsam ins Verbrechen getaumelt. In den Berliner Arbeitsnachweisen habe ich mich wiederholt unter die Massen der Erwerbslosen gemischt, die dort Lag für Lag nichts weiter tun können als herumzulungern und nach einer Arbeitsgelegenheit zu spähen, an deren Kommen doch niemand recht glaubt. Das ist ein schlimmer Zustand für junge Menschen, denen die Uebung des Lebens fehlt, und man sollte sich eigentlich darüber wundern, daß er nicht noch mehr Verbrechen er