E 106 Bor ein«« Vierteljahr habe ich an dieser Stelle in einem Auf sich Wer den Prozeß um die Dreigroschenvper den spannungSlosen uttdialektischen Zustand beklagt, der heute Zwischen der Filmindustrie und unserer künstlerischen Vorhut besteht. Die Tobis und Weill versuchen ihm für ihren Teil ein Ende Zu machen. Man kann sich dem Experiment gegenüber skeptisch verhalten Und etwa den Ein- wand erheben, daß die Filmindustrie durch die ihr innewohnenden ökonomischen Tendenzen und sozialen Interessen über furz oder lang gezwungen sein werbe, dem Künstler die Gefolgschaft zu kündigen. Oder man mag auch besorgen, daß die in den technischen Produktionsprozeß hineingezogens künstlerische Aktivität Schrden erleide. Aber gleichviel: das nun geschlossene Bündnis ist gut und inderOrdnung. Es schlägt eine Bresche in den mechanisierten deutschen Filmbetrieb und nötigt Vertreter der Industrie und der Avantgarde Zu einer Auseinandersetzung, die unter allen Umständen nützliche Folgen haben wird. Denn glückt sie, künstlerisch und ge schäftlich, so schafft sie eine Aenderung der bestehenden VerW die zur Nachfolge anregen und Kreise ziehen muß; und glückt sie nicht, so Zeigt sie doch zum mindesten dieseVerhaltniffe deutlich auf, Sie werden nicht mehr ungestört im Dunkeln fortdauern können und auch das wäre schon viel. Gin gut ausgenutzter Sieg. Kurt Weill und dir Tobt». LL^. Berlin, lm Februar. Der Streit um bis Verfilmung der Dreigroschenoprr ist, wie Kersits durch die Blätter ging, beigelegt worden. Und zwar hat der Komponist Kurt Weil! aus das ihm zustehende Recht ver zichtet, die Vorführung des vorn Regisseur PaLst gedrehten Drei- groschenopersilms Zu verhindern, dafür aber Vereinbarungen mit der Tobis getroffen, die eine fruchtbare Zusammenarbeit in der Zukunft emöglichen. Dank der Einsicht Leider Parteien ist ein für jede von ihnen unergiebiger RechtsZustandin einen produktiven Vergleich umgewandelt worden. Fände man sich nur überall so aus der Sackgasse heraus! Das Abkommen ist über den besonderen Fall hinaus wichtig, weil es eine echte und brauchbare Beziehung zwischen der Film industrie und der künstlerischen Avantgarde herstellt. Wenn auch die Filmindustrie schon seit einiger Zeit den SOS-Ruf nach Dichtern susgsstoßen hat, um vorm Ertrinken in schlechten Manuskripten gerettet Zu werden, so ist sie doch bei uns niemals wirklich dazu geneigt gewesen, sich den durch die künstlerischen Notwendigkeiten gesetzten Bedingungen zu fügen. Sie ist vielmehr immer weiter abgetrieben in die Gewässer des Kitschs, die voller heimtückischer Gefahren sind... Der zwischen der Tobis und Kurt Weill abgeschlossene Vertrag gewährt diesem Möglichkeiten, wie. sie bisher noch kein Künstler innerhalb des Mmbetriebs gehabt hat. Weill erlangt nicht nur ein Lntscheiderches Mitöestimmungsrecht bei der Herstellung seiner künf tigen Filmwerke, er wird auch alle „kunstschädlichen und personlich- keitsschadlichen Methoden" ausschalten können. Im Gegensatz zu der üblichen Praxis kommt also endlich einmal ein Künstler in die Lage, seine Absichten rein durchzuführen. Um diese günstige Situation tatsächlich auszuwerten, hat Weill Zur Bedingung ge macht, daß der Beginn der DrHzeit nur im Einvernehmen mit den Autoren des Drehbuchs anberaumt werden darf. Wie einschneidend gerade die Terminfvage ist, weiß er aus eigener Erfahrung; war Loch den Manuskriptautoren Lei der Verfilmung der Dreigroschen oper nur eine begrenzte Frist gelassen worden, die ihnen als zu gering für die Verwirklichung ihrer Pläne erschien. Gegen eine solche Vergewaltigung durch den Apparat hat jetzt der Komponist mit Erfolg rebelliert. Er gewinnt so die Chance, bis zum Anöruch der Atelierarbeit alle textlichen und musikalischen Voraussetzungen erfüllen zu können, die zu einem filmischen Kunstwerk gehören. Die Verantwortung fällt damit auf den Schaffenden zurück, statt dem herrschenden Usus gemäß unter betrieöstüchtige Routiniers aufge- LM zu sein, deren Erzeugnisse ja auch danach aussehen. Per Mörder Dimitrij Karamasoff. Einige grundsätzlichcBetrachtungen zum Tonfilm. Berlin, im Februar. Ahmt der Film die Wirklichkeit n<O oder diese den Film? Jedenfalls häufen sich hier und dort die Mordfälls, und zweifellos besteht eine innig? Wechselwirkung zwischen der gedichteten Kol portage und der gelebien. „Der Mordprozetz Mary Dugan", „Der Mann, der seinen Mörder sucht", „Der Mörder Dimitrij Karamasoff" — ein wahrer Blutrausch scheint sich der Filmindustrie bemächtigt zu haben. Von diesen drei in den letzten Tagen urausgeführten Filmen transponiert der erste das bekannte Theaterstück auf die Lein wand, wo es der, einförmigen Umwelt und der vielen Dialoge wegen nicht eigentlich hingehört. Den zweiten, der sich eine Ton filmgroteske nennt, hat die Ufa von Robert Siodmak her stellen lassen, auf den die Öffentlichkeit anläßlich seiner Bild reportage: „Menschen am Sonntag" aufmerksam geworden ist. Diese neue Groteske bezeugt zwar immer noch die Begabung des jungen Regisseurs, .verrät aber leider keine Substanz. Sie walzt ein literarischcs Aper?u bis zur Bewußtlosigkeit aus, sucht gro teske Effekte mit realistischen Mitteln zu erzielen ,und benötigt 100 Meter für Witzpointen, die eine bessere amerikanische Groteske auf 10 Meter zusammenpreßt. Unterwegs gehen natürlich die meisten Pointen verloren. Es bleiben nette Einfälle ohne Gehalt und gefällige Arrangements, die wenig zu arrangieren haben. Der Geist der Ufa schwebt über den Wassern. Weit über das GewoWre erhebt sich der im Capitel gezeigte Karamasoff-FLlm der TAra. Er ist, ich schreibe das mit vollem Bewußtsein nieder, der er; ste deuLsche Tonfil m , der einen Vergleich mit den guten stummen Filmen aushalten kann. Durch ihn wird verdeutlicht, was viele Beurteiler nach den bis herigen Erfahrungen in Zweifel zogen: daß der Tonfilm eigene Möglichkeiten der Gestaltung hat. Hoffentlich wächst er sich zu einem geschäftlichen Erfolg aus, damit die deutschen FilmgewalLigen endlich erkennen lernen, daß sie auch in ihrem materiellen Interesse nicht mehr so weiter wirtschaften dürfen. Es ist die höchste Zeit, daß der Operettenkram und die übrigen Seriensabrikate aus den Kinos verschwinden. Schon rein aus pädagogischen Gründen verlohnt sich die Ana lyse dieses ausgezeichneten Films. Was Zunächst seine Handlung betrifft, so ist sie von Leonhard Frank aus dem Roman Dostojewskis herausgeschnitten worden. Man merkt sofort, daß hier nicht die üblichen Konfektionäre das Drehbuch geliefert haben. Denn anders als Lei den üblichen Rowanverfilmungen ist der epische Stoff nicht einfach als Unterlage M illustrative Szenen ausgenutzt, sondern von Grund auf in die Filmspmche übersetzt worden Das heißt: Frank hat mit Recht keinen Anstand da-ran genommen, die vorgegebene Fabel so umzugeMten und zusammen- zuschmelzen, daß sie nun eine Komposition darstellt, die aus den optischen und cckustischen Mitteln des Films lebt, ohne zu ihrem Verständnis noch irgendeines Bezugs auf das außerfilmische Kunst werk zu bedürfen. Statt des barbarischen Mosaiks, das von den Routiniers gemeinhin zusamm-engestückt wird, gibt er ein Film ganzes, dessen Teile sich gegenseitig bedingen und tragen. Viel leicht hat er im Streben nach filmischer Einheit den dramatischen Konflikt ein wenig zu stark akzentuiert. Wer einmal entgeht er dadurch der Gefahr unverbundenen Flickwerks, die gerade dem Be arbeiter von Romanmanustripten droht, und Zum andern ist gerade die Verwandlung der Romanepik in die Filmepik ein besonders schwieriges Unternehmen. Soviel ich wich entsinne, ist jene epische Form, die im Film gestaltet Zu werden verlangt, nur in Ausnahme- Wen bewältigt worden; etwa in einigen Russenfilmen und zu Beginn von „Therese Raquin". Der Dichter des Manuskripts hat sie um der größeren Geschlossenheit willen vernachlässigt., und ich beklage mich auch nicht weiter darüber, sondern wünschte viel eher, daß die Konzentration seines Drehbuchs den Leuten vom Bau zum Vorbild diente. Außer Frank sind noch andere Künstler an dem Zustandekommen des Films beteiligt. Carol R a rha u s hat die Musik besorgt, Erich Engel die Dialoge geleitet und Fedor Ozep die Gesamt- regie geführt, der Russe Ozep, dessen herrliche Bordellszene im Film: „Der gelbe Paß" mir für immer im Gedächtnis haften wird. Ihrer gemeinsamen Arbeit ist vermutlich die Verwirklichung des Manuskriptes Zu danken. Mit welchen Mitteln haben sie es in Szene gesetzt^ ML den großen des stummen Films, die seit langem in Vergessenheit geraten zu sein schienen. Hervorzuheben ist vor allem eine Lehre, die dieser Tonfilm erteilt: daß das ge sprochene Wort nicht den Vorrang haben darf, sondern sich einordnen muß ins Bildgefüge. Auch der sprechende Film spricht vorwiegend Zu den Augen. Bezeichnend genug, daß unter OZeps Regie die Leitmotive in der Hauptsache optischer Art sind. Die Station mit der Eisenbahn, die in entscheidenden Augenblicken wiederkehrl; die Uhren, die eine wichtige Stunde vergegenwärtigen helfen; das Heiligenbild, das immer von neuem auf den Mord hindeutet: di^ Kerzen des^Kronleuchters, die den Taumel verfinn-