Zusammenschmilzt. S. Kracmrer. beiseite, und die Schreib- wird die Walze abgenutzt S. Kracauer. zulande immer eilig haben, stoßen sie maschinen klappern über sie hinweg. Der Leierkasten ist verstummt. Bald sein. Schlager im Grit. Berlin, im Februar. Zu meiner Bürostube dringen durchs geschlossene Fenster die Klänge eines Leierkastens herauf. Ich w "ß nicht, was der Mann im Hof unten spielt, und wahrscheinlich hört ihm auch sonst niemand zu. Es ist kalt draußen, ein schlechtes Wetter für Melo dien. Schritte Hallen durch den Korridor, und die Schreibmaschi nen klappern unausgesetzt in den Vormittag hinein, der so mit Geschäftigkeit vollgspropft ist, daß die Drehorgelmusik einfach keinen Unterschlupf in ihm findet. Während sie noch ertönt, erinnere ich mich eines anderen musik labenderen Vormittags, in den ich während meines letzten Pariser Aufenthaltes verschlagen wurde. Straßenpublikum, wie es der Zufall zusammenfährt, umstand in einer kleinen Gaffs hinter dem Palais Royal zwei Musikanten und eine Frau. Die Frau trug gerade einen Schlager vor, dem die Menge andächtig lauschte. Nachdem sie geendet hatte, ging sie herum und bot das Notenblatt mit dem Text feil, das auch wirklich von den meisten Passanten käuflich erworben wurde. Es ist ungefähr ein halbes Jahr her, und ganz Frankreich feierte damals den Triumph der Ozeanflieger Csste und Bellonte. Ihre Heldentat besang dieser aller neueste Schlager Kaum war er in den Händen des Publikums, so beobachtete ich, wie viele Lippen sich lautlos und eifrig be wegten, um die Verse auswendig zu lernen. Und als dann die Fmu zum zweiten Male das Ruhmeslied zu singen begann, schloß sich der Menschenkreis allmählich zu einer Gemeinde zusammen, die von Strophe zu Strophe kräftiger mitsang. Handwerker, Klein- burgerfrauen und junge Burschen mit der Mütze auf dem Kopf: äs bildeten eine einzige große Familie, die zwei glorreiche Söhne einträchtig pries. Obwohl ich an einer solchen Szene zum ersten Male Leilnahm, war mir doch bewußt, daß ich ihr früher schon öeigewohnt hatte. Ws in aller Welt war er gewesen? Indes die Leute auseinander strömten, um wie Bienen die süße Last des Schlagers weiter M tragen, fiel mir plötzlich ein: in Rens Clairs Film: „8ans!ss toLt« äs karis*. Ich hatte ihn in Berlin kurz vor meiner Abreise nach Paris gesehen und nicht recht geglaubt, daß er nur die bare Wirklichkeit schildere... «§our lsr totts äs karis" — das ist ja der Schlager, den der Drehorgelmann im Hof unten spielt. Vergeblich möchte sich die Melodie an den Hinterhausfronten emporranken, sie ist welk und müde geworden. Ich vergegenwärtigte mir, wie sie einst an ihrem UrsprungsorL von dem Volk verhätschelt wurde, das sich selber besang, indem es sie sang. Von Paris ist sie später durch unsere Kinos gewandert, wo sie immer noch halb zu Hause war, weil Bilder der heimatlichen Plätze und Gaffen sie umrahmten. Eine Weile danach, und sie ist in die Salons und die Cafes gedrungen, wie ein exotischer Besuch, dem man gerne für kurze Zeit Asylrecht gewährt. Aber die Menschen lieben die Abwechslung, und so hat man sie schließlich auf die Straße gesetzt. Straßen, in denen sie sich nicht auskennt, sind jetzt ihr Exil. Die Passanten, die es hier selbständig geworden und Lahne sich aus eigener Kraft ihren Weg. Sie dringt mit der Hartnäckigkeit von Schriftzügen durch die Lust, stellt wieder und wieder wie eine Tabelle ihr: „Streichhölzer, Streichhölzer" und das: ,Mitte, helfen Sie mir" fest, und rückt, unbekümmert um Erfolg oder Mißerfolg, einer nicht geschlagenen und niemals Zu schlagenden Heeressäule gleich gegen die Licht reklamen vor. Eine schneidende, finstere Stimme, die sich auch von dem mondanen Seebad nicht aufhalten läßt. Bevor sich der Bettler noch Zeigt, kommt sie mir jedesmal schon entgegerr. Wie ein von der Armut entsandter Lotse holt sie mich ab und geleitet mich eine Strecke weit über den Kurfürstendamm, ohne abzunehwen oder lauter zu werden. Längst ist die Geld- rnünze in ^n Streich gefallen — sie aber kann nicht verstummen, Chaplin am Trapez» Ist Chaplin selber der Leinwand entstiegen? Jedenfalls tsatschelt er dreidimensional über die Bühne, auf der Zwei Trapez künstler üben. Sie vollführen schwierige Lustmanöver, greifen nach ihren Händen, ohne sich je zu verfehlen, und sind alles in allem durchaus selbstbewußte und Zielsichere Männer im Raum. Auch Chaplin möchte einer sein, ist und bleibt aber ein Wunder an Hilflosigkeit. Rutscht aus, wenn er emwurzeln müßte, verfängt sich mit dem Stückchen, als wuchere unsichtbares Schlingkraut aus den Brettern hervor, kann das Hütchen eines Drahthindernisses wegen nicht aufsetzen und lüftet es dann zu Ehren einer mühsam gefangenen Laus. In dieser verkehrten Umgebung,, in der ein so merkwürdiges Durcheinander von Menschen und Dingen herrscht, verirrt er sich fortwährend wie in jenem SpiegelkabmeLt, das wir Me aus dem Zirkussilm keM Dennoch ist er in feiner tieM den Hilf- kösen ein Tros^ I wieder gelingt es ihm, starken Leuten einen Schabernack zu spielen und die heimtückischen Gegenstände zu überlisten. Zwar taumelt er überall, wo die Erwachsenen un entwegt ausschreiterr, aber dafür findet er auch dort ein Plätzchen, ws sie gar nicht zu weilen vermochten Ein dünnes Seil wird ihm Zum Notanker, und stürzt er schon ab, so fällt er wenigstens gleich in sein Hütchen hinein. Er zeigt auf drollige Weise, daß eins Ohnmacht wie die seine sich doch zuletzt durch die Wett schlägl, der gegenüber sie stets versagt, und praktiziert die große Lehre, nach der ein Glück Zu jedem Unglück gehört. Grund genug für ihn, sich manchmal mit der Geste des Lriumphators über die just unter jochten UMstände zu erheben. Nur leider richten sie sich wie Steh- LufMännchen sofort in die Höhe, und das Nüchlaufspiel beginnt wieder von vorne. Die entstellte Melk wird von Chaplin nicht Zu- rechtgerückt, aber er kann sich in ihr behaupten und zupft sie Leim Ohr. Charlie Rivel, der sich rm Rahmen des unterhaltenden Februarprsgramms der Skala mit seinen beiden Partnern pro duziert— die Clownsnummer des kleinen Ensembles ist muster haft aufgÄöaut und voller komischer Pointen — hat sein Original genau belauscht und stilgerecht weiterentwickelt. Zug für Zug er steht die zierliche Gestalt, und eignet ihr auch die rührende Vehe- menz des Urbildes nicht ganz, so bricht sie doch einmal in jenes Chaplingelachter aus, das wie ein Blitzstrahl Irrsinn und Glück