Kutokutt. Berlin, im Februar. Wenn ich es noch nicht gewußt hätte, so märe ich jetzt, nach dem Besuch der Internationalen Auto-Schau am Kaiser damm, endgültig davon überzeugt: daß das Auto einer der wenigen Gegenstände ist, die heute allgemeine Verehrung genießen. Ich kenne kaum ein anderes Objekt, das so in der Volksgunst steht. TaxiMufseure und Herrenfahrer, junge Burschen proletarischen Aussehens und Schupomannschaftsn, elegante Schnösels und Motorradanwärter: sie alle, die sich sonst gar nicht miteinander verLmaen, pilgern gemeinschaftlich durch die Hallen und verrichten ihre ndackt or Kühlern, Zündungen und Carofferien. Es ist, als seien angesichts des Fertigprodukts die sozialen Klassenunterschiede aufgehoben, die, nach der trefflichen Reportage Jlja Ehrenburgs zu schließen, Lei seiner Fabrikation eine beträchtliche Rolle spielen. Eine Wallfahrt wie die Zu Lourdes, die sich langsam von Station M Station bewegt und immer neue Offenbarungen erlebt. Ver mutlich werden viele die Ausstellung in erleuchtetem Zustand ver lassen. Auf ihn vorbereitet sind jedenfalls die meisten Besucher. Noch niemals bin ich in eine Menge verschlagen worden, die soviel von den Dingen verstünde, um derentwillen sie sich angeschart hat. Mag man in Volksversammlungen ihr alles mögliche ausschwatzen Wunen: hier laßt sie sich nicht betrügen, hier dringt sie bis ins Innere der Motoren vor. Sie besteht überhaupt nur aus Fach männern, und ich bin sicher der einzige, der an der Oberfläche haften bleibt und den schönen Schein mir dem Wesen verwechselt. Das Wesen der Vorderräder, Kutbelungen und schweren Transport wagen — die andern erforschen es, nchmen es sachkundig unter die Lupe und Wen Kritik. Vom Mann in der Windjacke an bis zum hohen General geben sie sich seinem Studium hin, eine moderne Scholastik, die jeder gleich eifrig betreibt. Der General trägt einen blitzenden Stern am Hals und wird von mehreren Adjutanten gefolgt, die gewissermaßen Mischen ihm und den Autokonstruk- iionen vermitteln. Vor den billigen Volkswagen staut sich die Menschenmenge be sonders dicht. Sie erwecken die Begehrlichkeit und werden mit einem Wohlgefallen angestaunt, das keineswegs Interesses ist. Man erklärt sich gegenseitig ihre Bestandteile, zwängt sich w sie hinein und findet sie so komfortabel, als hatte man sie bereits erworben. Wenn mittlerweile die Wirtschaftskrise behoben sein sollte, prangen vielleicht manche von ihnen beim nächsten Weih- nachtsfest auf dem Gabentisch. In der nächsten Nachbarschaft dieser Liliputgeschöpfe haben sich wahre Riesenungetüme von Wagen angesiedelt, alles bunt durcheinander, auch die Reiche kommen auf ihre Kosten. Durch die Anordnung der Modelle wird zum mindesten dem Wissensdurst Genüge getan. Mitunter ist das Gehäuse ab montiert, und der technische Restbestand dreht sich oberhalb einer Spiegelunterlage gemächlich um sich selber wie ein Mannequin. Oder ein Wagen ist einfach in der Mitte seiner ganzen Länge nach halbiert und wirkt nun wie ein Präparat in der Anatomie. Von den Bilanzen und Fabrikationsgeheimnissen abgesehen, zeigen sich alle Eingeweide im vollen Lichte der Öffentlichkeit, und noch das geringste Schräubchen strebt danach, möglichst -volkstümlich zu werden. Habe ich auch von dieser durchscheinenden Innenwelt nicht eben viel begriffen, so sind mir doch einige Spezialitäten ausgefallen, die selbst dem Laien ettvas bedeuten. Unter ihnen verdient ein Wagen erwähnt Zu werden, dessen vier Sitze sich zu Zwei Schlafgelegen heiten zusammenklappen lassen. Ein Bekannter erzählte mir kürzlich von einer nächtlichen Autopartis ins Bois: wie sie ein Reh vor den Scheinwerfern austauchen sahen und wie romantisch überhaupt die Waldeinsamkeit war. In Zukunft wetden es die Romantiker weit bequemer haben und mit dem Genuß des Waldes auch noch den der Ruhestätte verbinden können. Und dann das fahrbare Woch-enendhäuschen, das sich an jeden Wagen anhängen läßt, vor ausgesetzt, daß man ihn besitzt. In dieser kleinsten Hütte fft nicht nur Raum für e i n glücklich liebend Paar nein, sogar ein zweites findet im Notfall Platz darin. Nur Sinclair Lewis vermöchte das Raffinement der Einrichtung gebührend zu würdigen: die aus- klappbaken Zeltteile, den Spirituskocher, den versenkbaren Boden und den ganzen Hausrat, der in dem Kasten steckt, obwohl er eigent lich nicht in ihn hineingeht. Es muß schön sein., so genau nach Zentimetern abgemessen zu nächtigen und dann einmal wieder in einem richtigen Hotelzimmer zu schlafen. Wer nach einem Kinobesuch ins Freie tritt, glaubt unwill kürlich, daß der Film sich draußen fortsetze und das ganze Getriebe künstlich sei. So mag es manchen beim Verlassen der Hallen ergehen. Die Straßen vor der Ausstellung find mit Autos vollgestopft, und alle diese Geb-muchsinsttumente gebärden sich jetzt so, als seien sie pure Schauobjekte und parkten nur, um betrachtet Zu werden. Kaum wage ich in ein Taxi einzusteigen. Vielleicht zeigt es plötzlich seine Kugellager oder zerlegt sich selbsttätig in zwei Hälften. S. Krakauer