nicht zu lösen vermag. Dieses Zugleich von Jugend und Alter, von blühenden Wangen und verblichenen Strähnen beunruhigt mich, es ist so etwas wie ein hölzernes Eisen, ein Phänomen, das nicht die geringste Wahrscheinlichkeit für sich hat und sich selbst widerspricht. Dennoch ist es wirklich; so wirklich wie die Stadt Paris. Auch Paris trägt die Zeichen des Alters Mf der Stirn. Aus den Poren seiner Häuser quellen Erinnerungen hervor, und immer wieder wäscht der Regen die Säulen der Madeleine, sodaß sie weiß sind wie Schnee. Das Weiß des Alters ist die Farbe der Stadt. Unter der Hülle aber lebt sie geschützt und ist frisch wie am ersten Tag. Man muß sie jetzt im Frühjahr gesehen haben, wie sie aus dem Morgendunst aufsteigt. Einem Schiff gleich schwimmt sie langsam davon und treibt in den blauen Himmel hinein, der sie lautlos umplätschert. Zurück. Heimfahrt. Gleich hinter Paris unterhalten sich zwel deutsche Herren über Patentschwirrigkeiten, der Ernst fängt schon wieder an. In ihre Geschäfte hinein blicht eine ältere geschmückte Dame aus dem Magdeburgischen, sie hat uns unverzüglich mitgeteilt, daß sie von Magdeburg ist. In Paris ist sie bei der Bakker gewesen, worunter sie die Josefine Baker versteht. Es kommt heraus, daß auch die Herren über den Patenten nicht das Vergnügen vernachlässigt haben. Zwei patente Herren, die Dame hat eine Tochter, ich lese einen Kriminalroman. Bei der Fahrt über den Rhein zeigt mir der Speisewagenkellner zahlreiche Kohlenschiffe, die sich untätig ausruhen: „Die Stinnesflotte — der ganze Betrieb liegt lahm." Ich spüre, daß wir in Deutschland sind, an der Front, und daß ich hier leben muß. In Hamm weckt mich ein dort zufällig eingestiegener Bekannter aus dem Schlaf. Wir geraten^ als hätten wir seit Monaten ununterbrochen miteinander geredet, sofort in eines jener Gespräche, die nicht anfangcn und nicht endigen können. Das deutsch-österreichische Ab, kommen, die Notverordnung, die Industriellen in Moskau —< von der politischen Aktualität ausschwärmend, verlieren wip uns in den sozialen Problemen, schon ist Hannover vorüber, aber die Not bleibt bei uns, und je weiter die Zeit fortschreitet, desto dringlicher wird die Frage nach Fundamenten unserer Gesellschaft gestellt. In solchen Gesprächen ist heute Deutsch land. Heerstraße — Charlottenburg — da ist unversebens Berlin zurückgekehrt. Langsam fahren wir in die nächtliche Stadt hinein, die mir drohender, zerrissener, gewaltiger, ver schlossener und vielversprechender erscheint als je zuvor. Kurz nach Mitternacht Bahnhof Zoo. Die Lichterserien um die Gedächtniskirche funkeln irrsinnig wie Aufbruchsignale. S. Krakauer. - Berliner Meöenemander. Berlin, im April. Die FremÄensais 6 n ist seit den Osterfeiertagen eröffnet. Der internationale Chirurgenkongreß hat eine Menge ausländi scher Gäste nach Berlin geführt, und schon sind als Vorboten kommender Ereignisse die ersten amerikanischen Industriellen, Prä sidenten und Vizepräsidenten emgetroffen. Ueberhaupt rechnet man mit einem starken InrporL von Millionären aus N. S. A. Wie es heißt, sollen die internationalen Reisebüros bereits große Buchungen für die deutschen Hotels vsrgemerkt haben. SÄ Das Berliner Arbeitsamt hat F o r t K i l d u n g s k u rse f ü r Arbeitslose eingeführt. So finden Nähkurse für junge Mäd chen und Frauen statt, stellungslose Kaufleute erhalten die Ge legenheit, sich im Maschinenschreiben, in Deutsch und im Rechnen -Zu vervollkommnen. Friseuren wird die Möglichkeit geboten, mit der Mode zu gehen, und. ausrangierte. Musiker können unter einem vom Arbeitsamt engagierten Kapellmeister weiter üben und proben. Eine produktive Hilfsleistung, die unter den gegen wärtigen Umständen viel für sich hat. Sie gibt nicht nur den Frei gesetzten einen gewissen Halt, sondern gestattet auch die besser Unterbringung mancher Kräfte. Man hofft in den Besitz der nötigen Mittel Zu kommen, um diese Fortbildungskurse noch mehr auszubauen. . Das seit langem durch einen riesigen Plakatzaun schamhaft ver deckte Gelände auf dem Potsdamer Platz soll endlich bebaut werden. Natürlich mit einem H o ch h a u s, das sich stolz Kolumbus-Haus nennt. Wir hahen^ auch bereits ein Europa-Haus am Anhalter - Bahnhof, die Hochhäuser tun es nicht unter Kontinenten und welt berühmten Personen. Der Kolumbus-Bau wird von Erich Mendel ssohn errichtet und erhält als besondere Spezialität ein frei aus ladendes Flugdach. Bald kommt man nicht mehr von unten in die Häuser herein, sondern von oben. In einer hiesigen Zeitung war der Entwurf abgebildet: eine Art von Bürösestung aus lauter Horizontalen, und dazwischen ist Glas, »ic Da wir bei der Monummtalkunst sind : die Umgestaltung der Schi Mischen Neuen Wache zum Ehrenmal iü in vollem Gang. Man glaubte seinerzeit, daß durch die Verwirklichung dieses Pro jekts der Plan eines Reichsehrenmals endgültig von der Bildfläche verschwände. Wie wir damals schrieben, hätte man umso leichter auf ihn verzichten können, „als die Schinkelsche Wache nicht nur ein lokales Architekturerzeugnis ist, sondern ein großes Werk deutscher Baukunst. Wird es den Gefallenen des Weltkriegs gswei'ht, so ehrt in ihm das ganze Reich seine Toren." Nun ist es doch anders gekommen. Die Reichsregierung hat die Errichtung eines Reichs ehrenmals in Berka beschlossen, und außerdem ein der Befreiung des Rheinlandes gewidmetes Ehrenmal am Rhein in Aussicht genommen. Wir werben also mit Ehrenmälern nicht leicht in Ver ¬ legenheit geraten. Vielleicht gelingt es Heer MehM,. außer W Erinnerung an den Krieg auch den Wderstand gegen -ihn wach« zuWten.. Glücksspiel e sind in Berlin immer noch sehr im Schwang. In den Seitenstraßen des Kurfür stendamms wird-„Meine Tante, deine'Tante" zu Umsätzen gespielt, deren Hohe allenfalls durch die Wirtschaftskrise eine gewisse Beeinträchtigung erfährt. Ausschweifen der soll es merkwürdigerm^ Norden der Stadt zu- gehew Dort besteht die Kundschaft aus Bäcker- und Schlächter Meistern, die sich solche Sensationen unschwer leisten können, und in der Nähe des Zentralvisbhofs verunstalten die Viehhändler sogar schon am Vormittag kleine Partien. Fliehen schon die Befferfituier- ten in abgelegene Glücksoasen, so kann man es dem abhängigen kleinen Mittelstand erst recht nicht verargen, daß er dem grauen Alltag entrinnen möchte. Die jetzt geschlossene Cafäba^ mit ihren bunten Panoramen, Zehnstühlen, lauschigen Kojen und erotischen Phantasmagorien war nur einer Insel der Seligen zu vergleichen, auf der es sich zahllose Angestellten^ für Abend wohl sein ließen. Sie wird Nachfolge finden, und gewiß ist, daß die Zunahme der Mechanisierung aller LebensfrrnkLionen automatisch zu einer Vermehrung der farbigen Prospekte in den Großstadtlokalen führen muß. Die ausgestoßenen Träume werden im Glücksspiel narkotisiert und wiegen sich in den Cafehauspalmen. Wir haben vor einiger Zeit an dieser Stelle den düsteren Ernst des neuen Berliner Nundfunk^uses zu beschreiben ver sucht. Ein Bon mot, das jetzt hier umläuft, hat ibn mit Blitz licht und Büchse getroffen. Die „S i n g - S ingakadew i e" — so Wirts das Haus an der Masurenallee m den beteiligten Kreisen genannt.