Soweit ich beurteilen kann, Rückständig ? ei L oder dre Verstocktheit der Branche. Während jede bessere Jndustriefirma heute weiß, daß Qualitätswaren den Gewinn er- bähen, und darum Fachmänner engagiert, die ihr diese Qualität be schaffen, verschmäht die Branche nach Möglichkeit jede fachmännische Beihilfe und setzt ihren Ehrgeiz darein, selber den Geschmacks richter Zu spielen. Um Zunächst.auf den Filmverleih einZu gehen, so maßt er sich Funktionen an, zu deren Erfüllung ihm notorisch die Voraussetzungen 'fehlen. Er hat nicht nur Asta Nielsen ignoriert und hält sich noch immer davor Zurück, ihre Arbeit finanziell zu fördern, er behauptet nach, sich in den Puölikumsbedürfmffen auszukennen, und beeinflußt auf Grund dieser vermeintlichen Erkenntnisse die gesamte Filmproduktwn. Wider solche dilettantischen Ambitionen wäre nicht das geringste Einzuwsnden, wenn sis große Erfolge zeitigten. Aber die Er fahrung lehrt, daß sie, von jenen Filmfabriken abgesehen, die wie: G r u n d f L tz l L ch e B e m e r k u n g § n. Berlin, im ApE Deutlich erinnere ich mich einer kleinen Szene aus einem Film von Asta N i e l s e n, der vor vielen Jahren gelaufen ist, damals, als die Kinos noch unscheinbarer kvaren und die Filme weit besser. Ich glaube, es ist der Film: „Absturz* gewes^ Vielleicht deckt sich mein Ermnernngsbild nicht ganz mit der Wirklichkeit, aber jeden falls sehe ich bis Nielsen mit unverminderter Schärfe, wie sie, eine Dirne, in ihrem Kämmerchen vor einem Spiegelscherben steht und sich betrachtet. Eben ist sie von ihrem jüngeren Geliebten verlassen worden, und nun erkennt sie, daß ihr Leben fortan leer verstreichen muß. Sie wird vor dem Spiegel und den Augen des Publikums plötzlich alt, noch viel älter, als sie im Film tatsächlich sein mag. Wodurch dieser unvermittelte, sichtbare Ueber- gang zustande gekommen ist: ob durch die veränderte Stellung der Mundwinkel oder durch eine Summe unmerklicher physiognomischer Wandlungen, weiß ich bis heute nicht. Genug, er ist ein Wunder der Darstellungskunst gewesen, das mir frisch inr Gedächtnis hastet und mich manchmal neu Überfälle DaS wird jetzt acht Fahre her sein. Inzwischen ist Asta Nielsen immer seltener im Film erschienen und seit drei Jahren üLer - Haupt nicht mehr aufgetreten. Hat sie aus freien Stücken dem Film abgesagt? Sie denkt nicht daran. Was also ist ge schehen? Man hätte keinen Anlaß, das Schicksal dieser außerordentlichen Künstlerin aus seiner, augenblicklichen Verborgenheit hcrvorZuZiehen, wenn es nur ein Sonderfall wäre. Aber es ist ein Schicksal, dessen Kurve nicht so sehr durch individuelle Eigentümlichkeiten als durch allgemeine Verhältnisse bestimmt wird. Eine bedeu tende EinzeleristenZ stößt mit der Filmbranche zusammen und wird von ihr ausgeschieden. (Auch Paul Wegeuer ist es nicht viel anders ergangen.) Da das Filmwesen eine öffentliche Angelegenheit ist, hat die Oeffentlichkeit ein Recht darauf, zu erfahren, wie Kämpfe mit solchem Abschluß möglich sind, , Die Tatsachen sind im einzelnen verwickelt, im großen gesehen ein fach. Nach jenem Film: „Absturz" verhänate der Filmverleih über Asta Nielsen eine Art von Boykott, der, wenn ick reckt unterrich tet bin, eigentlich nicht der Künstlerin selber galt, sondern der In dustrie, die erKärt hatte, daß die hohen Leihgebühren der Filme auf die hohen SLorgagen Zuxückzusthrkn seien. Es bedürfte einer aus führlichen Schilderung, um darzulegen, daß Asta Nielsen nur durch cm Mißverständnis in den Verdacht ungebührlicher Geldforderungen geriet, die, nebenbei bemerkt, immer noch nicht den Vergleich mit den heutigen Sürrbezügen aushielten. So lohnend diese Schilderung wäre, die bei manchen Details besonders liebevoll zu verweilen hätte — ich muß auf sie im Interesse der grundsätzlichen Anmer kungen verzichten —, der Boyrott dauerte ein paar Jahre an, nach deren Ablauf wieder verschiedene Filme mit Asta Nielsen inszeniert wurden: ,MrneniraaM „KtMstMsünder", „Das gefährliche Alter" und „Gehetzte Frauen". Die Zwei letzten Filme waren nun- derwerügL Machwerke und brachten nichts ein; woraus die Branche wohl den falschen Schluß zog, daß mit der Künstlerin keine Ge schäfte zu machen seien. (Wenn man überall nach diesem Rezept vorginge, müßten noch manche Darsteller nur darum von der Lein wand verschwinden, weil sie einmal das Unglück hatten, im Mittel punkt schlechter Filme Zu stehen, die zum Glück ein Mißerfolg waren.) Fest steht jedenfalls, daß sich in der Folgezeit der Verleih und die Herstellerfirmen — diese aus.bestimmten, gleich zu erörtern den Gründen — sprsd gegenüber Frau Nielsen verhielten. Die spär lichen Angebote, mit denen man doch noch an siecheranftat, betrafen Stücke, die'sie nicht gutheißen konnte, und unwichtige Episoden rollen, die ihrer nicht würdig waren. Ich Ltzabfichtiae . nicht, mich ins Dickicht der kleineren und kleinsten Tatsachen zu verirren. Worum es hier geht, ist einzig und allein dies: daß die Filmbranche es fertig gebracht hat, eins Darstellerin vom Range Asta Nielsens Leiseite Zu schaffen. Das ist nicht ein trauriges EinzelereigniZ, das ist ein Zeichen des all gemein-» Niedergangs. * Jch will mit dem Hinweis auf das Dilemma, in dem sich Hocke befindet, keineswegs das große Verdienst schmälern, das sich Döblin mit seinem Buch erworben hat. Das Verdienst, von einem ent scheidenden Punkt aus in eine Debatte eingegriffen Zu haben, die bei uns seit langem unter der Oberfläche schwelt. Es geht in ihr um die Ortsbestimmung der deutschen Jntelttgenzschicht. Wohin gehört sie, wo ist sie zu Hause oder nicht zu Haufe'? Döblin hat zum mindesten ihre fragwürdige Zwischen^ klar fixiert. Das ist wichtig genug; denn weder wissen zahllose Intellektuelle um ihre soziale Situation Bescheid, noch gelingt es ihnen, sich der Verführungen M von verschiedenen Seiten her . drohen. Piele verschreib sich blind „der Reaktion, manch- bringen bei 'ihrem- UebetgMrg M Arbeiterbewegung das schädliche Opfer stichhaltiger Erkenntnisse, und dann sind da noch die Hockes, die überhaupt nicht ahnen, WM eigentlich los ist. Fast alle, die sich hier-oder dort einreihen, sind Flüchtlinge und müssen das schlechte Gewissen in sich ersticken. Indem Döblin sie nicht nur auf den ihnen zukommenden Platz stellen, sondern ihnen auch das gute Gewissen -zurückgeben will, unternimmt er freilich zu viel; wie die Schwierig keiten zeigen, mdie er Hocke verwickelt. Ja, es ist sogar zu be fürchten, daß er, der eigenen Absicht zuwider, durch die Art seiner . positiven Zielsetzung der von ihm aufgerufenen Intelligenz eine Ideologie liefert, die sie dazu befähigt, im Namen des Sozialismus. sich nicht um den Sozialismus zu kümmern; daß er unfreiwillig mehr die RomaM fördert und nicht so sehr dir Selbstbesinnung aktiviert als die Besirmlichkeit weckt. Wie die Zage heute ist, scheinen mir s^ wenigstens möglich. Um sie von vornherein aus dem Weg zu räumen, muß als der wesentliche Gewinn des Döblinschen Buches festgehalten werden: daß es endlich unserer Intelligenz den Ort zwischen zwei großen Fronten sichtbar macht, an dem sie tatsächlich sich auMlt. Was soll sie tun? Hierüber vielleicht Klarheit zu schaffen, bleibt dem Dauergespräch Vorbehalten, das nun zu beginnen und an Döblin anAuknüpftzn haben wird. von allen, guten Geistern verW OefftznLttchke.it ge ¬ worden - ist. Kurzum, ich kann mit dem besten Willen.nicht er kennen, wie durch die Maßnahmen, die- Döblin vorschlägt, dem Sozialismus auf die Beine zu helfen ist. So sehr ich begreife, daß er dem Studenten ab rät, sich "einfach und unnachdenklich mn den blankradikalem Intellektuellen zu vermischen (die er an einer Stelle nicht unzutreffend als „rachsüchtige Bürger" bezeichnet), so wenig verstehe ich, daß er den umgeschaffenen Hocke ganz aus der Oeffentlichkeit herauslotfeu und vor den fruchtbaren Schwierig keiten bewahren möchte, die das problematische Verhältnis zwischen, ihm und den Ärbeitercheoretikern Zweifell sich brächte. Hier Zieht, sich Döblin entschieden Zu weit Zurück, hier verlangt er den Abbruch der realen Dialektik, in- die doch, gerade von ihm. aus gesehen, die Intellektuellen eintreten müßten, mn sich an den: ihnen zubestimmten Platz aktiv Zu betät^ „neben derArbeiterschaft" sein; aber das undialektische DaneLeu ist aller Vowussicht nach gar nicht zu realisieren. Jedenfalls besteht die Gefahr, daß d^ Hocke viel mehr auf He, Vervollkommn^ seiner Privatperson als auf die Verwirklichung allgemeiner menschlicher Veränderungen zu achten beginnt. Es fehlen ihm ja auch die Handhaben dazm Und während er und seine Freunde die Oeffentlichkeit abbauen -- auch diese Gefahr ist keineswegs zu unterschätzen—, -dauert sitz ununterbrochen fort rmd wird- um so ungehemmter Finsteres ausbrüten. Also noch einmal: was soll, was kann Hocke unter den Hm gestellteu Bedingungen für den Sozialismus tun? Ich weiß es. nicht, klebrig bleibt ihm: den „Sozialismus wieder als ,Utopie herzustellen, als reine Kraft, Element in uns...", wie Döblin sagt, um dann gleich forizufahren: „feine Verwirklichung oder die Annäherung an ihn mit neuen Mitteln zu versuchen." Das genau wäre allerdings die vertrackte Aufgabe, die Hocke zu bewältigen hätte, aber nicht lösen kann.