In der Unterwelt scheint es lustiger zuzugehen als in der Untergrundbahn. Eine polizeiliche Razzia hat bekanntlich vor einigen Lagen das zehnjährige Stiftungsfest des berühmten Ring vereins „Jmmertreu" heimgesucht, ohne dah es ihr gelungen wäre, die Fröhlichkeil empfindlich zu dämpfen. Im Gegenteil: nach den Berichten Zu schließen, ist die offenbar erwartete Ueberraschung beinahe ein Punkt des Abendprogramms gewesen. Jedenfalls hat der eigentliche Festakt trotz des Einbruchs der Schupo pünktlich zur festgesetzten Stunde begonnen. Elf gold- und silbergestickte seidene Banner sind von Herren in Frack und Smoking feierlich durch den Saal getragen worden, und der Bruderverein „Heimatklänge" hat während dieser Prozession Mozarts Weihe des Gesangs angestimmL. Danach wieder Tanz, Tombola, Wein und die Damen, in großer Abendtoilette. Wenn der normale Bürger solche Veranstaltungen in Filmen sieht, hält er sie für erlogen. Die Wirklichkeit ist den Kolportageromanen immer um mehrere Nasenlängen voraus.. Die Ringvereine rekrutieren sich zum Teil aus gewissen wil den Jugend cliquen, mit deren Sitten und Gebräuchen sich die Öffentlichkeit neuerdings beschäftigt. Ueberhaupt ist das warme Wetter den Halbwüchsigen in die Glieder gefahren. In der Beussel- straße fand unlängst eine Schlacht zwischen vierhundert Jugend lichen statt, die mit Gummischläuchen, Stöcken, Riemen und Holz knüppeln ausgefochten wurde, Verkehrsstockungen hervorrief und zum Eingreifen des Überfallkommandos führte. Die Abschaffung des Krieges scheint doch nicht so einfach zu sein. Was nun die wilden Cliquen im besonderen betrifft, so haben sie dieser Tage ihr erstes Frühjahrsmeeting gehabt, bei dem es sich unter anderem um wichtige Fragen der Führerschaft gehandelt haben soll. Die Cliquen zählen, wie ich einer Zeitungsmitteilung entnehme, etwa 4000 Mitglieder. 80 Prozent sind unpolitisch eingestellt, 5 Prozent rechtspolitisch und die übrigen linksradikal. Ihre Namen lauten: Modderkrebs, Tatarenblut, Nordpiraten, Schwarze Flagge, Apachen, Langes Messer usw. Abenteuerlust paart sich mit Räuber romantik, Jndianerwälder verschmelzen mit schnurgraden Groß stadtstraßen, Kneipen und Hinterhöfen. Daß die Unruhe so leicht ins Kriminelle umschlägt, daran sind zweifellos die allgemeinen Verhältnisse schuld, die eine Menge Jugendlicher freigesetzt haben« S- Kracauer. Musiker sind in einer schwierigen Lage. Statt in allen Kinos leibhaft angetrofsen zu werden, sieht und hört man jetzt nur noch einen Bruchteil von ihnen in den Tonfilmen, die alle Kinos durchlaufen. Der seinerzeit von mir besprochene Film: „Gassen- hauer^ des verstorbenen Regisseurs Lupu Pick hat bereits eine Methode veranschaulich, nach der sich junge Musiker heute ihren Unterhalt zu verdienen suchen. Dilettierende Studenten oder Geigenspieler ohne Stellung: sie gehen gruppenweise auf die Straße und produzieren sich in den Höfen. Von einem Impre sario entdeckt und die hochbezahlte Glanznummer eines groß städtischen Kabaretts zu werden, dieses dagxv enä des Films bleibt ihnen das Leben allerdings schuldig. Da die Kunst nach Brot geht, wird sich durch die Rationalisierung auf musikalischem Gebiet die Zahl der ausübenden Musiker zwangsläufig verklei nern. Das muß nicht Zum Schaden der Kunst sein. Trotz der Krise, aber sicher im Zusammenhang mit der Not wendigkeit wirtschaftlicher Zentralisation werden außer den hier schon erwähnten Bauten immer mehr Hochhäuser in Angriff genommen oder projektiert. So entsteht in der Gegend des Alexanderplatzes eine ganze Hochhauskolonie; darunter das Bero- lina-Haus und das neue Hochhaus des Karstadt-Konzerns. Die Arbeiterbank und die Gewerkschaft der Transportarbeiter werden Gebäude beziehen, die man wirklich nicht mehr Heime nennen kann. Am Kleistpark mag, wer will, vom 14. Stockwerk herabblicken, am Oranienplatz bald vom 12. Das Shell-Haus im alten Westen nähert, sich der Vollendung. Ein Teil dieser Riesenbauten soll nebenher noch Restaurationsbetriebe, Mefferäume, Autoläden usw. auf nehmen. Die Dachgärten sind für die Angestellten vorgesehen. Dort oben können sie sich erholen, Gymnastik treiben und in den Arbeits pausen auf die Bürowelt Herabschauen, die sie wahrend der Arbeit verschlingt. So.lche Entspannungsgelegenheiten gehören vielleicht schon zur „Bürokultur", von der man jetzt zu sprechen beginnt. Hoffentlich dringt sie von den Dächern durch die 14 Stockwerke bis zum Kellergeschoß herunter. Das der ArbeiterLank wird übrigens eine 140 Quadratmeter große Tresoranlage enthalten. * Dürfen die Hochhäuser nach oben schießen, so ist den Bäu men verwehrt, in den Himmel Zu wachsen. Die zwei Baumreihen in der Mitte des K u r fü rst e n d a m m s sind abgeholzt worden. Man wird durch ihre Beseitigung mehr Platz für den Autoverkehr WMmnen. So gewichtig diese technischen Erfordernisse sein mögen — die Liquidierung des Grüns ist ein Jammer. Per im Früh ling über den Kurfürstendamm ging, war schon halb in der Sommerfrische. Er sah nicht Wände noch Dächer, er lustwandelte durch eine Wipfelallee, die eher an den Strand eines Weltbades führte als Zur Gedächtniskirche oder nach Halenfee. Nun kommen auf Schritt und Tritt Monumentalportale, Balköne und Karya tiden hervor, und wo sie abgehauen sind, dort spürt man noch hinter glatten Fassaden die wilhelminische Ornamentik. Der Kur fürstendamm ist im Begriff, eine breite Ausfallstraße Zu werden, in der nicht einmal dje Geschäfte florieren. Mit der Niederlegung von Bäumen ist es.leider nicht immer ge tan. Was kann etwa gegen die Ueberfüllung der Untergrund bahnen in den Hauptverkehrszeiten geschehen? Ein hiesiger Berliner Nebeneinander. Berlin, Anfang Mai. In der letzten Zeit haben mehrere Vergnügungslokale ge schlossen: so das Palais am Zoo, Wien-Berlin und das Palais 6s 6LN86. Andere Lokale, deren Inhaber ' Lei dem geringeren Umsatz im Sommer nicht noch wehr zulegen wollen oder können, wevden folgen. Daß die Krise in der Vergnügungs - Industrie nur eine Leilerscheinung der allgemeinen Wirt schaftskrise ist, duldet keinen Zweifel. Sollte die Verdoppelung der Biersteuer durchgehen, so vergrößert sich noch der Druck und wird für eine weitere Anzahl von Betrieben unerträglich werden. , Veränderte ökonomische Bedingungen andern die Physiognomie der Stadt. Mit den Chancen für die Zerstreuung suchende Bevölkerung verringern sich auch die für die Zerstreuenden. Vor allem die RkchtsanwalL hat sich jüngst, einer Blättermeldung zufolge, an den Polizeipräsidenten gewandt und ihn auf die Gefahren hingewresen, die aus diesen schlechten Verkehrsverhältnissen entstehen. Man hat ihm erwidert, daß eine weitere Verstärkung des Zugumlaufs nicht gerechtfertigt sei und mit dem Eintritt der wärmeren Jahreszeit der Verkehr auf der Untergrundbahn von selbst Zurückgehen werde Ge wiß; aber auf den Sommer folgt wieder die kältere Jahreszeit, und die Fahrt in den übervollen Wagen ist in der Tat eine Folter. Vor allem f - ür die geplagten erwerbstätigen Men cm sch n en, die 5 h ^ ie — r ta ^ g- agl-ch mehrmals M einer undeftmerbaren Mäste . zu . sammen.e- schweißt werden. ->e Zuge verkehren nicht allzuoft, lasten ncy den Stationen rerchuch Zeit, und es kann nicht jeder zu den Auserwählten zahlen, denen die Eroberung eines Sitzplatzes ge lungen ist. Wahrscheinlich kommen sie von weit her; von Pankow oder vom Reichskanzlerplatz.