erhebend wären, wage ich nicht zu behaupten. Im Gegenteil, die Komposition eines Jüngsten Gerichts weckt Sehnsucht nach dem Paradies kahler Wände, und ein zu kurz geratener Mann im Bade mantel erregt nur die Begierde, ihn ein für allemal abzuwaschen. Hohlplastiken lassen sich leider schwerer beseitigen. Vielleicht aus dem Bedürfnis heraus, sich den schlimmen Zeitläuften anzupaffen, erscheinen die meisten gemalten Figuren gleich in zerstückeltem Zu stand. Entweder werden sie durch ein Sieb von Quadraten ge quetscht, oder sie verwickeln sich zu einem ornamentalen Ereignis, das undurchsichtig ist wie eine Bilanz. Manchmal gebärden sie sich wenigstens normal, aber dann kommt hinterher wieder eine Webe arbeit — vor diesem Webestück hörte ich eine Schulklaffe herzlich lachen. Es stellt eine dicke Mama mit einem Bündel von Kind dar, und die Gesichter der beiden sind wie aus Streichhölzern zusammengesetzt. Das Lachen wiederholte sich und klang mir noch nach, als ich schon längst zwischen Betonkonstruktionen verweilte, die sich schlechterdings nicht anschmieren lassen. Eigenheime. Der Liliputbahn im Freigelände entsprechen die Eigenheime — winzige Dinger, in die man aber bequem hineinschlüpfen kann. Sie sitzen wie angegossen und enthalten auch für Minderbemittelte den statistisch notwendigen Raum zum Atmen und Leben. Eine Puppenküche ist darin, ein Schlafzimmerchen zum Ablegen der müden Glieder, eine Wohnstube und eine Veranda, die für eine große Kaffeekanne mit mehreren Tassen reicht. Daß die verschie denen Räumlichkeiten sich nicht gegenseitig die Quadratzentimeter streitig machen, ist entschieden ein Werk'der Zauberei. Ich weiß überhaupt nicht, woher es rührt, aber die Häuschen sehen alle so aus wie Prospekte ihrer selbst. Es ist, als sei um sie herum immer schönes Wetter, und die Käufer erhielten die Sonne gewissermaßen gratis dazu. Und leuchtet sie draußen nicht, so scheint sie zweifellos desto strahlender in den Herzen, und die Hausfrau waltet wie ein Eigenheimchen am Herd. Denn entstünde je ein Familienstreit in den Stübchen: die Wände bögen sich krachend auseinander und dlH Paar Kubikmeter verflüchtigten sich in den leeren Raum. j Kupfer. Das Kupferhaus glänzt schon von weitem. Es ist nicht unge« fährlich, sich ihm bei starkem Sonnenlicht zu nähern, da sein« Fassaden schrecklich funkeln und blitzen. Ein völlig mechanisches Kunstgeschöpf, das in einer Autoladung am- Bauplatz eintrifft und dort binnen 24 Stunden ausgestellt werden kann. Die Wände sind abwaschbar und innen mit Stahl verkleidet. Der technischen Hen richtung Widerstreiten freilich die hausbackenen Formen, die der früheren Villenbauweise entlehnt sind. Wie auf gewöhnlichen Backs, steinmauern sitzt oben ein Satteldach, und in den Zimmern glaubt man sich zwischen Lincrustatapeten zu befinden. Wer in Kupfer wohnt, will aber lieber an einen blanken Kessel erinnert werden als an Vorortshäuser mit guten Stuben. Die vorurteilslose Archiv tektur, nach der eine solche metallische Unterkunft verlangt, wär« unbedingt durch ein mit Zinkblech belegtes Gärtchen zu ergänzen, in dem Bleibäume blühen müßten, die niemals verwelken. Stahl. Die Not, die Eisen Lricht, scheint Stahl zu gckären. Wohin man nur blickt, überall stehen Stahlstühle bereit, und der Eindruck vertieft sich, daß das Holzzeitalter endgültig vorbei ist. Ich sehne mich angesichts der ausgezehrten Stuhlgerippe nach ihm zurück. Mögen sie immerhin den Gesetzen der Statik genügen: ihre Schwingungen sind mir verdächtig, und ihre Schlankheit paßt nicht recht zu der Fülle des Körperteils, der mit ihnen die regsten Be ziehungen unterhält. Es ist, als würden sie nicht von den Menschen selber, sondern von ihren Röntgenbildern zum Sitzen benutzt. Manche von ihnen beschreiben so kühne Schnörkel, als seien sie Tänzer, andere benehmen sich kleinbürgerlich und genormt. Wahr* scheinlich halten sie bald ihren Einzug, in die Drei- und Vier zimmerwohnungen, die dann ein Stahlbad sein werden wie einst der Krieg. S. Krakauer. Sozialistische Städte. Zu einem Vortrag von Ernst May. Berlin, im Zum. Im überfüllten Saal des Herrenhauses hielt Ernst May am Freitag abend einen vom internationalen Kongreß für Neues Bauen verunstalteten Vortrag über den Bau neuer Städte i n S 0 w j e L r u ß l a n d. Er ist gerade aus Moskau zurückgekehrt und wird seinen Urlaub in Deutschland verbringen. Unsere Leser find durch Mays eigene Aufsätze bereits über die gewaltigen Auf gaben unterrichtet, die er mit dem Stab seiner Mitarbeiter in Rußland zu lösen hat. Ich begnüge mich also mit der Wiedergabe der Leitgedanken, die er in seinem außerordentlich lehrreichen Vor- trag umriß. Vorauszuschicken bleiben nur einige unmittelbare Ein drücke. Vor allein der, daß May mit großer Kühnheit und Folge richtigkeit aus den politischen Grundsätzen die städtebaulichen ent wickelt. Ferner der: daß er über die nötige Stoßkraft verfügt, um das Erkannte in der Wirklichkeit durchzusetzen. Die Erfahrungen, die ihm seine einzigartige Praxis zusührt, werden auch Deutschland später zugute kommen. Trennung der Industrie- und Wohngebiete, zweckmäßige Ver kehrsregelung und Einschaltung der erforderlichen Grünflächen: diese elementaren Richtlinien des kapitalistischen Städtebaus gelten selbstverständlich auch für den sozialistischen. Bei ihrer Anwendung beginnen sich aber sofort die Unterschiede fühlbar zu machen. So sind die städtebaulichen Projekte in Rußland nicht mehr an die Bodenpreise oder den Markt geknüpft, sondern hängen allein von der Lage der ProduktionsstätLen, sozialhygiemschen Erwägungen und der recht verstandenen Wirtschaftlichkeit ab. Dann wird in Uebereinstimmung mit dem Fünfjahresplan, der eine Dezen tral i sa L ro n der Bevölke r u n g vsrsieht, prinzipiell 'davon Abstaud genommen, neue Großstädte, das heißt Städte von über 150 000 Einwohnern, zu errichten. Eine von Lenin gebotene Be schränkung, die im Interesse der Beseitigung dörflicher Einsamkeit erfolgt. Sie geht auf das Kommunistische Manifest zurück, das nachdrücklich die Aufhebung des Unterschiedes von Stadt und Land verlangt. Zwei Stadtitzpen werden in der Hauptsache ausgeführt. Einmal die Band-Stadt. Dort, wo sie überhaupt in Betracht kommt, Läuft sie hinter einer Grünfläche parallel mit dem jeweiligen Industrie-Kombinat, in dem die Arbeit am fließenden Band erfolgt. Durch diese Anordnung'wird der Einwohnerschaft ein kurzer und gleichmäßiger Arbeitsweg zur Fabrik gewährleistet. Zum andern baut man T ra ba n t e n -S tä d ts, die sich satellitenartig um das Kulturzentrum gruppieren und vor den Band-Städten den Vorteil haben, immer erweiterungsfähig Zu sein. May hat diesen Zweiten Typus auch für Moskau in Vorschlag gebracht. Die Gliederung der Siadt ergibt sich aus der kommunistischen Grundthese, nach der alle menschlichen Arbeitskräfte in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen sind. Diese Maxime enthält die Forde rung der Frauenarbeit, deren Verwirklichung wiederum die Uebernahme der Kindererziehung und der Er nährung durch die öffentliche Hand zur Folge haben muß. Es ist darum nur konsequent, daß beim Entwurf der neuen Städte besondere Rücksicht auf die praktische Anordnung und die genügende Zahl von Krippen, Kindergärten und Schulen ge ¬ nommen wird. Ost liegen sie auf den 200 bis 250 Meter breiten, auch Zu DemonstraüonsZwecken bestimmten Grünflächen Zwischen den Häuserblocks. Sorge getragen wird ferner gleich von vornherein dafür, daß jedes „Quartal" — d. L. ein Wohnbezirk, der ungefähr 8000 bis 10 000 Menschen umfaßt — seine Küchen und Speise anstalten erhält. Sie werden meistens durch das Ernährungs Kombinat der Stadt mit Halbfabrikaten beliefert. Außer den an einem hervorragenden Punkt gelegenen Kultur- und Verwal tungsgebäuden, die der Gesamtheit dienen, sind noch den einzelnen Bezirken Klubs zuaeteilt. Die Hochschulen rücken, ganz im Gegen satz zu den in kapitalistischen Ländern verbreiteten Tendenzen, mög lichst dicht an die Fabrik heran, damit das Bedürfnis nach Absonde rung gar nicht erst aufkommen kann.