Das Kennzeichen des philosophischen Hundes ist, daß er rastlos nach dem Unerftagbaren fragt. Die Antwort der Mit- hunde ist: Schweigen. Dieses hartnäckige Schweigen über die „entscheidenden Dinge", das sich stets von neuem wie ein Wall vor ihm aufrichtet, gehört zu den bitteren Grunderfah rungen, die das kleine Häufchen der echten Frager von jeher herauszuschlüpfen! Den Türen fehlt der Schlüssel, und Löcher, die etwa entstehen, werden gleich wieder vermauert. „Leopar den brechen in den Tempel ein und saufen die Opferkrüge leer; das wiederholt sich immer wieder; schließlich kann man es vorausberechnen, und es wird ein Teil der Zeremonie." Der philosophische Hund bekennt einmal, daß er vor einem Gelehrten auch in der leichtesten wissenschaftlichen Prüfung sehr schlecht bestehen würde. Nicht aus Schwäche des Denkvermögens, sondern aus einem Instinkt, Hessen Richtung wie folgt bestimmt wird: „Es war der Instinkt, der mich vielleicht gerade um der Wissenschaft willen, aber einer anderen Wissenschaft, als sie . heute geübt wird, einer aller letzten Wissenschaft, die Freiheit höher schätzen ließ als alles andere." Diese Erklärung erweitert die früheren, besagt sie doch, daß es eine allerletzte Wissenschaft gibt, die möglicher weise in Freiheit zu erwerben sei. Also ist unsere Welt ein Ort der Unfreiheit, und wir schuften an einem Gebäude, das uns den Ausblick verbaut. Es ließe sich denken, daß Kafka bei der Beschreibung der Maulwurfshöhle jene menschlichen Organisationen vorgeschwebt hätten, deren Triumphe Schützen gräben, Drahtverhaue und weitverzweigte Finänzprojekte sind. Sein Bewußtsein, sich in der Gefangenschaft zu befinden, wird durch Ahnungen vom Zustand der Freiheit vertieft, in dem die Lehren der allerletzten Wissenschaft hervortreten können. Beinahe das Gegenteil eines Fortschrittgläubigen, verlegt er ihn oder doch die Möglichkeit, seiner teilhaftig zu werden, irr die Vergangenheit. Frühere Generationen, bemerkt der Erzähler in den „Forschungen eines Hundes", waren jünger, „ihr Gedächtnis war noch nicht so überlastet wie das heutige, es war noch leichter, sie zum Sprechen zu bringen, und wenn es auch niemand gelungen ist, die Möglichkeit war größer "^das wahre Wort hatte damals noch eingreifen, den Bau bestimmen, umstämM jedem Wunsche ändern, in sein Gegenteil verkehren können, und jenes Wort war da, war zumindest nahe, schwebte auf der Zungenspitze, jeder konnte es erfahren..." Am die eine Erkenntnis: daß wir vom wahren Wort abgesperrt sind, das auch er nicht vernimmt, kreist das ganze Werk Kafkas, und sie erst begründet auch zureichend das Gleichnis vom finstern Bau. Woher rührt es, daß seine damals dünneren Wände so undurchlässig geworden sind? Die Antwort beweist, daß Kafkas Rückschau unromantisch gemeint ist. „Nein, was ich auch gegen meine Zeit einzuwenden habe," versichert der forschende Hund, „die früheren Gene rationen waren nicht besser als die neueren, ja in gewissem Sinn waren sie viel, schlechter und schwächer." Die Haltung, die sich in dieser Aeußerung kundgibt, entkleidet die an schließende Legende vom Fehltritt der Ahnen des Scheins 'dex Sehnsucht nach dem Gewesenen. „Als unsere Urväter -H irrten, dachten Sie wohl kaum an ein endloses Irren, sie sähen ja förmlich noch den Kreuzweg, es war leicht, wann immer zurückzukehren, und wenn sie zurückzukehren zögerten, so nur deshalb, weil sie noch eine kurze Zeit sich des Hunde lebens freuen wollten..." Der hier erhobene Vorwurf der Lässigkeit —- sie gilt Kafka als eine Hauptsünde — wird auch in der kleinen Geschichte „Das Stadtwappen" den Erbauern des Babelturms gemacht, die im Vertrauen auf die Fort schritte der Nachkommen sich nicht bis an die Grenze der Kräfte bemüht hätten. Immerhin — das ist wichtig genug —° belastet Kafka mehr als den Hinweis auf das Vorhandensein einer alten Versäumnis die Erinnerung an den Verlust des währen Worts. Sie ist ein Leitmotiv, das immer wiederkehrt: so in der Legende vom sterbenden Kaiser, der dir, gerade dir eine Botschaft gesendet hat, die dich niemals erreicht; im Traktat „Zur Frage der Gesetze", in dem es von den Gesetzen Heißt, daß sie ihrem Charakter nach ein Geheimnis bleiben müßten; iw Bild von der monumentalen Gruppe, deren Teil er> Kafka, früher einmal war. Indem der Dichter das Ver lorene heraufbeschwört, rückt er es zugleich in eine unwirkliche Ferne, wie um darzutun, daß kaum noch der Traum von ihm einen Zufluchtsort hat. Der Bote des Kaisers bemüht sich umsonst, auch nur die innersten Palastgemächer zu verlassen, und das Volk weiß nicht, ob die geheimgehaltenen Gesetze, die es zu erraten sucht, überhaupt bestehen. Und in der merk würdigen Niederschrift „Der Schlag ans Fwftor" ist zwar die Wirkung des Schlags, der wahrscheinlich gar nicht getan wurde, daß sich , das Hoftor weit öffnet, aber nichts entfährt ihm, es sei denn ein Reitertrupp, der nur hineingesprengt ist, um sofort wieder zu wenden. Unter dem Titel „Beim Bau der chinesischen Mauer" ist ein Band Prosa erschienen, der ungedruckte Ar beiten aus dem Nachlaß von Franz Kafka vereint. (Gustav Kiepenheuer, Berlin. 266 Seiten.) Max Brod, der Freund des Toten und Hüter seines Erbes, hat in Gemein schaft mit Hans Joachim Schoeps dieses Werk zusammsn- gestellt. Dem Nachwort der beiden Herausgeber, dessen Deu tungsversuche nicht durchaus zulänglich sind, ist Zu entnehmen, daß sämtliche vorgelegten Erzählungsfragmente und Aphoris men aus der Spätzeit des 1924 verstorbenen Dichters stammen. Sie sind in den Jahren des Kriegs, der Revolution und der Inflation niedergeschrieben. Obwohl sich kein einziges Wort im ganzen Band unmittelbar auf diese Ereignisse bezieht, ge hören sie doch zu seinen Voraussetzungen. Vielleicht hat erst ihr Einbruch Kafka dazu befähigt, die Verwirrung in der Welt zu ermessen und auszukonstruieren. „Es kann ein Wissen vom Teuflischen geben", lautet ein Aphorismus, „aber keinen Glauben daran, denn mehr Teuflisches, als da ist, gibt es nicht." . * Ost kehrt das Bild des Baues in den Schriften wieder, und Zwar ist seine Hauptabsicht, das Trachten der abgelenkten und verwirrten Menschen zu bezeichnen. „Sehe ich die -Funda mente unseres Lebens," erwägt in „Forschungen eines Hun des" der Erzähler, ein philosophisch außerordentlich begabtes Tier, mit dem sich Kafka auf lange Strecken hin identifiziert, „ahne ihre Tiefe, sehe die Arbeiter beim Bau, bei ihrem finsteren Werk und erwarte noch immer, daß auf meine Fragen hin alles dies beendigt, zerstört, verlassen wird?" In der Tat, finster ist der Bau, den eine Generation nach der anderen er ¬ richtet. Finster aber darum, weil er eine Sicherheit gewähr leisten soll, die für Menschen nicht zu erlangen ist. Je syste- - matischer sie ihn anlegen, desto weniger können sie in ihm atmen, je lückenloser sie ihn aufzuführen streben, desto unver meidlicher wird er zum Kerker. Einem Alpdruck gleich wächst er in der Geschichte „Der Bau" empor. In ihr berichtet ein unbenanntes Tier, das ein Maulwurf oder ein Hamster sein mag, von dem Höhlenbau, den es aus Angst vor dem Einfall aller erdenklichen Gewalten geschaffen hat. Da diese Angst auch jene Unsicherheiten ausschalten will, die mit dem krea- türlichen Dasein selber gegeben sind, ist der Bau ein Werk der Verblendung. Nicht umsonst entfalten sich seine labyrinthischen Gänge und Plätze in unterirdischer Nacht. Bei ihrer Dar stellung, deren Klarheit die des Wachtraums ist, legt Kafka ein besonderes Gewicht darauf, die Wechselbeziehuna zwischen der hoffnungslosen Angst und den ausgeklügelten Feinheiten des baulichen Systems nachzuweisen. Wie dieses das Produkt der Sorge ist, die sich um verwerfliche Selbstbehauptung müht, so erzeugt es seinerseits wiederum Sorge — eine stets bedroh lichere Verstrickung, die allmählich die Handlungsfreiheit des Tieres tilgt. Unter Tausenden von Vorsichtsmaßregeln wagt es sich aus der Höhle heraus, und die Rückkehr von der all täglichen Promenade verwandelt sich ihm in ein ungewöhn liches Unternehmen. Zuletzt enthüllt sich überdies die Vergeb- lichkeit des Baues; denn so guter gegen das Kleinzeug schützt, das die Erde durchwühlt, dem wirklichen Feind kann er nicht widerstehen, ja er zieht ihn vielleicht erst herbei.- Die Maß nahmen der Existenzangst gefährden die Existenz. Als einen Bau, der allerdings nicht eigentlich der Angst, sondern eher der Verwirrung entspringt, begreift Kafka un ¬ streitig auch die Wissenschaft; insofern wenigstens, als sie be stimmte Grenzen überschreitet. Im Prosastück „Der Riesen maulwurf" konfrontiert er ihr dunkles unabsehbares Gesamt- gebäude mit der gleichgültigen Entdeckung eines Dorfschul- lehrers. Birgt diese unter allen Umständen einen Gehalt, weil und solange sie unzertrennlich mit ihrem Entdecker verknüpft ist, so läßt jenes, das sich schwindelnd hochtürmt, die Menschen im Stich. „Jede Entdeckung", heißt es in der Maulwurf-Er zählung, „wird gleich in die Gesamtheit der Wissenschaften ge leitet und hört damit gewissermaßen auf, Entdeckung zu sein, sie geht im ganzen auf und verschwindet, man muß schon einen wissenschaftlich geschulten Blick haben, um sie dann noch zu erkennen. Sie wird gleich an Leitsätze geknüpft, von deren Dasein wir noch gar nicht gehört haben, und im wissenschaft lichen Streit wird sie an diesen Leitsätzen bis in die Wolken hinaufgerissM Wie wollen wir das begreifen?" Und ähnlich wird in den „Forschungen des Hundes" von der Wissen schaft der Ernährung gesagt, daß sie „in ihren ungeheueren Ausmaßen nicht nur über die Fassungskraft des einzelnen, sondern über jene aller Gelehrten insgesamt geht . . Wie die tierische Angst im selbstgeschaffenen Labyrinth verendet, so verliert sich der Geist in den Ausschweifungen der Wissenschaft. Die Arbeiter beim Bau: Kafka erblickt sie überall. Sie hämmern und klopfen, und ihr Mauerwerk ist so dicht, daß Von S. Krakauer.