Im die und trotz ihrer Größe so zierlich wirken, als seien sie perspektivisch ver kürzt. Sie sind in maurischen Formen gehalten, nach Art eng lischer Landschlösser ausgebildet, oder auch von vornherein im bürgerlichen Geschmack errichtet, mit symmetrischen Erkervorbauten, zwischen denen spindeldünne Eisensäulchen das Verandadach tragen. Gediegene, zuverlässige Besitztümer, die an Stahlstiche gemahnen und verschollenen Familienromanen entstammen. Die Familien müssen sehr zahlreich sein, denn die Bauten folgen einander ununter brochen, ohne sich je gegenseitig zu bedrängen. Schweigend umhegen sie ihre Bewohner und harren, jeder für sich, in ihren Gärten und in der Vergangenheit, deren Größe sie spiegeln. Aber prallt auch die Musik an ihnen ab, die vom Uhlenhorster Fährhaus blechern übers Bassin ertönt, so dringen doch schon Signale des Untergangs bedrohlich in ihre Nähe. Ein Tennisklub hat sich auf privatem Grund eingemietet, und mehr als ein Gebäude ist zum Verkauf ausgeboten. Vorerst handelt es sich um leise Warnungszeichen, um ein fernes Grollen, das die Abgeschiedenheit dieser Zufluchts orte nicht ernstlich stört. Und dennoch ist deutlich zu spüren, daß sie, bevor noch der äußere Druck wirklich eingesetzt hat, gleichsam frei willig abzutreten beginnen. Sie sind zur Trennung gerüstet, und je dichter der Hafen heranrückt, desto mehr werden sie verblassen. Die Reeperbahn ist, wie ich meinem Reiseführer entnehme, „weltbekannt durch die zum größten Teil urwüchsigen Ver gnügungslokale, die sich in fast ununterbrochener Reihe zu beiden Seiten hinziehen". Daß nicht nur ihre Vergnügungslokale ur wüchsig sind, habe ich an einem Hellen Nachmittag selber erfahren. Auf einer minderen Cafe-Terrasse sitzt ein Mann mit einer Frau und genießt die Schönheiten der Reeperbahn. Von der Straße her naht ein anderer Mann, bittet offenbar, an dem Tisch Platz nehmen zu dürfen, und wird abgewiesen. Alle anderen Tische sind unbesetzt. Kaum habe ich mir Rechenschaft darüber abgelegt, daß das Kinn des Ankömmlings ein Brecheisen ist, als er auch schon jenen ersten Mann aus den Stühlen.herausprügelt und ihn mit Hilfe eines plötzlich erschienenen Dritten auf dem Pflaster draußen fertig macht. Der Geschlagene entfernt sich, blutend mit seiner Mittelstandsstraßen dazwischen liegen, ist doch hier, in der Domäne der Großbourgeoisie, jede Spur von ihr radikal ausgetilgt. Ins Prado des südlicheren Marseille spritzt immerhin gelegentlich Hafen elend herein; der Harvestehuder Weg dagegen kennt keine Verbin dung mit dem Mischmasch baumloser Gassen und helldunkler Grün flächen, auf denen die Leute lang dahingestreckt dösen. Vielmehr erscheint von ihm aus diese Welt, wenn sie überhaupt aussteigen kann, als ein beklemmendes Spiel unreiner Formen, wie es durch Angstträume wallt. Ohnmächtig weicht der Spuk vor dem Gottes frieden des englischen Rasens Zurück, der sich im ruhigen Licht makellos dehnt ^m Hintergrund der Anlagen leuchten, halb durch den alten Erstand verdeckt, gepflegte weiße Herrenhäuser, die Zur Hafenrundfahrt gehört auch ein Führer, der die gerade anwesenden Ozeandampfer erklärt. So überzeugt ich davon bin, daß er die lautere Wahrheit spricht, ich lausche ihm nicht anders wie einem geborenen Märchenerzähler. „Dieses Schiff", erzählt er den Hörern, die ihn gespannt umstehen, „ist gestern aus der Karibischen See eingetroffen und jenes fahrt noch heute nach Südamerika." Es ist so, es wird unter allen Umstanden so sein. Und doch glaube ich seinen Angaben nicht, wie man beliebige Tatsachen glaubt, sondern bringe ihnen jenen Glauben entgegen, kraft dessen die Märchen Wirklichkeit werden. Wieviele wunder bare Geschichten haben sich nicht zu meiner Knabenzeit in der Karibischen See abgespielt. Während der Führer den altvertrauten Namen nennt, bin ich wieder, als sei kein Tag inzwischen ver strichen, mitten unter den Seeräubern und Wilden und befreie selber die hellblonde Braut. Daher also sollte dieser Dampfer gekommen sein? Er liegt breit und sicher am Kai und läßt sich entladen. Aber obwohl ich weiß, daß er schlechterdings nicht weg- zuleugnen ist, kann ich mir nicht vorstellen, daß derselbe Dampfer, den ich mit meinen eigenen Augen jetzt sehe, vor wenigen Wochen die Karibische See befahren hat. Sie mag wie Südamerika in der Geographie enthalten sein, und gewiß widerspricht es nicht der Erfahrung, daß ein Schiff die Strecke von dort nach Hamburg allmählich zurücklegt. In Wahrheit jedoch liegt sie so weit außer halb oder auch so nahe, daß man schon in ihr angelangt sein müßte, um sie überhaupt zu erreichen. Der Märchenerzähler spricht fort. Heiß brütet die Luft über dem Wasser, und im Nu sind wir an die Bestimmungsziele der hohen Schiffsrümpfe ver setzt, zwischen denen wir durch alle die vergessenen Gegenden von damals treiben, die ich kenne wie meine Tasche. Arbeiter, die an Seilen herabhängen, überholen mit langen Stangen die Wand eines Dampfers. Sämtliche Zuhörer machen Kindergesichter. entlohnt den Händler und schimmert frisch wie die Blumen. Käfig vorm Fenster zwitschert ein Kanarienvogel Trübsal. Wer vermöchte sich im Gebiet der Außenalster noch an Hafengegend zu erinnern? Obwohl nur ein paar Geschäfts- Die Speicher im Freihafen sind nicht etwa gewöhnliche Lager häuser, sondern stolze Backsteinfestungen, die den Eindruck der Uneinnehmbarkeit erwecken. In wilhelminischer Zeit erbaut, scheinen sie mit ihren Zinnen, Brücken und Türmchen nach unbe kannten Hohkönigsburgen rekonstruiert worden zu sein. Sie haben Oeffnungen, die wie Pechnasen anmuten, und ein Trutzmauer werk von brennender Röte, das in endlosem Zug sanfte Wasser läufe umsäumt, denen fte wie venezianische Paläste entsteigen. Vor ihren Portalen könnten gepanzerte Schildwachen, auf ihren Altanen Jungfrauen stehen. Wer sie in dieser Erwartung betritt, wird allerdings zunächst eine Enttäuschung erleben. Statt der Ritter, die durch die magische Gewalt der Architektur herauf beschworen werden sollten, trifft er nur unbewafsnete Lagerhalter an, die über Kisten und Ballen gebieten. Die Güter, die hier, auf exterritorialem Gebiet, einmagaziniert sind, genießen das Vor recht, nicht verzollt werden zu müssen. Durch die mit ihnen ge füllten Stockwerke zu lustwandeln, ist ein außerordentliches Ver gnügen. Zwischen hochgeschichteten Säcken ziehen sich enge Passagen hin, Schleichwege, die mitten ins Kaffeezentrum sich an Tabaken vorbeiwinden, oder ein Konzentrationslager von Sardinen er schließen. Tropische Düfte erfüllen den Raum, einer schadhaft gewordenen Packung entquellen die Feigen, und man ist beinahe schon im Schlaraffenland selber. Das sind nicht mehr die wohl bekannten Lebensmittel, die man in irgendeiner Kolonialwaren- handlung ersteht; das sind unersetzliche Kostbarkeiten, die wie ein Augapfel beschützt zu werden verlangen. Der äußere Feind ist mächtig geworden, und ich wage daher nicht Zu entscheiden, ob zu ihrer Unterbringung auch einfachere, weniger gewalttätige Häuser genügt hätten. Vielleicht bedarf es wirklich aus Gründen der Verteidigung dieser Bastionen, die einer jahrelangen Belage rung standhalten können, und am Ende sind die Zinnen und Wachttürmchen unerläßlich, um die Ruhe der Datteln zu sichern. An einem Vormittag bin ich Zeuge einer kleinen stummen Szene gewesen. Oder vielmehr nicht einmal einer Szene, sondern nur eines lebenden Bildes. Es hat sich mir in einem jener Gänge dar gestellt, die sich wie ein geheimes Kanalney durch die Häuserblocks der Hamburger Altstadt ziehen. Unauffällig wie ein Hausflur zweigen sie von der Straße ab und scheinen im nächsten Hinterhof zu versacken. Aber in Wirklichkeit sind sie Psade, die durch den Häuserbusch kriechen, manchmal zu einem lichtscheuen Platz aus buchten, sich mit anderen Pfaden kreuzen und schließlich wieder in eine Straße einmünden. Die Giebel berühren sich fast, und die gebleichten Fachwerkwände halten die Außenwelt fern. Kein Laut von ihr bricht in die Gänge, und der Eindringling hört nur ab und zu schleichende Tritte oder das elektrische Klavier aus einer Destillation. Als seien sie von der Stille ausgebrütet, so reglos stehen vereinzelte Mädchen herum. Blonde, goldgelb Gefärbte, Dicke mit Fettwülsten und ausgemergelte Strünke: wie traurige Tulpen ragen sie im Pflasterbeet hoch und warten, ob einer sie ausrupsen will. Sie lesen Romane, stieren vor sich hin und langweilen sich. Mitunter, wenn sich gerade ein Luftzug in die Enge verirrt, wehen ihre kümmerlichen Fähnchen vor dem Verputz, und ein Kimono bläht sich pompös. An jenem Vormittag bin ich durch ihre Reihe wie durch eine Flüsteralles gegangen. Der blaue,Himmel ist weit weg. und ein Mädchen nach dem andern möchte mich bannen. Da taucht ein Blumenhändler vor mir aus, ein richtiger, unverfälschter Blumenhändler, der ebenso gut auf dem Jungfernstieg seine Dahlien und Rosen fetlbieten könnte. Ja, er wäre dort sicherlich besser am Platz, und ich wundere mich eigentlich über seine zwecklose An wesenheit im Gang. Doch meine Bedenken werden auf eins wunder bare Weise zerstreut. Ein Fenster öffnet sich, und eine Hand streckt sich heraus. Die Hand gehört einem üppigen Mädchen in ärmellosem blauem Kleid. Der Händler entnimmt seinem Korb einen Präch tigen Strauß und reicht ihn der. Dirne, als sei sie eine vornehme Dame. Und wirklich, das Mädcken wird durch die Zeremonie der Uebergabe geadelt. Lächelnd prüft es die Komposition des Buketts, sind oder schon Feierabend haben, angestrengt obliegen. Zwar, die Hafenarbeiter, die in Jollen aus den Wersten zurückbefördert wor den sind, stapfen fest und unaufhaltsam gradaus, aber es ist, als ob sie nicht nach Hause gingen, sondern über ihr Zuhause hinweg- marschierten, immer weiter, in langen Kolonnen. Graue, alte, ärmliche Hafenstraßen: in ihnen sind Herrlichkeiten vorwsggenommen, die wir, wer weiß, wann gereinigt aufchauen dürfen. *