Begleiterin, und die kleine Menschenansammlung zerrieselt rasch wieder, ohne daß ein Polizist oder ein Kinooperateur sich zeigte. Aus der Urwüchstgkeit dieses nachmittägigen Ereignisses läßt sich unschwer auf die der Wende schließen. Wenn der Rheinstrom glänzt, die bayrischen Alpen erglühen, der Springbrunnen des Alkazars farbig rauscht und das Licht aller Vergnügungsfaffaden mit vereinten Kräften die Baumwipfel streift, erinnert die Reeper- Lahn von fern an die Avenue de Clichy, mit der sie auch die Eigentümlichkeit teilt, eine wichtige Station des Fremdenverkehrs zu sein. Wahrhaftig, wie auf dem Monmartre rollt, ein luxuriöses Autocar an und bringt die Fremden zu den Freuden und Köni ginnen der Nacht. Um dem Schwärm zu entrinnen, der von den Garderobieren und Kellnern, auf die er ungestüm niederbraust, schlechthin als die Rundfahrt bezeichnet wird, tut man gut daran, sich in eine dunkle Seitenstraße zu verziehen, in der verschiedene Chinesenkneipen gedeihen Sie stinken, ihre Speisekarten tragen unverständliche Schriftlichen, und ihr Tee schmeckt wie jeder andere Tee. Füge ich noch hinzu, daß der Aufenthalt in ihnen trotz der naturgetreuen Statisten und mancher Verschlüge und Luken, hinter denen im Film unzweifelhaft ein Mord geschähe, auf die Dauer stumpfsinnig ist, so wäre damit der endgültige Beweis für ihre urwüchsige Echtheit erbracht. Die wirklichen Kenner bevorzugen statt solcher Echtheit gewisse Surrogate, in denen unsere Zeit sich verdichtet, und ich meinerseits gestehe gerne, daß mich stärker als jene chinesische Kaöimah ein Tanzlokal gefesselt hat, das in breiter Oeffentlichkeit am Anfang der Reeperbahn liegt. In ihm ver kehren junge Angestellte, die nach der neuesten Mode schlenkern. Feste Pärchen, Dirnen, denen die Bluse zart von der Schulter gleitet, und bessere Mädchen, die von den Schlenkernden engagiert werden möchten Aus den verschiedensten Ecken und Enden und Schichten herbeigeströmt, werden sie hier alle gleichmäßig von einer zuckersüßen Innenwelt umfaßt und erwärmt, die sich aus einer Art von Leichtsinn trapezförmig verjüngt und dadurch der genauen Kontrolle entzieht. Sie ist reich an matten Glasflächen, die je nach Bedarf vor- oder zurückgeschoben werden können, und enthält zwei kreisrunde leuchtende Tanzböden, deren einer sich auf der Empore befindet, dort, wo die beiden Längswände in spitzem Winkel sich nähern. Infolge der gewaltsamen Verjüngung entsteht die Täu schung, als ob er an einen im Unendlichen gelegenen Fluchtpunkt hinausgerückt sei. Sobald nun ein Tango zu schmachten beginnt, belebt sich jenes ferne Rondell. Aber zum Unterschied von den Tanzenden unten erscheinen die in der Höhe nicht als wirkliche Menschen, sondern als ein verschlungener Knäuel von Marionetten. Während ihre vermutlich fein modellierten Gesichter nur zu ahnen sind, schweben ihre Rocksäume und Beine im Lichte der strahlenden Fläche. Puppenhafte Geschöpfe, regen sie sich lautlos wie hinter gläsernen Wänden, und schweigt die Musik, so verschwinden sie augenblicklich im Kasten. ch Den Schiffen Zu folgen, die auf der Elbe fahren. — Wie ein See erweitert sie sich bei Blankenese, das sich hügel- aLwärts zu ihrem Ufer zieht und sie ein Stück weit begleitet. Baut sich der Ort, vom Fluß aus betrachtet, sichtbar, um nicht zu sagen, malerisch auf, so versteckt er sich vor seinen Bewohnern hinter Gärten und Parks. Lange, saubere Treppenpfade, deren Jrrgänge das Hügelbild kunstvoll erweitern, führen bald in'den Himmel, bald in die schönsten Blumenbeete hinein, niedere Häuschen, die halb unter der Erde zu leben scheinen, wechseln mit völlig aus ¬ gekrochenen Villen, der Badestrand wird von Bäumen behütet, die Hakenkreuze zeigen sich ungeniert öffentlich, und auf einem großen freien Wiesengelände weiden Flamingos, Hirsche und Rehe so einträchtig zusammen, daß man über dem Entzücken an ihrem sanftmütigen Dasein beinahe in die Gefahr geriete, des unsrigen zu vergessen. Den Schiffen zu folgen -- elbaufwärts und -abwärts fahren sie unablässig vorbei: die kleinen Kläffer von Barkassen, deren Motoren unverschämt rattern, die Kursdampferchen, die Kutter, die Segelboote, die Frachtschiffe der verschiedenen Nationen mit ihren Ausbauten, die oft wie eine Kolonie leichtgeschürzter Sommerhäuschen die Mitte des Liefschwarzen Schiffsgrunds be decken. Manchmal tuten sie dunkel und übertönen die ungefüge Baggermaschine im Fluß, die, wenn es ihr darauf an kommt, wie ein ganzer Schlacht- und Viehhof brüllen kann, neben dem noch eine Hühnerfarm untergeöracht ist. Und immer wieder ereignet sich dies: daß sich ohne jede Ankündigung aus dem Laub eine Riesenwand vorschiebt, die sich allmählich zum Ueberseedampfer entwickelt. Die „Cap Arcona", die „Hamburg", der „Albert Ballin": alle haben sie sich so unversehens genähert. Sie schwimmen nicht eigentlich auf dem Wasser, sie schweben in einer vollkommenen Stille dahin. Erscheinungen, die langsam und, wie mit den Händen zu greifen, dem Strand entlang gleiten und zögernd verschwinden. Aber gerade, weil sie sich ganz offenbaren, ist ihre Größe nicht zu ermessen. Der Tennisplatz hinter dem Schornstein schrumpft zum Käfig zusammen, die Menschen auf dem Promenadendeck sind ein winziger Haufen, und das gesamte Fahrzeug ist eine Abbildung seiner selbst. Daß man es wie ein Plakat zu überschauen vermag, wäre ein ihm zugefügtes Unrecht, wenn man seine leibhafte Gegenwart ubersähe, die das Schaubild berichtigt. Erst in der Nacht wird diesen Schiffen ihre wahre Gestalt zurückgeschenkt. Dann wachsen sie in die Höhe, leuchten, ein abgezirkelter Sternen- Himmel, aus endlich vielen Luken, und sind von außen so un geheuer, wie sie es inwendig sind. Mit ihnen zu reisen: welch eine Verlockung!- Aber wunderbar ist auch, ihnen mit den Blicken zu folgen und jene Reiserouten einzuschlagen, die sich während ihres Vorbeiwallens eröffnen. Wikosopßische Brocken. Vom intern, tionalen Hegel-Kongreß. Berlin, im Oktober. In der alten Aula der Universität, einem entzückenden Saal mit etwas leichtfertigen Rokoko-Ornamenten, der entschieden das Prädikat ehrwürdig nicht verdient, das ihm einer der Redner aus ehrwürdiger Gewohnheit heraus zuerkannts, wurde der zweite internationale Hegel-Kongreß in Anwesenheit zahl reicher ausländischer Gäste eröffnet. Vor allem die Holländer und die Italiener scheinen von der Hegel-Bewegung ergriffen zu sein, Während sich die Engländer und die Franzosen offenbar ziemlich unbewegt verhalten. Und die Russen? Ich komme auf sie gleich zurück. Was wäre ein Kongreß, den niemand begrüßte? Dieser ist wie ein ehrwürdiger Jubilar mit riesigen GrußbuteLLs bedacht wor den. Die Berliner philosophische Fakultät, die Behörden, die Preu ßische Akademie der Wissenschaften, die Deutsche Philosophische Gesellschaft usw.: sie alle haben es sich nicht nehmen lasten, dem Kongreß unter Beziehung auf Hegel Gutes zu wünschen. Wer und was alles mit Hegel in Verbindung steht, hat man erst jetzt richtig gemerkt. Dennoch verlohnte die Gr.'tulatwnskur keiner Erwäh nung, hätte sich unter den Grüßenden nicht auch der preußische Kultusminister Grimme befunden. Seine Grüße sind alles andere eher als PostkartengrußZ ge wesen, ist er doch als der einzige auf ein Thema eingegangen, das der Kongreß selber anscheinend gar nicht in Erwägung gezogen hat, obwohl es nah genug lag. Ich zitiere aus dem Programm einige Vortragstitel: „Der werdende Hegel"; „Das Wahre in der Philosophie Hegels"; „Das Problem der tzegelschen Logik"; „Hegel und das Privatrecht"; „Hegels Religionsphilosophie". Und so fort. Eine Blutenlese vielversprechender Themen, unter denen aber ein Name fehlt, der bei einem internationalen Hegel-Kongreß nicht hätte fehlen dürfen: Marx. Ob er aus Zerstreutheit weg geblieben ist, oder eine Ausfallerscheinung darstellt, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls hat ihn nur Herr Grimme mit Nach druck genannt. Er allein spricht von Lastalle; er allein erinnert ohne Rücksicht aufs akademische Schamgefühl daran, daß Hegels Denken Lm marxistischen verändert fortlebt. Und die Rüsten? Es soll mir ihnen verhandelt worden sein, aber sie sind nicht gekommen. Vielleicht haben die Vortragstitel sie qbgeschreckt. Außerdem fanden keine Diskussionen statt, und sie diskutieren als echte Dialektiker nun einmal gern. * Den Festvortrag hielt Professor Kroner (Kiel) über Hege! mch die Gegenwart. Nachdemer die Feindschaft des 19. Jahr hunderts gegen die Hegeische Metaphysik festgestellt hatte, ohne dabei allerdings auch nur mit einem Wort die tzegelschen Linken und des verpönten ökonomischen Materialismus zu gedenken, begab er sich sofort mitten in die Gegemvart hinein. Seine Betrachtungen waren zunächst ziemlich elegischer Art und gipfelten ungefähr in der Erkenntnis, daß Hegels System einer verlassenen Schloßruine gleiche, die nicht mehr beziehbar sei. Aber in echt dialektischem Umschlag wurde dann später diese zumal für den Hegelbund uner freuliche Tatsache in höchst erfreuliche übergeführt. Herr Kroner nämlich ist der Meinung, daß nach dem Krieg die Metaphysik bet uns wieder zu Ehren gekommen sei. Ich sehe mich vergeblich nach den Anzeichen um, aus denen er eine solche Gewißheit schöpft. Tleht die linkSradikale fugend in jenem Lager, da- er zu berühren ve. meidet, so gefällt sich die rechtsradikale in heilloser Romantik, und dazwischen ist eben nicht viel. Noch weniger kann ich seine hoffnungsvolle Aussage geheißen, daß wir uns jetzt vielleicht in einer Zeit befänden, in der sich der deutsche Geist wieder in seine Innerlichkeit zu vertiefen vermöge. Denn Mmal hat der deutsche Geist äußerer Existenzsorgen wegen in dieser Zeit verdammt wenig Zeit für die Innerlichkeit. Und zum anderen wäre die Möglichkeit, daß er sich jetzt doch ins Innere zurückzoge, statt erst einmal außen Ordnung zu schaffen, wahrhaftig kein MM Zum Frohlocken, son-