Begriff der Masse. „Wir denken nicht... in Massen, sondern in Menschen und Völkern..." Was es mit den Menschen für eine Bewandtnis hat, wird man noch hören. Die große Rolle, die der Begriff Raum spielt, ist Lei! diesem Ansatz nicht verwunderlich. Im Raum stellt das Volk sich leiblich dar. Daher die kaum verhohlene Befriedigung, mit der bemerkt wird, daß sich „heute der Zerfall der Welt in einzelne geschlossene nationale Räume" vollziehe; daher die programmatische Forderung der Autarkie. Der Raumgedanke beherrscht die „Tat" so ganz, daß Zehrer den Gesamtraum des Volks noch in Unterabteilungen zerlegt, denen er wie Nadler eine bildende Macht zuspricht. Er erklärt: „Die Land schaft wird als in sich geschlossener, ein ganz besonderes Eigen leben besitzender, blut-, boden- und schicksalshaft verbundener Raum bejaht." Kleinste geographische Zelle ist zweifellos das Familienheim. Jedenfalls drückt sich auch im Begriff des Raumes ein Wille zum Organischen aus, der sich unmittelbar gegen die Atomisierungstendenzen des Liberalismus und die Art seiner Jnternationalität kehrt. Zeitlich behauptet sich! das Volk als Staat. Er tritt, ähn lich wie bei-Hegel, als „totaler Staat" auf — ein von Carl Schmitt übernommener Begriff, der sein Pathos spürbar aus der Verwerfung des „Nachtwächter-Staates" schöpft. Das Volk und seine Organisationen sind, so lautet die Forderung der „Tat", in diesen totalen Staat „hineinzuintegrieren". Fried formuliert: es geht um „den Wechsel vom Primat der Wirtschaft zum Primat des Staates". Anderswo heißt es vom Beruf: „Für uns ist der Beruf Lebensaufgabe, die im über schaubaren Raum ... die Verwobenheit des Einzelnen in den Staat in sich enthält". Und nicht anders erfüllt sich das föderalistische Prinzip nur dann, „wenn die Einzelstaatlichkeit echtes Jntegrationsmittel des Ganzen ist..." Alle diese Be stimmungen setzen den Jdealstaat nicht als eine konstruktive, rationale Einheit, sondern als eine irrationale, lebendige, deren Teile sich gewissermaßen von selber zu ihm zusammen fügen. Eine romantische Staatsauffassung, die das organische Element stark unterstreicht. Erstrebt wird also eine Ordnung, die ungefähr das Gegen teil der von der Aufklärung geforderten ist. Zum mindesten ist sie extrem antiliberal. Wer wie der Tat-Kreis schon einen „Tropfen Liberalismus im Blut" für „unselig" hält, muß natürlich dem Intellekt, den man auch je nach Bedarf mit der Vernunft identifiziert, feindlich gesinnt sein. Er gilt als die Hauptwaffe des Liberalismus, und da die „Tat" nicht ohne Grund schlecht abzuschneiden fürchtet, wenn sie diesen mit seinen eigenen Waffen bekämpft, zieht sie es vor, andere, handgreif lichere zu wählen. „Gegen diese Vernunft", schreibt Zehrer, „... kann man zunächst nur einen neuen Glauben setzen, und ein Glaube kann sich nie dialektisch mit dem Gegner ausein andersetzen; folgt er ihm auf sein Gebiet, so wird er stets der Unterlegene sein." Aber wie setzt sich ein Glaube, der sich nicht erklären will, in der Wirklichkeit durch? Die primitive Antwort Zehrers lautet: „Das Schwert ist das einzige Argument, das nicht in den Rahmen d-s liberalistischen Systems der Vernunft und der Diskussion paßt. Das Schwert und die Faust!" Kurzum, die Täter der „Tat" panzern sich gegen die Vernunft, lassen das Visier herunter, um nur ja keines ihrer Argumente zu erblicken, und suchen das Heil in der Barbarei. Wobei es ihnen geschieht, daß sie die Vernunft blindwütig für Ereignisse verantwortlich machen, an denen sie wahrhaftig unschuldig ist. „Vernunft!", ruft Zehrer aus. „Nun, im Zeichen dieser Ver nunft sind Millionen von Menschen gefallen." Eine genauere Untersuchung ergäbe vermutlich, daß es gerade die von ihm beschworenen Kräfte der Unvernunft gewesen sind, die den Weltkrieg entfesselt haben. Immerhin, kämpft die „Tat" auch nicht im Zeichen der Vernunft, so folgt sie doch einem anderen Leitstern. Zehrer be- stinnnt: „Ein neuer Glaube, ein neuer Mythos lösen das System des Liberalismus ab." Der Begriff des Mythos, der in den Veröffentlichungen des Tat-Kreises so stark akzentuiert wird wie der Gedanke der Planwirtschaft, steigt aus den Gewässern der Lebensphilosophie empor und ist im Anschluß an Sorel geprägt. Er verdankt die große, ihm beigemessene Bedeutung ersichtlich dem Umstand, daß man nicht mehr den bändigenden Wirkungen rationaler Erkenntnis vertraut, sondern an ihre Stelle entflammte Bilder setzen zu müssen glaubt, zu denen sich die irrationalen Kräfte auf irgendeine geheimnisvolle Weise verdichten. Statt nun das eine oder andere dieser Bilder zu enthüllen, beschränkt sich Zehrer leider darauf, sie einfach zu for dern. Und fest steht eigentlich nur soviel, daß er in den Mittel schichten hervoragende Träger des von ihm proklamierten Mythos erblickt. „Diese Schichten können ihre Zusammenge hörigkeit mit der großen Gemeinschaft, mit dem Volk und der Nation, nicht in einer Gewerkschaft, einem Verband, einer Klasse oder einer sonstigen Organisation erleben, sie können- es nur im Ideal, im Mythos." Allenfalls wäre noch die Aussage Aufruhr der Mittelschichten. Eine Aus e i n a n d er stz u n g mit dem „T at"- K rdts. Von S. Kracauer. I. Die Zeitschrift: „Die Tat" hat heute gerade unter den Intellektuellen der Mittelschichten einen starken Anhang. Er erklärt sich nicht nur daraus, daß der Tat-Kreis bewußt für die praktischen und ideologischen Interessen dieser Schichten eintritt, sondern auch aus seiner Kampfweise selber. Sie ist von einem Format, dessen die deutsche Intelligenz ent wöhnt war. , „Horcht hinein in die Jugend, die heute der den National sozialisten oder den Kommunisten ist. Es ist das beste Menschen material, über das Deutschland je verfügte." Eine Aussage wie diese beweist, daß die Veröffentlichungen der „Tat" bei einer echten und breiten Erfahrung anheben: der von der Ver bundenheit des notleidenden deutschen Volkes. Sie unter scheiden sich darin von zahlreichen anderen Zeitanalhsen, in denen bald parteimäßige Fixierungen und- Jnteressentenwünsche! überwiegen, bald theoretische Konstruktionen vorherrschen, die keine Rücksicht auf bestimmte Daseinsbindungen nehmen. Von ihrer Grunderfahrung, ausgehend, bemühen sich ferner die Mit arbeiter der „Tat" darum, der konkreten Situation konkret inne zu werden. Und wie fragwürdig immer die ökonomischen Dar legungen Frieds seien, sie sind eine gesunde Hausmannskost im Vergleich mit den idealistischen Windbeuteleien, die der Jugend in Büchern und Hörsälen immer noch vorgesetzt werden, obwohl sie nicht den geringsten Nährwert enthalten. Der Wille, dem Idealismus abzusagen und sich mit den Sachen selber emzu- lassen, zeitigt schließlich Lösungsversuche, die sich nicht m der Behandlung taktischer Probleme erschöpfen, sondern auf Grund einer Gesamthaltung die Situation gleichsam strategisch auf rollen möchten. Es wird sich noch zeigen, ob diese Lösungen wirklich Lösungen sind. Aber gewiß ist, daß sehr viele Menschen, 'die den materiellen und ideellen Untergang vor Augen seyen, an den aktuellen Betrachtungen der „Tat" sich aufrichten zu können glauben. , .. Um ihres Ernstes und ihrer Wirkungen willen rst dre Auseinandersetzung mit dieser Zeitschrift doppelt geboten; sowohl im Interesse der Leserfchaft wie in dem des Autoren Sreises. Ich verzichte von vornherein daraus, die ökonomischen Positionen Frieds und das spezielle Programm in die Mitte zu rücken, Las, wie man weiß, für Deutschland unter anderem eine bestimmte Form der Planwirtschaft, die Autarkie, dre Orientierung nach Südosteuropa und die Anlehnung an Sow jetrußland fordert. (Arthur Feiler hat soeben in einer ber uns erschienenen Artikelserie zu dem Programm Stellung ge nommen.) Entscheidender ist die Analyse der Haltung, der die einzelnen Gedanken und Vorschläge entwachsen; denn an ihre Stimmigkeit ist die aller Ergebnisse geknüpft. „Es gab, keine neue Bewegung," sagt Zehrer in einem seiner Aufsätze, „die in ihren Anfängen nicht von der scheinbaren Vernunft einer alten, den konservativen und traditionellen Mächten die nenden Sprache uä ud8ur6uiu geführt worden wäre!" Diese Bemerkung ist durchaus am Platz, wenn sie Einwände ab wehren soll, die eine Bewegung durch die Kritik ihres begriff lichen Ausdrucks im Kern zu treffen meinen. Nur darf sie nicht zur Entlastung der „Tat"-Sprache selber benutzt wer den, deren gewandte Formulierungen alles andere eher als das hilflose Gestammel sind, das nach Zehrer angeblich zu jeder neuen Bewegung gehört. Man wird also dieser Sprache wohl oder übel einiges Gewicht Leimessen müssen-.. Ebenso wenig läßt sich leider die Konfrontation der durch sie ver tretenen Anschauungen mit der Vernunft vermeiden, auf die der Tat-Kreis bekanntlich nicht gut zu sprechen ist. Ich glaube aber, daß man sich der mit ihrem Gebrauch verbundenen Ge fahr ruhig aussetzen darf. Einmal darum, weil eine Argu mentation nur unter der Bedingung möglich ist, daß die Rechte der Vernunft anerkannt werden; zum andern darum, weil auch die „Tat", gleichviel, ob mit oder ohne Willen, gar nicht so selten die von ihr verpönte Vernunft ins Treffen führt, ja nachdrücklich an sie appelliert. Einige Hauptfolgerungen aus der hier angestellten Ana lyse — sie bezieht sich auf die Hefte des letzten Jahrganges — seien vorweggenommen: die Leitgedanken des Tat-Kreises sind das genaue Spiegelbild der schwierigen Situation des Mittelstandes. Sie weisen auf eine Haltung zurück, die in einem wesentlichen Sinne irreal und widerspruchsvoll ist. Einen Ausweg eröffnen diese Gedanken ihrer unfruchtbaren Verwirrung wegen nicht. II. Die Erfahrung liefert der „Tat" den Begriff Volk. Sie postuliert ihn als einen unzerlegbaren Grundbegriff. Bald geht die Rede vom „völkischen Gesamtheitsgedanken", bald werden die öffentlichen Einrichtungen auf ihre „Volksnahe" geprüft. Der romantisch gebrauchte Begriff meint ersichtlich das Polk als etwas Gewachsenes und richtet sich sowohl wider alle im weitesten Sinne liberalen Theorien, die den Einzelnen ^r Gemeinschaft zugrunde lMn, wie gegen den modernen