„Berlin-Akeranderplaß" als Iitm. Berlin, im Oktober. Mit der Feststellung, daß der Allianz-Film: „Berlin Ale xa n d e r p la tz", für dessen Manuskript auch Döblin selber verantwortlich zeichnet, sich kaum über den Durchschnitt unserer Unterhaltungsfilme erhebt, ist nur wenig getan. Wichtiger ist: sich Rechenschaft über die Gründe dieses Versagens abzulegen. Zunächst erklärt es sich daraus, daß man den Roman falsch benutzt. Er ist ein episches Werk, das durch die in ihm angewandte Assoziationstechnik den Bedürfnissen des guten Films mehr als die meisten anderen Prosaerzeugnisse entgegenkommt. Ganze Ab schnitte des Buches schlagen sich kreuz und quer durch die Welt, ohne ängstlich an der Fabel zu haften. Sie sind selber die Fabel, die nicht so sehr in einer geschlossenen Handlung als in einem lockeren Schlendern besteht, das mit Recht auf feste Perspektiven verzichtet. Genau so schlendert aber auch jeder Film, der wirklich ein Film ist. Er schöpft seine Spannung aus der Freizügigkeit der Kamera, die nur dann ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie bewußt durch das Milieu panoramiert und Stück für Stück die Umwelt herbei- holt. In dem Film: „Therese Raquin" etwa liegt das Haupt gewicht nicht auf der Darstellung der tragischen Schlußereignisse, sondern auf den Schilderungen, die der sinnvoll bewegte Apparat von der Passage und der Wohnung entwirft. Im Falle des Alexan derplatz-Romanes hätte man sich nur an den Roman selber halten müssen, um ähnliche Wirkungen zu erzielen. Statt dessen aber ge schieht dies: man verzichtet darauf, der Vorlage zu folgen, die be reits halb und halb ein Filmmanuskript ist, und entnimmt ihr ledig lich eine geschlossene Unterweltshandlung, wie sie jeder gehobene Zerstreuungsroman bietet. Wahrscheinlich um des Kompromisses mit dem vermeintlichen Publikumsgeschmack willen werden also gerade die Tugenden des Döblin-Buches beiseite geschoben, die zu seiner Verfilmung reizen. Das Ergebnis ist ein Film, der den Ein druck erweckt, als ob er einen Kolportagestoff verarbeite; während er doch faktisch aus einem Roman, der große filmische Möglichkeiten gewährte, in das Schema der Kolportage flüchtet. Hätten sich die Hersteller wenigstens entschieden zur Kolportage bekannt! Indessen, sie begehen den zweiten Fehler und schämen sich gewissermaßen der Zugeständnisse, die sie durch die Ausschal tung der eigentlich filmischen Romanmotive dem Publikum machen. Um auch die sogenannten höheren Ansprüche zu befriedigen, suchen sie nachträglich einen Teil der epischen Assoziationen des Romans einzubeziehen, die in der ursprünglichen Konzeption des Films beflissen unterdrückt worden sind. Ich denke an die endlose Tram Lahnfahrt Biberkopfs aus dem Gefängnis in die Stadt und vor allem an die unaufhörlichen Aufnahmen des Alexanderplatzes. Mit seinen Umbauten und Bürohäusern erscheint er bei jeder Gelegen heit von oben und unten, von rechts und von links. Eine Verede lungsarbeit, die wie das musikalische Vorspiel Theo Mackebens, das sich von den alten Berliner Schlagern zu den modernen er streckt, dem Filmgeschehen offenbar zu einer Art von Lokalatmo sphäre verhelfen soll. Aber sie ist in dreifacher Hinsicht verkehrt. Denn einmal addiert sie nur hinterher zum Film hinzu, was schon von Anfang an in ihm hätte stecken müssen; das heißt, sie dekoriert das enge Unterweltsspiel mit Elementen des Romans, statt aus diesen erst ein breites Spiel zu entwickeln, das sich natürlich nicht auf die Unterwelt beschränken dürfte. Denn am Alexanderplatz Döblins wohnen ja bekanntlich auch noch andere Leute als Ver brecherbanden nebst ihrem Anhang. Ferner sind die eingestreuten Stadtmontagen selber richtungslos. Mechanisch leiert der Regisseur Phil Jutzi, dessen starke Begabung der stumme Film: „Mutter Krauses Fahrt ins Glück" erwiesen hat, Bildassoziationen herunter, die sich ohne jeden inneren Halt aneinderreihen. In den Filmen Eisensteins und Pudowkins sagen die Straßen und Architekturen etwas über sich aus, und sogar die ziemlich schwache Berlin-Sym phonie Ruttmanns meint doch noch einen bestimmten Gehalt, der allerdings fragwürdig ist. Hier dagegen wird überhaupt nichts ge troffen, sondern es ist, als gleite die Kamera führerlos zwischen funkelnagelneuen Gebäuden zweifelhafter Abkunft, Arbeitern, Un tergrundbahnen und Bretterzäunen hin und her. Die Bewegung ist sich Selbstzweck geworden, sie verabsäumt ihre dringlichste Auf gabe: eine Haltung zu vermitteln. Schließlich verfehlt sich die auf geklebte Bildepik wider die Absichten des Films, da sie die Span nung verringert, um derentwillen dieser die ihm vom Roman ein geräumten Chancen preisgegeben hat. Erst einen großangelegten Vorwurf zur Kolportagehandlung zu reduzieren und dann die Kol portage durch ornamentale Attrappen wieder auf die Romanebene transponieren zu wollen: das ist unmöglich. Langeweile ist die einzige Folge eines solchen Mangels an Folgerichtigkeit. Nicht zuletzt rührt die Unzulänglichkeit des Films auch daher, daß er ein ausgesprochener SLarfilm ist. Bezeichnend sein Titel: „Heinrich George in Berlin-Alexanderplatz". In der Tat sind alle seine Inhalte auf George bezogen, und werden durch ihn allein zusammengehalten. Das aber ist doppelt widersinnig angesichts eines Helden, der nicht über dem Milieu waltet, sondern vom Milieu entscheidend mitbestimmt wird. Die Verdrängung der dem Film- werk zugeordneten Romankomposition; die Leere der später an gehefteten Assoziationen; die Verwandlung Biberkopfs in eine überragende Figur: diese drei Umstände verschulden gemeinsam die Subst-anzlofigkeit des Films. Ich bezweifle nicht die große Darstellungskunst Georges; aber er ist nicht der Träger der Rolle, er paßt die Rolle sich an. Nicht George ist Biberkopf; der nimmt die Züge Georges an. Auch hier wieder ereignet sich dasselbe wie so oft in deutschen Filmen (und Theatern): daß die Schauspieler Schauspieler bleiben. Der Gestalt, die sie mimen, nst immer noch anzumerken, daß sie gemimt wird. Sie steht nicht im gesellschaft lichen Raum, wird vielmehr so vergegenwärtigt, als ob sie in einem imaginären Raum stünde. Der Grund hierfür ist vermutlich der, daß es zur Zeit in Deutschland keine gesellschaftliche Wirklichkeit gibt. Vor kurzem sah ich in einer Jnteressentenvorführung den Paramountfilm Josef von Sternbergs: „Amerikanische Tragödie". Obwohl Dreiser, wie der von ihm gegen die Paramount verlorene Prozeß beweist, die Verfilmung seines Romans nicht billigt — offenbar enttäuscht ihn die Verlegung des Akzents von den gesell- schaftskritischen Schilderungen weg auf das Einzelschicksal —/ist der Film dennoch ein Meisterwerk, das ein Stück Amerika so zeigt wie es wirklich ist. Aber nicht darum gedenke ich seiner; sondern wegen der Art der darstellerischen Leistungen. Dieser Staatsanwalt ist tatsächlich ein Staatsanwalt; dieses Mädchen eine kleine An gestellte; dieser junge Mann einer von unzähligen Physiognomie losen jungen Amerikanern. Während anderswo die Schauspieler leibhaft vorhandene Typen verkörpern, bilden sich in Deutschland viele Menschen allenfalls nach den Schauspielern. Der Lebensraum, in dem wir uns aufhalten, ist irrend, die Luft mit Ideologien geschwängert und der Boden unter unseren Füßen erweicht. Anhangsweise sei noch der Film: „Marokko" erwähnt, der jetzt unter dem Titel: „Herzen in Flammen" in Berlin läuft. Es ist der erste Film, den I. von Sternberg (vor ungefähr zwei Jahren) mit Marlene Dietrich gedreht hat. Das Buch von Benno Vigny, nach dem er hergestellt ist, soll ein Reißer sein; er selbst aber mutet wie ein langgezogenes Gummiband an, das leider nicht reißen will. Der Charme Jary Coopers und das vollen dete Globetrottertum Menjous kommen gegen die afrikanische Hitze nicht auf, in der die Handlung eintrocknet und die Liebe stagniert. Und Marlene Dietrich enthüllt zwar in einem fort ihre berühmten, unteren Extremitäten, ist aber in der oberen Hälfte eine monotone! Trauergestalt, der man die unsagbaren Gefühle weit weniger glaubt als die mit dem besten Willen nicht wegzuleugnenden Beine. S. Kracauer. 72.7Q27. ^--27-42.