Bon E. Rraeauer. und nach die Gäste versammelten; dann Tanzmusik, Bruchstücke Immer länger, immer Häher ist ihre Parole. Inzwischen hat sich die menschenlose Pracht selber, die hier umging, die Pracht ver-Skrupeln gelebt. Die Provinz ist auch darum der Hauptstadt oft Das sind nur Beispiele für Restbestände, die unter uns Wesen. Gerade Berlin ist ihrer voll, denn es hat seit langem ohne viel Hat sich das ganze Leben unserem wirtlichen Zustand ange paßt? Teilweise ist es nicht nachgefolgt, sondern behauptet sich blind weiter fort. Reste vergangener Daseinsformen ragen, den Er eignissen zum Trotz, m unseren Preisgegebenen Alltag herein. Jetzt wäre es an der Zeit, sie zu durchschauen und Zu erkennen, wieviel Gespenstisches sich noch immer an unsere Fersen heftet. In einem bekannten Berliner Hole! fand jüngst die Schluß- vEnstaltung eines Tanzturniers statt, das von einem hiesigen TunMuö arrangiert Worden war. Durch Zufall in die Hotelhalle verschlagen, wurde ich Zeuge des festlichen Trubels. Die Herren im Frack, wartend schwatzend und ranchend; die Damen im Hermelin oder Persianer und darunter die großen Abendtoiletten; Pokale und andere Ehrengaben auf einem Galatisch, der mitten im Reiseverkehr der Diele stand; hinter weit geöffneten Türen die Spiegelreflexe und die gläserbeladenen Tische, an denen sich nach der Straße draußen kam das Heute wieder zurück. Ein paar Taxichauffeure schimpften über die schlechten Zeiten, und zwei Hamburger Zimmerleute preßten durch ihr furchterregendes Aeußere den Passanten Almosen ab. genug gram. Nicht ganz zu Recht, wie mich dünkt, da ein mrt schonungsloser Offenheit geführter Existenzkampf immer noch besser ist als einer, der unter der Maske des Wohlanstands genau so grau sam vonstatten geht.-. Nun Hat der Taumel einstweilen ein Ende- Großartige Bank- gangener Jahre, die sich nicht abwerfen lassen wollte. Die Herren hatten FilmgeflchLer, die Damen lächelten konventionell. Wären sie Marionetten im Glaskasten oder Schaufensterpuppen gewesen, fs hätte der Auftritt noch Leben geatmet; aber wahrhaftig, sie lebten und glichen eben darum einem angreifbaren Spuk. Erst auf Vor kurzem'sagte mir ein Franzose, den ich durch Berlin führte: „Ihr seid arm zwischen Palästen; mir haben unser Auskommen in armen Behausungen". Diese Antithese, übertrieben wie alle solche Formulierungen, wurde bei der Betrachtung des riesigen Waren hauses in Neukölln geprägt, das eine Verkörperung wilhelminischen Geistes ist. Ein Gemisch aus Kathedrale und Festung, steigt der viereckige Bauklotz pathetisch empor, klingt in zwei Türme aus, die abends wie Fanale über der Stadt leuchten, und was wird darin verkauft? Bedarfsartikel für kleine Leute und Proletarier. Schon in der KaiserZeiL hat es so angefaugen. Ich denke an die Marmor treppen der Mietshäuser, die hinter den Haustüren unmittelbar ansetzen und vor aller Augen so steil und herrisch himmelan streben, als führten sie statt in Berliner Zimmer in den Himmel selber hinein. Man hat den Kurftürsteudammbauten die Stuckorna mente abgeschlagen, aber die Großmannssucht ist auch in der Repu blik geblieben. Ihr entstammen die vielen Faffadenarchitekturen, mit denen Berlin seit Jahren gefüllt wird: Hochhäuser, Büro häuser usw., die alle nicht die geringste Beziehung zu menschlichen Dingen mehr unterhalten. So einfach sie sind, sie bringen es den noch fertig, den Eindruck überlebensgroßer Monumentalität zu erwecken. Vermutlich rührt er daher, daß diese Gebäude sich so unüberlegt und rücksichtslos entfalten, als gäbe es niemals Wirt schaftskrisen, sondern immer nur Prosperität. Die horizontalen Glas- und Mcmerbänder, aus denen sie gewöhnlich bestehen, wickeln sich wie laufende Bänder ab, die ununterbrochen Nahrung haben, und preisen rein durch ihr Dasein den Segen endloser Rationali sierung. Wir haben den Segen kennen gelernt, aber die Häuser, die ich hier meine, wissen nichts von unseren Leiden, von unsrer Be grenztheit. Man hat das Herz in sie einzumauern vergessen. Leer und sühllos streichen ihre Fassaden hin, so abstrakt wie manche Betriebe und Organisationen, die dahinter untergebracht sind. Berlin, Ende Dezember. Das Stadtbild Berlins hat sich allmählich verändert, man merkt jetzt an allen Ecken und Enden die Krise. Auch Fremde, die es noch vor einem halben Jahr nicht wahr haben wollten, daß das Berliner Oberflächenleben von dem Elend stark in Mitleidenschaft gezogen worden sei, spüren heute auf den ersten Blick seine Ver wandlung. Nicht nur die Großwohnungen sind geräumt, auch die Lokale füllen sich an den Werktagen nicht mehr recht. Das ehe malige Caft Bauer Unter den Linden ist seit einiger Zeit ge schloffen. Die Straßen sind mit Bettlern übecsät, ein ganzer Wald von Bettlern, der nur schwer passierbar ist, dringt in die Stadt ein und bedeckt den Asphalt. Studenten und bester gekleidete, ältere Herren klingeln an den Haustüren, verkaufen Schnürsenkel und Streichhölzer oder bitten auch nur um eine Gabe. Und abends herrscht in Stmßenzügen, die früher bis in die Nacht hinein be lebt waren, eine merkwürdige, aufreizende Ruhe. Die Menschen verlaufen sich rasch, sie bleiben zu Hause oder stecken sonstwo. Es ist, als verkröchen sie sich wie Tiere, um allein zu sein mit der Not. von Ansprachen, Beifall, Klirren, Lachen und jenes unbestimmte Gesumme, das fortgesetzte Ballgespräche erzeugen — es war ein Gesellschaftsbild, wie es strahlender nicht sein könnte. Ich beabsichtige nun keineswegs, in jener Art von Schwarzweiß malerei, die sich bei den Autoren sozialer Romane besonderer Be liebtheit erfreut, Szenen dieses höheren Glanzes zu schildern, sondern möchte nur eine bestimmte Erfahrung festhalten, die das herrschaftliche Ereignis mir aufdrängte. Wer einmal die Gelegen heit gehabt hat, alte Filme Zu betrachten, dem wird schwerlich ertt- gangen sein, wie verschollen sie wirken. Vor allem die gesellschaft lichen Vorgänge, um die sie sich eifrig bemühten, find längst aus der Zeit zurückgetreten und haben nichts mehr mit uns zu schaf fen. Bleiche Hemdbrüste und erstarrte Gebärden: ein einziger Modergeruch. So und nicht anders erschien mir auch diese Gesell schaft. Sie tauchte aus den Grüften auf wie ein Phantom, das zur Unzeit durch unser Leben geistert. Das waren nicht Menschen aus Fleisch und Blut, die in ihrer Pracht dahinwallten; das war „ßr ist ein gulcr Junge." Berliner Betrachtung. herausgestellt, daß es nicht länger so geht. Dennoch dauern diese Gebäude ungerührt fort, Zeichen einer Gesinnung, die sich nicht ungestraft von den menschlichen Proportionen losgesagt hitt. Wir sind arm geworden zwischen ihnen, und sie bekümmern sich nicht darum. Wer genauer hinblickt, wird indessen bemerken, daß sie, kaum aufgerichtet, schon abzunchmen beginnen. Sie enthüllen ihre Unwirklichkeit vor der Zeit, sie offenbaren heute bereits ihren er schreckenden Mangel an Inhalt. Während andere, gefülltere Archi tekturen langsam veralten und dann das Aussehen ehrwürdiger Ruinen erlangen, behaupten sie sich nur kraft physikalischer Gesetze und starren wie hohle Kartonbauten in die Großstadtluft. Die üblichen Gespenster kommen aus der Vergangenheit herauf; ihr gespenstisches Los ist es: nicht in die Vergangenheit eingehen zu können.