ßafs im Aerüner Westen Von S» Rraeauer» wenn man nicht unbedingt mag, verzichten sie meistens darauf, eine Bestellung zu machen; es sei denn, daß sie sich Zwei Glas Wasser bringen lassen, um dem Kellner eine kleine Gefälligkeit zu erweisen. Der Kellner wäre sonst überflüssig und könnte unter Umstünden abgebaut werden. Den Pagen droht in dieser Hinsicht keine Gefahr, weil sie voll ausgenutzt sind. Sie dürfen nicht nur in einemfort das Glöckchen schwingen, sondern auch alle jene Zeitungen hin- und herschleppen, die denselben Nationen wie das Stammpublikum angehören. Aus ihnen unterrichtet es sich über Vorgänge in den Cafes der fernen Heimat. Daß sie schön ist und zu Wanderungen ermuntert, die Heimat, schließe ich aus dem Drang der Gäste, sich in ihrem Cafehaus ununterbrochen zu bewegen. Noch nie habe ich eine ähnlich starke Bewegung erlebt, und alle literarischen Bewegungen, die ich kenne, stehen an Triebkraft weit hinter dieser zurück. Wenn zum Beispiel zwei Leute an einem Tisch sitzen, begrüßt sie sofort ein Dritter, der andere Bekannte nach sich zieht, die wie von magne tischer Gewalt herbeigelockt werden. Ein Menschenhaufe ballt sich zusammen, der die freien und besetzten Stühle in der Nachbar schaft mit sich reißt und Zuletzt einen undurchdringlichen Klumpen bildet, dessen Bestandteile nicht mehr voneinander zu unter scheiden sind. Zu bedauern ist nur der Lisch in der Mitte des Klumpens. Plötzlich und grundlos zerstreut sich die Gesellschaft wieder, und übrig bleiben Zigarettenreste und zahlreiche leere Stühle, die unordentlich im Raum herumfahren. Der Tisch ist zwar nicht zerquetscht worden, hat aber sein schmuckes Aussehen verloren. Die Mitglieder des Klüngels streifen jetzt einzeln durchs Lokal, um bald an irgendeiner neuen Stelle unvermutet zusam- menzuschießen. Manche setzen sich überhaupt nicht, aus Angst, sie könnten etwas versäumen, sondern plaudern im Stehen und sind wie fliegende Truppen immer zum Aufbruch bereit. Andere lassen sich so auf einem Stuhl nieder, daß sie die ganze Umgebung be herrschen. Der Stuhl wird kurzerhand vom eigenen Tisch abgerückt und an den nächsten fremden herangeschoben, der auf diese Weise ebenfalls beschlagnahmt ist. Solche Umgruppierungen erhöhen nicht nur die Bequemlichkeit, sondern gewähren auch einen besseren Ueberblick über die im Lokal verteilten Gefährten. Richt selten kommen vertrauliche Unterhaltungen zwischen Partnern zustande, die sich an entgegengesetzten Enden befinden. Die Haupt sache ist, daß die Stimme weit genug reicht. Gegen Abend stockt der Wohnbetrieb, und eine sanfte Stille tritt ein. Harmlose Gäste durchblättern die Zeit schriften, die Pagen kichern hinter einer Balustrade, und in den Ecken flüstern verliebte Pärchen. Das Stammpublikum selber ist bis auf wenige zurückgelassene Beobachtungsposten ver schwunden. Ich habe Grund zur Annahme, daß es sich in der Zwischenzeit erholt, um für den Abend neue Kräfte zu sammeln. Denn kaum ist man der Pause halb inne geworden, so Lost der Strudel schon wieder und heftiger als zuvor. Die Schlagerkompo nisten, die zukünftigen Operettendiven, die Filmkomparsen, die Herren und die frisch importierten Jünglinge und Mädchen, die noch nichts ihr eigen nennen, außer Rosinen im Kopf: sie alle sind vollzählig eingezogen und bemühen sich jetzt darum, ihre Leistungen zu verdoppeln. Unbekümmert besetzen sie die Gänge, summen Bruchstücke sinnloser Melodien, schlagen über Abgründe hinweg Gesprächsbrücken und kreischen- Wehe dem Gast, der zwischen ihre Schwärme gerät! Er ist vom Ersticken bedroht und kann sich noch glücklich schätzen, wenn er, dem dünnen Bimbim des Telephonglöckchens folgend, mit heiler Haut den Ausgang erreicht. BerLm, im April. Schon die Notwendigkeit, den Ort des Cafes, das ich zu schildern mir vorgenommen habe, näher zu bestimmen, versetzt mich in eine gewisse Verlegenheit, Es könnte dem Cafe peinlich sein, wiedererkannt zu werden. Manche Personen fühlen sich ja auch verletzt, wenn sie dahinter gekommen zu sein glmrLen, daß sie in einem Roman dargestellt worden sind. Als ob ein Schrift steller seine Modelle je porträtähnlich gestaltete und sie nicht vielmehr so lange ummontierte und überblendete, bis sie sich den mit dem Werk verbundenen Absichten vollkommen fügen! Höchstens die Nebenfiguren werden mitunter unmittelbar nach dem Leben gezeichnet. Aber man muß heute alle möglichen Rücksichten nehmen, und so beschränke ich mich auf die Angabe, daß das Cafe irgendwo im Berliner Westen liegt- Der Westen ist groß und umfaßt zahlreiche Cafes. Das von mir gemeinte macht auf den ersten Blick hin einen durchaus normalen Eindruck. Es hat eine ziemliche Ausdehnung, ist mit Menschen und Zeitungen gefüllt und enthält sich jeder Musik. Die einzige Musik, di^ man in ihm hören kann, wird durch ein seines Glöckchen erzeugt, das oberhalb einer handlichen Schiefertafel bangt, auf der sich der Name des jeweils zum Telephon gewünschten Gastes eingetragen findet. Immer, wenn der Page die Tafel mit dem Glöckchen darüber spazieren führt, ertönt ein Bimbim, und wäre der Rauch nicht so dicht, man glaubte auf einer Alm unter klingenden Kühen zu ruhen. So alltäglich aber auch das Cafe anmutet, es ist inwendig verhext- Oder wie sonst sollte man sich die Tatsache erklären, daß jeder, der hier ahnungslos eintritt, um seinen Kafsee in Frieden zu trinken, binnen kurzem in einen Strudel ablenkender Ereign niste gerissen wird, die ihn zuletzt völlig verwirren? Urheber des Strudels ist unstreitig das Publikum, genauer: das Stamm publikum, dem auch der Ruf des Glöckchens gewöhnlich gilt. Die Verpflichtung, dieses Publikum einigermaßen zu kennzeichnen, erfordert wiederum meine Diskretion. Ich begnüge mich mit der Feststellung, daß es zum großen Teil ausländischer Herkunft ist, ohne die Nationen preiszugeben, denen es ersichtlich entstammt- Denn die gegenseitigen nationalen Vorurteile sind schon sowieso viel zu mächtig, als daß sie noch gefördert werden dürsten. Wesent lich unbedenklicher scheint mir die Mitteilung zu sein, daß die betreffenden Stammkunden in der Operetten- und Filmbranche tätig sind. Und zwar dient ihnen das Cafe als Börse. Offenbar werden an ihr nur Werte gehandelt, die niedrig im Kurs stehen. Aber nicht die Börsengeschäfte selber rufen jenen Strudel hervor, der alle Unbeteiligten verschlingt. Er brodelt und zischt vielmehr erst in den Feierstunden, in denen die richtige Börse ersterben ist. Dann verlassen die Stammgäste nämlich nicht wie andere Börsenbesucher den Versammlungsort, um ins Cafe oder nach Hause zu gehen, sondern verwandeln einfach die Börse in ein Cafe und machen aus ihm ihr Zuhause. So kommt es, daß sie sich eigentlich Tag und Nacht zu ständig wechselnden Zwecken im selben Raum aushalten. Bald treffen sie Vereinbarungen über Schlager und Engagements, bald sind sie gewöhnliche Gäste und bald wohnen sie hier. Bor allem die Beschäftigung des Wohnens füllt sie ganz aus. Ich weiß nicht, ob sie noch irgendwo eine eigene Unterkunft haben, aber jedenfalls benehmen sie sich in dem Cafe so ungezwungen wie in ihren privaten.vier Wänden. Es ist, als wollten sie dem Zufallsgast von vornherein zeigen, wie behaglich sie sich hier fühlen. Da man bei sich Zu Hause nichts essen und trinken muß,