Der KeLWer im Mrietö wäre. 8. Lraeauer. stand einigen Leuten im Saal mit, was ihnen an einem be stimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt widerfahren ist. Hinzuzufügen wäre noch, daß seinen Auskünften lächerlich winzige Angaben zugrunde liegen. Die betreffenden Leute haben ihm Nämlich in der vorangegangenen Pause einen Zettel in die Hand gedrückt, der außer ihrem Namen nichts weiter als die zur Lokalisierung des jeweiligen Ereignisses nötigen Daten enthielt. Und trotz dieser minimalen Anhaltpunkte klärt der hinter seiner Binde hellsehende Herr Hanussen die Fragesteller vollstän dig über ihre Vergangenheit auf. Sie bestätigen durchweg die Richtigkeit der ihnen gemachten Eröffnungen und scheinen so erstaunt wie glücklich zu sein, daß sie auf eine derart rätselhafte Weise nochmals erfahren, was sie schon wußten. (Daß sie auch über die Zukunft jeden wünschenswerten Aufschluß erhalten können, beweist ein Blick in Hanussens Wochenschau, in der er der Öffentlichkeit und zahlreichen Privatkunden schlankweg die kommenden Dinge enthüllt.) Wie immer es mit den Gaben dieses Hellsehers bestellt sei, der Drang des Publikums, sie zu nutznießen, ist nicht zu bestreiten. Ich habe noch selten ein so gespanntes Publikum gesehen. Es steht in langer Reihe vor der Kabüse, in der die Zettel abzuliefern sind, es blickt so starr aus die kleine schwarze Binde, als sei sie das verschlossene Tor des Paradieses, es lauscht hörbar, wahrend sich Hanussen unhörbar konzentriert, und beginnt nach dem Ein treffen der Antworten wollüstig zu rumoren. Eine schwüle Er regung, die unwiderleglich anzeigt, wie sehr durch die Krise die Erwartung des Wunders gesteigert worden ist. Als ob sich die Krise durch ein Wunder überwinden lasse! Aber seiner im Halb dunkel zu harren, dünkt vielen bequemer als die planmäßige Verbesserung der Zustände, die das einzige rechtmäßige Wunder Berlin, im Mai. Kürzlich verbrachte ich einen Tag in München, von dem ich hier erzählen will. Ich wurde an diesem Tage in eine Ver gangenheit versetzt, die ich längst abgeschieden glaubte; oder viel mehr: die Vergangenheit nahm mich buchstäblich zu sich zurück. Zum näheren Verständnis muß ich vorausschicken, daß ich als Student vor dem Kriege mehrere Fahre in München gelebt und später die Stadt immer nur auf der Durchreise berührt habe. Von Berlin aus war ich noch nie dorthin gereist. Die Tatsache zu erwähnen, daß ich diesmal direkt von Berlin nach München fuhr, halte ich für ungemein wichtig. Berlin ist der Ort, an dem man schnell vergißt, ja es scheint, als verfüge diese Stadt über das Zaubermittel, alle Erinnerungen zu tilgen. Sie ist Gegenwart und setzt überdies ihren Ehrgeiz darein, ganz Gegenwart Zu sein. Wer sich längere Zeit in Berlin aufhält, weiß am Ende kaum noch, woher er eigentlich kam. Sein Dasein gleicht nicht einer Linie, sondern einer Reihe von Punkten; es ist jeden Tag neu wie die Zeitungen, die fortgeworfen werden, wenn sie alt geworden sind. Ich kenne keine andere Stadt, die das Gewesene so schleunigst abzuschütteln vermöchte. Auch sonstwo verändern sich zweifellos Platzbilder, Firmennamen, Geschäfte; aber nur in Berlin entreißen die Veränderungen das Vergangene radikal dem Gedächtnis. Viele empfinden gerade dieses Leben von Schlagzeile zu Schlagzeile als Reiz; teils weil sie davon profitieren, daß ihre frühere Existenz in der Versenkung ver schwindet, teils weil sie doppelt zu leben glauben, wenn sie rein in der Gegenwart leben. Daß ihnen durch das Aufgehen in aktuellen Momenten das Leben selber niemals gegenwärtig wird, ist allerdings unumstößlich gewiß... Mitten aus der Aktualität heraus wurde ich also nach München zurückgerissen. Und gleich beim ersten Schlendern am Sonntag morgen begann schon die Stadt ihre Gewalt auf mich auszuüben. Durch tausend .Mittel brächte sie meine Verwandlung zuwege. Da war der Geruch, jener einheimische Geruch, der von Malz, Benzin, Tandlerkram und wer weiß welchen'Bestandteilen her- rührt; da war der Himmel, der sich freundlicher als in Berlin zu den Häusern und Straßen herabläßt; da war der warme Widerschein einer beinahe italienischen Sonne. Je länger der Tag . dauerte, desto tiefer tauchte ich in verschollenen Zeiträumen unter, deren Existenz mir seit vielen Jahren nicht mehr bewußt Berlin, Lm Mai. In der Scala, deren Programm unter anderem auch die glänzende equilibristische Nummer des Trios Willy Schenk L Co. enthält, zeigt jetzt der Hellscher Erik Jan Hanussen allabendlich seine Kunst. Er hat vor dem Avus-Rennen dem Fürsten Lobkowiez geraten, vorsichtig Zu fahren, und tatsächlich ist Fürst Lobkowiez beim Rennen tödlich verunglückt. Die übrigen aufs Rennen bezüglichen Voraussagen sollen allerdings sämtlich unrichtig gewesen sein. Sehr zuverlässig ist die Wirklich keit einstweilen noch nicht. Ehe Hanussen gleichsam im Merheiligsten das Hellsehen zele- . Wert, treibt er sich erst eine Zeitlang in den Vorhäfen herum. Er verunstaltet ein Paar telepathische Experimente, wie man sie früher schon häufig sah, plaudert über Graphologie usw. Ohne daß ich die'magischen Kräfte anzuzweifeln wagte, über die er auf Schritt und Tritt gebietet, muß ich gestehen, daß mir seine profane Fähig keit, das Publikum in Stimmung zu bringen, nicht minder Lewundernswert erscheint. Bald reißt er es gewaltsam empor, indem er für die einzigartigen Versuche, die er hier vorführt, einen stärkeren Beifall verlangt, bald gönnt er ihm kurze Erholungspausen, damit es nicht außer Atem gerät. Geheimnis volles Mienenspie! und Scherze mit der Damenwelt, Ausbrüche jenseitiger Zuversicht und rein irdische Plänkeleien: das ver mischt sich ohne Schwierigkeit und geht in einem fort ineinander über. Bis zuletzt die Zuschauer so durchgerüttelt sind, daß sie reif werden für das eigentliche Mysterium. Es besteht, kurz gesagt, in folgendem: Herr Hanussen sitzt auf einem Stuhl in der Mitte des Podiums, hat eine schwarze Binde um die Augen gebunden, die offenbar den Zustand äußerster Konzentration bewirken soll, und teilt in diesem Zu gewesen war und deren Fortexistenz ich noch am Tage vorher Lestritten hätte. Hatte sich München inzwischen nicht verändert oder gar wieder zurückverändert? Jedenfalls zeigte es sich mir wie damals, eine Stadt wie aus einem Traum, die dennoch kein Traum war. Ich erkannte kleine Läden, an denen ich als Stu dent vorbeigekommen war, und las Namenschilder, bevor ich sie richtig erkennen konnte. Auf dem Odeonsplatz hielten die Stu dentenkorporationen und Taubenschwärme ihren Stehkonvent ab. Schon Wunderte ich mich nicht über den Stillstand, sondern fragte mich nur, ob auch die fütternden Kinder und die photographie renden Reisenden sich wiederholen würden. Sie waren vorhanden, fütterten und photographierten. Hinterher faß ich im Hofgarten an einem gedeckten Tisch unter den altem grünen Bäumen; zur selben, Stunde,, zu der ich früher dort immer gesessen hätte. Und um die Unterschiede zwischen dem Heute und dem Gestern voll kommen zu verwischen, nahmen die gleichen, modisch gekleideten jungen Herren in/ der Nachbarschaft Platz, zitterten die gleichen Lichtkrmgel über Gestühl und Boden hinweg. Das Gestern war nahezu Heute geworden. Nicht so, als ob ich mich ganz verloren hätte. Ich beobachtete Hakenkreuze, die man seinerzeit noch nicht trug, und wußte wieder ganz genau, welches Jahr man jetzt schrieb. Auch ver gegenwärtigte ich mir, daß München eine Stadt sei, die so gut wie keine Arbeiter enthielt. Hier waren Fabriken fern, hier drang nur das Land herein, das sich mit der bürgerlichen Be völkerung .so^ vermischte. Bürger aller Schat ¬ tierungen bestimmten in Wahrheit den -Geist der Stadt, und in einer- Zert wie dieser hielten sie natürlich aus vielen Gründen vermehrt darauf, daß alles blieb, wie es einst war. Aber - die Ueberlegungen, die ich beflissen anstellte, ver mochten mich nicht vor der Macht des Vergangenen zu schützen. Im Gegenteil: als habe es nur einen kurzen Anlauf genommen, so gesammelt brach neuerdings das Vergessene aus den Gräbern hervor. Jetzt erst recht wurde ich seine Beute. Und zwanzig Jahre schienen nicht gewesen zu sein. Vor zwanzig Jahren hatte ich mit ein M einem im Studentenviertel gelegenen Cafehaus verkehrt, dessen Inhaberin uns persönlich bekannt gewesen war. Einmal im Fasching hatte sie uns sogar mit Wein und einem besonderen Abendessen bewirtet. In jener Zeit war es notwendig geworden, Wiederholung. Auf der Dur chreise in München.