waltungsprinzips verhindern. Der Erkenntniss Raum gewährend, daß Kultur Nicht zu bevormunden ist, son-! dern höflich ausgesucht Zu werden verlangt, hätten sie vor allem dafür zu sorgen, daß die eigentlichen Kulturträger — Autoren, Künstler usw. — ihren.Wünschen und Meinungen innerhalb des Rundfunkbetriebs Geltung verschaffen kön en. Der unlängst in Berlin gegründete „Bund freier Rundfunk Autoren" hat Vorschläge für Programmausschüsse ausgear beitet, die sich aus Mitgliedern des Bundes zusammensetzen Im Interesse der Programmgestaltung des Rundfunks wird eine weitgehende Auflockerung der Leitsätze uner läßlich sein. Sie muß von den Richtlinien erwartet werden und hängt auch ein wenig — keineswegs in einem entscheiden den Sinne — von der Wahl der mit der Exekutive zu betrau enden Funktionäre ab. Je verständiger und liberaler die Pro grammbeiräte zusammengesetzt werden, desto mehr vergrößern sich die notwendigen Durchbruchsmöglichkeiten. Der Geist selber, in dem die Bestimmungen erlassen sind, bleibt allerdings vorerst unaufhebbar. Immerhin sollte er, eben auf Grund der hier angestellten Überlegungen, die Gefahr bemerken, in die er sich begibt. Er trocknet den Boden aus, den er bestellen will, wenn er die Kultur einfach zum Objekt der Verwaltung macht und sie Zwecken verpflichtet, die sie sich nicht selber stellt. Die kommen den Männer des Rundfunks müßten zum mindesten soweit Selbstentäußerung üben, daß sie Vorkehrungen einschal ten, die eine radikale Durchführung des Ver- Stadt-Erscheinungen. Von S. Kracauer. Berlin, Anfang August. Der Tänzer. Hohe Mietshäuser fassen die grade Straße ein, in der zwei Baumreihen stramm stehen wie Rekruten. Vom einen Stamm zum andern sind immer genau zwölf Schritte. Ueber den Laubmon- turen ragen die Fassaden hervor, schmutzige Wände mit einge lassenen Balkönen und vielen Fenstern, hinter denen sich ein besse res Familienleben vollzieht. Es verfügt über Warmwasser und Zentralheizung, und wenn eine Familie das Haus räumt, , rückt die neue gleich nach. Veränderungen entstehen dadurch nicht; höchstens wird die Dapetenfarbe gewechselt. Im Erdgeschoß be finden sich unbedeutende Kneipen und kleine Läden, die dem Be darf der Straßenbewohner dienen. Aus den Küchen schlürft es in diese Geschäftchen hinein und dann wieder empor zu den Etagen. Die Trottoirs sind viel zu breit, da die wenigen Passanten, die sie bevölkern, dicht an den Schaufenstern entlang zu gehen Pflegen. Auf dem Asphalt fahren fortwährend Wagen und Taxis vorbei, die im Verein mit einigen Zeitungsbuden der Straße ein groß städtisches Aussehen verleihen. Dennoch langweilt sie sich. Ihre Erker sind es müde, sich ewig anzustarren, und ihre Bäume müssen immer denselben Abstand wahren. Man könnte sich vorstellen, daß die Straße zum Zeitvertreib gern mit einer der zahlreichen Straßen tauschte, von denen sie rechtwinklig gekreuzt wird. Aber diese Straßen unterscheiden sich nicht im geringsten von ihr. So bleibt sie lieber, wo sie ist, schnurgerade Straße, wie es deren Tausende gibt. In ihrer Mitte erscheint ein schmächtiger, verwahrloster Mann. Er denkt nicht daran, den Fußgängersteig zu benutzen, sondern be wegt sich auf dem Fahrdamm, der jetzt, am frühen Nachmittag, kaum befahren wird. Bewegt sich der Mann wie ein gewöhnlicher Mensch? Seine Schritte sind die eines Tänzers. Jeder hat im Kino schon Zeitlupenaufnahmen gesehen, durch die alle Gebärden zum Ver weilen gezwungen werden. Der Springer scheint in der Luft inne- zuhalten, der fallende Reiter erreicht niemals die Erde. Nicht anders tanzt auch dieser Mann über den Asphalt. Während wirkliche Tänzer in einem Rhythmus dahingleiten, der uns faßbar ist, be schreibt er Figuren, die von einer unnatürlichen Langsamkeit sind. Bald schwebt er so gemächlich zwischen den Baumreihen, als wolle er nicht mehr den Boden berühren, bald kriecht er wie ein Wurm ohne Flügel und führt dabei Drehungen aus, die kaum je zur Spirale gedeihen. Die Uebergänge zwischen den verschiedenen Höhen lagen sind sanft und verworren, und die Kurven, in denen er sich windet, ähneln endlosen Schnörkeln, die an eine unsichtbare Unter schrift angefügt'werden. Gesang begleitet ihre Entwicklung. Wahr haftig, der Mann singt mit einer Stimme, die hell wie die eines Kindes ist. Die Melodie hört nicht auf und fängt nicht an, sie folgt vielmehr den unverständlichen Bahnen, die er ohne Abschluß auf und nieder zieht. Statt sich ihnen aber anzupassen, klingt sie immer gleich hoch und fern, eine Melodie von entlegener Süße, die nicht abreißt, so sehr sie auch gedehnt wird. Wie schön könnte sie sein, wäre sie nicht unheimlich wie der verlangsamte Tänzer! Sein Haar ist rötlich, seine Blicke richten sich auf das Asyl, das ihm in dieser Welt vorenthalten worden ist. Wir andern erkennen es nicht, er selber jedoch ist bereits auf dem Wege zu ihm, und zieht mit irren Tönen und Zeitlupenschwüngen in eine unzugängliche Geborgenheit ein. Die Mietshäuser reihen sich unbeteiligt aneinander. In ihrem Innern rauscht Warmwasser, und außen steht nüchtern das Laub. Zwölf Schritte sind immer von Baum zu Baum. Vielleicht hat die Straße den Tänzer ausgebrütet. Und was sie verschweigen muß, verdichtet sich zu dieser Figur. Die Brücke. In einer Hauptverkehrsgegend kreuzt die Stadtbahn einen breiten Straßenzug. Er macht nicht die geringste Biegung, und jedermann kann ohne Schwierigkeit unter der Brücke Passieren, auf der in einem fort die Züge hin- und Herrrollen. Obwohl sie kein Hindernis bedeutet, ist sie aber doch eine Scheidewand. Sie spaltet die Straße in zwei Teile, die sich trotz ihrer Gleichförmigkeit nicht miteinander vermischen. Der eine Teil liegt in der Weltstadt. Er enthält belebte Ge schäfte, Amüsierlokale und glänzende Lichtreklamen, und wird von einem Menschenstrom durchzogen, der sich ununterbrochen weiter- wälzt. Den Strom abzulenken, scheint unmöglich zu sein. Mit einer unerbittlichen Gewalt wogt er genau bis Zur Brücke und bricht dort jäh ab, ohne den anderen Teil der Straße auch nur zu streifen. Wäre dieser noch eng und verkümmert! Aber davon kann nicht die Rede sein. Seine Häuser suchen an Pracht ihres gleichen, und schöbe sich nicht die Brücke dazwischen, so merkte niemand den Unterschied zwischen beiden Hälften. Und doch ist die jenseits der Stadtbahn gelegene nicht wie ihre gradlinige Fort . setzung vam Weltstadtgetoss erfüllt, sondern in den tiefsten Provinz frieden getaucht. Der Gegensatz ist so kraß, daß man ihn unmittel- und Einfluß auf die Programmbildung der Ruüdfunkgesell- schaften sowie auf die Vergebung von Arbeiten gewinnen sollen. Sei es durch diesen Bund, sei es auch durch andere Mittel — die neue Rundfunkverwaltung wird jedenfalls zur freiwilligen Beschränkung ihrer Machtansprüche genötigt sein, um kultureller Leistungen überhaupt habhaft zu werden. Ver führe sie nach den Maximen der Leitsätze und so autoritär, wie diese es gestatten, wir gingen Zeiten einer entsetzlichen Dürre entgegen. Nicht minder gefährdet würde es dadurch, daß man es einfach „in den Dienst der nationalen Idee" stellen wollte. Eine kulturelle Leistung hat Gehalte zu vergegenwärtigen, und die Art und Weise, in der sie das tut, ist unstreitig immer durch nationale Eigentümlichkeiten bedingt. So gut es nun möglich ist, daß diese Gehalte sich ausdrücklich und unmittelbar auf das Nationale beziehen, so wenig ist doch dergleichen allgemein zu fordern. Denn die Kulturarbeit hat ihren Wert in sich selber und wird darum in dem Augenblick aufgehoben, in dem man sie einer von außen herangebrachten Idee Unter tan macht. Welch eine Umkehr der wahren Verhältnisse! Wäh rend tatsächlich die nationale Idee von den bedeutenden Kul turwerken her Inhalt und Glanz empfängt, möchte die neue Rundfunkregelung die Kultur der nationalen Idee versklaven. Worauf gründet sich diese nationale Idee, wenn nicht auf die kulturellen Leistungen des Volks, die das Dunkel vor uns in engster Fühlung mit den verschiedensten Sachen und Stoffen I immer neu durchdringen? Es ist eben doch der Bürokratismus, der aus den genann ten Weisungen spricht. Er lebt nicht in der Kultur, er meint, über sie verfügen zu können. Mag er das Gute auf seine Weise wollen: in Wirklichkeit führt er zur Restauration. Vielleicht gelingt es ihm, die hohle Zerstreuung zu reduzieren. Aber er ersetzt sie nicht durch Kultur, sondern droht diese kraft autori tärer Maßnahmen in eine dumpfe Ge fan ge ns ch aft zu bringen, in der sie sich am Ende noch schwerer regen kann als in Zeiten, in denen die Zerstreuung gleißend und gewaltlos ihren Platz einnimmt.