ahne, was am 15. August eigentlich vor sich gegangen sei, zuckte verächtlich die Achseln und meinte: „O'sst !s, moäs! O'osk ! On L xris sov xli." Es ist die Mode. Es ist zur Gewohnheit geworden. Der Kellner ließ es um so leichter bei diesen einleuchtenden Erklärungen be wenden, als er sich in Royan wie ein Verbannter fühlt. Er zählt die Tage bis zum Saisonschluß, an dem er wieder nach Paris Zurückkehren kann. Ein schwarzer zierlicher junger Mann, der ganz verzückt: „Oh, Paris" sagt. Das Oh erinnert an das von Chevalier, als dieser noch französisch sprach. Freilich harren des Kellners in Paris unvergleichliche Seligkeiten, die er nicht müde zu schildern wird. Dort ist er während des Winters in einem Luxusrestaurant beschäftigt, das ein wahrer Feenpalast sein muh. Prachtvolle Spiegel vervielfachen den Raum, drei ausgewählte Kapellen musizieren vom kivs-o'Llloek-tsL an bis in die Nacht hinein, und immer neue wunderbare Attraktionen unterhalten die Gäste, die dichtgedrängt tafeln. „Oh, Paris", sagt er, und die Be geisterung über ein Lanzakrobatenpaar zittert noch in ihm nach. Seine Augen glitzern, als seien ste frisch gewichst. Von der Aus sicht auf Paris verzaubert, tänzelt er, das Servierbrett mit einem Finger Lalanzierend, durch die verwaiste Halle zur Terrasse hinaus. sehr rücksichtsvoll gegeneinander. Und nicht nur die Rücken der Mädchen zeigen sich unverhüllt frei, sondern auch ihre Vorder ansichten wagen sich unvorsichtig hervor. Was noch übrig bleibt vom Kostüm, ist ein einziger greller Farbfleck. Wie in einem Kaleidoskop gehen diese blauen, gelben, roten Flecke immer wechselnde Verbindungen miteinander ein, so daß oft herrliche Kompositionen entstehen. Beim Nachmittagstanz verschmelzen sie paarweise unter dem grünen Laub im Rumbatakt zitternd. An den Abenden bilden sie lange Reihen, die bunt wie Halsketten sind — Banden junger Männer und Mädchen, denen es einen ungeheuren Spaß macht, mit untergefaßten Armen einträchtig über die Promenade zu bummeln. Ihre Gesichter haben einen sorglosen Ausdruck, den man bei uns in Deutschland gar nicht mehr kennt. Aber was kümmern sie sich um Deutschland! Seine Not ist ihnen kaum ein Begriff, und das Leben ist schön. Be deutend verschönert wird es seit kurzem durch Do-Do, das jüngste Modespiel, das seinen Siegeszug angetreten hat. Eine Art Kaugummi für die Hand. An einem Bindfaden hängt ein rundes Scheibchen, das man nach verschiedenen künstlichen Methoden auf- und abgleiten lassen kann. Die Hand kaut das Scheibchen, spuckt es aus und holt es dann plötzlich wieder zurück, um von neuem zu kauen. Sämtliche jungen Leute vertreiben sich mit diesem Do-Do die Zeit, die sie im Ueberfluß haben. Sie blicken im Gehen nicht nach rechts und nach links, sondern starren tief sinnig vor sich hin, und vergessen über einem zerrissenen Bind faden die Anknüpfung von Flirts, die durch nichts besser einge leitet werden können als gerade durch Do-Uo. Sogar der Chasseur des Cafös yoyot bereits. Er ist ein Junge, ein halbes Kind noch, das seinen Beruf als ein Vergnügen auf- faßt und aus Uebermut Clownsstreiche begeht, die vom Geschäfts führer freundlich belacht werden. Ist die Hitze zu groß, so stehlen sich die beiden wie Kameraden zu einer Erfrischungsbude gegen über und essen dort Waffeleis. Die Gäste bekommen zur Abküh lung Papierfächer geschenkt. Da diese überall ausgeteilt werden, kann man sich eine hübsche kleine Sammlung von ihnen anlegen. Sie sind mit kolorierten Reklamezeichnungen versehen und manch mal so zart gekräuselt, als ob sie aus echten Federn bestünden. Wenn sich alle Cafehausbesucher fächeln, beginnen die Tische zu schwanken, und das ganze Cafe wogt mitten in die Sonne hinein. Tragisch wäre der Fall eines Menschen, der Do-Do spielen und sich zugleich mit einem Fächer Luft zuwehen müßte. Zu den Stamm gästen des Cafes gehören zahlreiche ältere Herren und Ehepaare, die sich nur schwer unterbringen lassen. Weder wirken sie geradezu wie Einheimische, noch auch beteiligen sie sich unmittelbar an den Ferienfreuden des Badelebens. Vielmehr tauchen sie ohne Sinn und Zweck auf, beunruhigende Erscheinungen, die sich der Tätig keit des Nichtstuns völlig grundlos hingeben. Es sind die Rentiers, die dieses rätselhafte Leben führen. Man sieht sie in den Gärten ihrer Häuschen die Zeitung lesen und kann sie bei ihren gemäch lichen Spaziergänger: beobachten. Das Cafe dient ihnen als regel mäßiger Zufluchtsort. Hier sitzen ste zu jeder Tageszeit ihre Zeit ab, hier spielen sie Karten und hier schreiben sie Briefe, die viel leicht gar nicht geschrieben werden müßten. Des Abends kleiden sie sich besonders soigniert und lauschen mit Wohlbehagen der Musik, die immerhin ein paar Stunden ausfüllt. Einmal in der Woche findet ein klastischer Abend statt, der sich von den anderen Abenden hauptsächlich dadurch unterscheidet, daß die Musiker schwarze Röcke tragen. Sie bringen ihre Familien und Bekannten mit, die sich dicht Leim Podium niederlaffen, und spielen Wagner, Schubert, Offenbach, Verdi. Das vollbesetzte Cafe klatscht begeistert wie in einem Akademiekonzert und vermeidet während der Solo darbietungen das Fächeln. Je nach der Art der Motive zwirbeln die Rentiers den Schnurrbart oder blicken gerührt auf ihre Ga maschen. Nach dem Konzert zahlen sie und gehen befriedigt heim. Ihr Schlaf wird von der Regierung behütet, die über dem Zinsen dienst wacht. Das Meer. Das Klima ist für diese Rentner geschaffen. Die Wolken zer streuen sich rasch, und mild wie die Lust ist das Meer. Seine Brandung kämpft nicht gleich der in Biarritz wütend gegen die Küste an, sondern legt sich, den Bedürfnissen des französischen Mittelstands Rechnung tragend, behutsam auf den Strand nieder. Ueberhaupt weiß das Meer genau, was sich an einem so populären Seebad schickt und läßt sogar Gottheiten den Fluten entsteigen. Eine traf zum Marine- und Kolonialsest Ende August auf einem Kreuzer in Rohan ein. Es war eine herrliche Zeremonie. Die ordengeschmückten Behörden standen in der Eingangshalle des Rat hauses, vor dem eine Abteilung Senegalesen Spalier bildete. Man wartete geduldig auf den Meerbeherrscher, der aber nicht kam. Einmal schien es, als ob er sich nähere. Auf ein ver abredetes Zeichen hin kommandierte der weiße Offizier:,, Achtung!" und seine Senegalesen erstarrten. Das Zeichen war jedoch ein Irrtum gewesen. Die Zuschauer lachten, die Senegalesen lachten, und wirklich — der Offizier lachte auch. Alle lachten Zusammen und riefen sich Witzworte zu. In anderen Ländern hätte der Offi zier seiner militärischen Ehre etwas zu vergeben geglaubt, wenn er — noch dazu nach einem verkehrten Manöver — in irgendeine intimere Beziehung Zu den Zivilisten getreten wäre. Endlich fuhr das Auto vor, das einen alten Vizeadmiral mit seiner Gemahlin enthielt. Die Behörden sammelten sich, die kleine Truppe präsen tierte das Gewehr. Der Vizeadmiral mit seinen schlohweißen Haaren und seinen leuchtenden Augen war eine historische Denk würdigkeit, von der bestimmt schon die Schullesebücher erzählen. Während er die Front abschritt, bewunderte seine Gattin mit edlen Dr e Dampftrambahn. Man erreicht das Hotel mit einer Dampftrambahn, die aus der Zeit unserer Großeltern stammt. Sie ist klein wie ein Kinderspiel zeug und wird von jedem Windhauch gefährdet. Auf den Tritt brettern der offenen Wägelchen, die man leicht in die Hand nehmen könnte, ziehen echte Kontrolleure vorbei, denen ihr Beruf heilig ist. Die Lokomotive hat einen ungewöhnlich langen Schornstein, der fast den Lokomotivführer überragt, und stößt fortwährend gellende Hilferufe aus. Es ist, als befürchte sie, überfahren zu werden. Das ganze Bähnchen schaukelt wie ein Schiff auf hoher See am Strand entlang und macht alle drei Schritte Station. Viele Villen säumen seinen Passionsweg ein. Sie tragen poetische Namen, die beweisen, daß ihre Besitzer mit sich und der Welt in Harmonie leben, haben das provisorische Aussehen südlicher Bauwerke und dringen tief in den Wald ein, der die Bucht umgürtet. Der Wald ist ein ver gessener Grunewald, der im Vergleich mit dem Meer etwas hinter wäldlerisch anmutet. Kerzengerade Schneisen teilen ihn geometrisch auf. Dank der Lichtungen, die er für Tennisplätze, Rondells und andere Bedürfnisse der Zivilisation freigibt, könnte sein Inneres manchmal auch sein Aeußeres sein. Mutig durchfährt ihn die Dampftrambahn dort, wo er am wildesten ist, und pfeift mit den Vögeln um die Wette. Zwischen den einzelnen Baumstämmen kam pieren nicht selten Gruppen in Badeanzügen, die sich mit schlechtem Gewissen vor der Sonne geflüchtet haben. Auch die alten Weibchen und die Einheimischen gehen hier gern spazieren, es liegt ihnen sonderbarerweise nichts daran, braun zu werden. Das Bade leben. Um so leidenschaftlicher brennen die Badegäste darauf zu verbrennen. Die braune Körperfarbe ist zu einer Religion ge worden, deren Gläubige vor keinen Hautfetzen zurückscheuen. Manche ruhen nicht eher, bis sie schwarz wie die Neger geworden sind, über die sie sich als Angehörige der weißen Rasse erhaben dünken. Ein Bleichgesicht zu sein, gilt als Ketzerei. Darum werden auch schon die B^bes geröstet, von denen der Strand nur so wimmelt. Sie formen Sandkugeln, die sie übereinanderschichten, lutschen Zuckerstangen und trippeln aus dem Schoß ihrer faul hingelagerten Familien ins Wasser. Die Kleinen gehen mit den Wogen furchtlos wie mit Hunden um, die Größeren möchten am liebsten weinen. Wenn eines von ihnen abhanden kommt, wird sein Verlust durch Lautsprecher bekannt gegeben. „Ein vier jähriger Junge namens Roger ist am Hafen gefunden worden. Er trägt einen weißblauen Sweater, hat eine Schippe und kann von den Eltern im PolizeikommissariaL abgeholt werden." Die Meldung schallt über die Strandpromenade, auf der sich alle Mit trifft. Nach den Gesetzen der Mode benimmt man sich hier Gebärden der Anerkennung die Blumendekoration des Rathauses: zwei aus Veilchen geformte Schiffsanker. Jeder tat, was ihm Zu- kam; jeder führte seine Rolle vollendet durch. Das hohe Paar zog die Behörden huldreich ins Gespräch, die Behörden nahmen ihren Platz ein und die Senegalesen machten brave Soldatenaugen. Wie ein Schauspiel, das man sich selber gab, wickelte sich der Empfang ab, und obwohl sämtliche Beteiligten auf offener Szene den nötigen Ernst wahrten, wußten sie doch, daß sie Schauspieler waren. Es fehlte nicht viel, und sie hätten hinterher Beifall ge jubelt. In der Dämmerung entfernte sich der Kreuzer langsam, und das Meer war wieder friedlich wie immer. Um diese Zeit ist -es ein stiller glatter Spiegel, in dem die feinen Farben des Himmels Widerscheinen. Weit draußen fahren die Schiffe nach Bordeaux zu oder gleiten hinaus. Man sieht ste kaum; ihre Rauch fahnen sind ein Hauch. Wenn die Dunkelheit wächst, entzünden sich die Leuchttürme und spielen Do-Uo miteinander. Strand und Wasser werden dann eins. Das Kasino steckt alle seine zahllosen Lichter an, deren größtes der rote Vollmond ist.